Quantengas im freien Fall

Physiker erzeugen ein Bose-Einstein-Kondensat in der Schwerelosigkeit, um Gravitationseffekte exakt zu messen

Atomchip für Bose-Einstein-Kondensat

Atomchip für Bose-Einstein-Kondensat

Bremen/Garching/Hannover - Eine Feder fällt im Vakuum genauso schnell wie eine Bleikugel - das wird schon Schülern als unumstößlich präsentiert. "Aber beim Äquivalenzprinzip handelt es sich nur um ein Postulat, das getestet werden muss", sagt Ernst Maria Rasel, Professor an der Universität Hannover. Nach dem Äquivalenzprinzip entspricht die schwere Masse, mit der sich Körper anziehen, der trägen Masse, die sich einer beschleunigenden Kraft entgegensetzt. Daraus ergibt sich, dass im Vakuum alle Körper mit demselben Tempo auf den Erdboden schlagen. Ob diese Hypothese tatsächlich Gesetz werden kann, wollen Physiker mit einem Messgerät untersuchen, dass die Schwerkraft extrem genau misst. Einen ersten Schritt in diese Richtung hat das Team um Ernst Maria Rasel nun gemacht.

Die Forscher bauten einen Atomchip, den Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching entwickelt haben, sowie Magnetspulen, Laser, eine Kamera und die nötige Energieversorgung in eine zylinderförmige Kapsel, die etwa so hoch und breit ist wie eine Tür. Nachdem sie eine Wolke aus einigen Millionen Rubidiumatomen auf den Atomchip befördert hatten, stürzten sie die gesamte Apparatur 146 Meter in die Tiefe. Auf solche wissenschaftlichen Fälle ist ein Turm am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen spezialisiert.

Während die Kapsel darin vier Sekunden lang zu Boden fiel, erzeugte das Team auf dem Atomchip zunächst ferngesteuert das Bose-Einstein-Kondensat: Auf dem Chip halten starke Magnetfelder und Laser die Teilchen fest und kühlen sie ab. Wenige Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt – einer Temperatur von rund minus 273 Grad Celsius – haben die Teilchen fast sämtliche Energie verloren und nehmen einen neuen Aggregatzustand ein. Alle Atome befinden sich hierbei im quantenmechanischen Grundzustand, so dass sie sich nicht mehr länger als individuelle Teilchen unterscheiden lassen.

Sobald sich die Atome auf dem Chip zu einem "Super-Teilchen" vereinigt hatten, lockerten die Forscher den Griff der Falle vorsichtig und ließen das Quantengas frei. Mit der Kamera in der Kapsel verfolgten sie nun, wie sich das Kondensat ausdehnte. Diese Bewegung reagiert extrem empfindlich auf äußere Felder – etwa auf Unterschiede im Schwerefeld der Erde. Diese Unterschiede entstehen, weil die Gravitation an einem bestimmten Punkt der Erde von der dortigen Dichte der Erdkruste abhängt. Sie machen sich bei der Expansion des Bose-Einstein-Kondensats umso deutlicher bemerkbar, je länger es sich ausdehnt, je länger es also in der Schwerelosigkeit schwebt. Beim Experiment im Fallturm verlängerten die Forscher die Zeit, die für eine Messung zur Verfügung steht, im Vergleich mit einem Labor-Experiment um mehr als das Zehnfache. Das könnte künftig helfen, die Genauigkeit von Messdaten drastisch zu verbessern. "Letztlich möchten wir solche Experimente gerne im Weltall vornehmen", sagt Ernst Maria Rasel. Denn hier ist die Schwerelosigkeit schließlich von Dauer.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2010/quantengas-im-freien-fall/