„Ungewöhnliche Verschmelzung von Schwarzen Löchern“

Gleich zwei ungewöhnliche Ereignisse von miteinander verschmelzenden Schwarzen Löchern ließen sich anhand ihrer Gravitationswellen nachweisen. Offensichtlich stammen die jeweils schwereren Schwarzen Löcher aus früheren Verschmelzungen. Im Interview erläutert Frank Ohme vom Albert-Einstein-Institut in Hannover, was das für die Astrophysik bedeutet.

Dirk Eidemüller

Im Hintergrund befindet sich ein schräg angeordneter glühender Ring, davor befinden sich ein schwarzer Kreis, der von einem hellen Ring umgeben ist; dieser Ring berührt einen anderen schwarzen Kreis, der sich direkt daneben befindet

Binary Black Hole Merger Carl Knox, OzGrav, Swinburne University of Technology

Welt der Physik: Was für eine Entdeckung haben Sie und Ihr Team gemacht?

Porträt des Wissenschaftlers Frank Ohme

Frank Ohme

Frank Ohme: Wir haben zwei sehr besondere Ereignisse von je zwei miteinander verschmelzenden Schwarzen Löchern nachgewiesen. In beiden Fällen verschmolz ein etwas schwereres Schwarzes Loch von rund 20 Sonnenmassen mit einem deutlich leichteren Schwarzen Loch mit sechs bis acht Sonnenmassen. Das Überraschende war nun nicht der Massenunterschied. Das haben wir auch schon bei früheren Verschmelzungen beobachtet. Aber bei diesen beiden Ereignissen stach die Rotation der beiden schweren Schwarzen Löcher ins Auge. Sie drehten sich nicht nur erstaunlich schnell, sondern ihre Rotationsachse war auch stark geneigt gegenüber der Drehachse, die sie zu ihrem Partner hatten. Das ist ein starker Hinweis, dass die beiden schweren Schwarzen Löcher selbst schon das Ergebnis eines vergangenen Verschmelzungsprozesses von jeweils zwei anderen Schwarzen Löchern sind.

Wie haben Sie die beiden Ereignisse entdeckt?

Diese Entdeckungen haben wir während des vierten großen Beobachtungslaufes der LIGO-Virgo-KAGRA-Kollaboration im Herbst 2024 gemacht. Das sind jeweils monate- bis jahrelange Messkampagnen der drei Gravitationswellendetektoren, nach denen die Technik gewartet und verbessert wird. Üblicherweise werden die analysierten Ereignisse jedes Beobachtungslaufes in einem Katalog publiziert und damit der Wissenschaftsgemeinde zugänglich gemacht. Aber diese zwei Verschmelzungsereignisse waren so außergewöhnlich, dass wir sie schon vorab, außerhalb der normalen Kataloge, vorgestellt haben.

Warum sind diese Ereignisse so ungewöhnlich?

Sie waren nicht gänzlich unerwartet, denn man hatte so etwas bereits theoretisch vermutet. Und wir hatten früher schon Ereignisse beobachtet, bei denen wir vermutet haben, dass einer der Partner das Ergebnis einer früheren Kollision zweier Schwarzer Löcher ist. Aber es ist dennoch außergewöhnlich, dass wir zwei solcher Verschmelzung nun so klar nachweisen konnten. Denn bei den beiden neuen Ereignissen, genannt GW241011 und GW241110, war das Signal jetzt so eindeutig wie noch nie. Dafür muss man die Rotation von Schwarzen Löchern sehr genau messen und das ist sehr schwer, da man dazu besondere Bedingungen braucht.

Infografik zeigt die beiden Gravitationswellenereignisse GW241011 und GW241110. Links ist GW241011 in Blautönen dargestellt: Zwei Schwarze Löcher mit etwa 20 und 6 Sonnenmassen umkreisen einander. Eine kleine Zusatzgrafik zeigt, dass das größere der beiden aus der Verschmelzung von Schwarzen Löchern mit 13 und 8 Sonnenmassen entstanden sein könnte. Der Spin – also die Eigenrotation – des größeren Schwarzen Lochs ist groß und rotiert in derselben Richtung wie die Umlaufbahn. Die Grafik betont, dass der Spin hier präzise bestimmt wurde.

Rechts ist GW241110 in Grüntönen dargestellt: Zwei Schwarze Löcher mit 17 und 8 Sonnenmassen verschmelzen. Auch hier zeigt eine kleine Zusatzgrafik für das größere Loch einen möglichen Ursprung aus einer früheren Verschmelzung von Objekten mit 12 und 5 Sonnenmassen. Bei diesem Ereignis ist der Spin groß, aber entgegengesetzt zur Richtung der Umlaufbahn. Damit unterscheidet er sich stark von GW241011.

Im unteren Bereich werden die beteiligten Gravitationswellendetektoren angezeigt: LIGO Hanford, LIGO Livingston, Virgo und KAGRA – farblich markiert, ob sie im Messbetrieb waren oder nicht. Textkästen erklären, dass sich die Ereignisse ähneln, aber unterschiedliche Spinrichtungen der Schwarzen Löcher aufweisen. Begriffe wie Sonnenmasse (M☉) und Gravitationswellen (GW) werden am Rand erklärt.

GW241011 und GW241110

Was hat jetzt den Unterschied gemacht?

Wir konnten die beiden Ereignisse so gut messen, weil einerseits die Massen der Schwarzen Löcher in einem für unsere Gravitationswellenobservatorien günstigen Bereich lagen. Und andererseits, weil insbesondere GW241011 in nur 700 Millionen Lichtjahren Entfernung lag und deshalb ein besonders starkes Signal verursachte. Das andere Ereignis war zwar dreimal weiter entfernt, aber damit immer noch recht nahe. Beim ersten Fall wies das schwere Schwarze Loch rund 20 Sonnenmassen auf und rotierte mit 70 Prozent der maximal möglichen Geschwindigkeit – das ist sehr schnell. Seine Achse war 20 bis 40 Grad im Vergleich zur Drehachse des Gesamtsystems beider Schwarzen Löcher geneigt. Im zweiten Fall war die Rotation nicht ganz so schnell, aber dafür die Achse noch deutlich stärker geneigt – und zwar um 90 bis 180 Grad.

Passt das zu Ihren theoretischen Erwartungen?

Dass Schwarze Löcher mit solch ungewöhnlichen Eigenschaften existieren können, war wie gesagt schon lange vermutet worden. Denn wenn zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen, wird aufgrund der schweren Massen und der engen Rotation ein riesiger Drehimpuls umgesetzt. Ein Teil davon wird durch die Gravitationswellen nach außen getragen. Doch im Gegensatz zu Sternkollisionen wird keine Materie freigesetzt, welche die Rotation abschwächen könnte. Der Drehimpuls verbleibt also zum größten Teil in dem schwereren Schwarzen Loch, das durch das Verschmelzen entsteht – das folglich sehr schnell rotieren muss. Wir hatten auch in der Vergangenheit bei Gravitationswellenbeobachtungen sehen können, dass das entstandene Schwarze Loch eine extrem hohe Rotationsgeschwindigkeit aufweist. Es war aber unklar, ob und wie häufig man dann tatsächlich Verschmelzungen höheren Grades beobachten kann, bei denen also mindestens ein Partner selbst schon aus einer Verschmelzung hervorgegangen ist.

Warum ist es überhaupt so schwer, solche Verschmelzungen höherer Ordnung klar nachzuweisen?

Mehrere konzentrische Kreise, in deren Zentrum sich zwei schwarze, runde Gebilde befinden

Zwei Schwarze Löcher verschmelzen miteinander

Dazu müssen mehrere Faktoren zusammenkommen. Einerseits darf das Ereignis nicht zu weit weg sein, andererseits benötigen wir günstige Massenverhältnisse, bei denen die Schwarzen Löcher nicht zu schwer sein dürfen. Denn wir vermessen die Rotation, indem wir das Signal der Gravitationswellen bei den letzten rund fünf bis zwanzig Umrundungen der Schwarzen Löcher vor der Verschmelzung analysieren. Während dieser Endphase, also beim spiralförmigen Ineinanderstürzen, können unterschiedliche Effekte entstehen. Diese sind aber sehr subtil und lassen sich nur bei der richtigen Frequenz gut sehen – also am ehesten bei Schwarzen Löchern, die ähnliche Massen aufweisen wie GW241011 und GW241110.

Gehen Sie davon aus, dass solche Ereignisse häufig vorkommen?

Das lässt sich nur schwer vorhersagen, denn zunächst einmal sind Schwarze Löcher in galaktischen Maßstäben betrachtet winzig klein und treffen nicht einfach so aus Zufall aufeinander. Sie müssen sich vorher wechselseitig gravitativ einfangen und sich dann in einem Millionen oder Milliarden Jahre andauernden Prozess immer näherkommen. Eine solche Situation ergibt sich zum Beispiel, wenn die beiden Schwarzen Löcher in einem Kugelsternhaufen nahe beieinander jeweils in einer Supernova entstehen. Dann kommt es zu einer Verschmelzung ersten Grades. Dabei erhält das neu entstandene Schwarze Loch aber durch das asymmetrische Ausstrahlen von Gravitationswellen meist einen starken Schub, der es aus dem Kugelsternhaufen hinausbefördert. Um eine Verschmelzung höheren Grades durchlaufen zu können, muss dieses Schwarze Loch also einen weiteren Partner finden. Das wäre möglich, wenn es im Kugelsternhaufen verblieben und dort auf ein weiteres Schwarzes Loch getroffen wäre. Es gibt inzwischen eine ganz neue Forschungsrichtung von Expertinnen und Experten, die sich mit der Wahrscheinlichkeit solcher Aufeinandertreffen befassen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/gravitationswellen/ungewoehnliche-verschmelzung-von-schwarzen-loechern/