Extra-Dimensionen und künstliche Schwarze Löcher

Hans-Christian Schultz-Coulon

Visualisierungsversuch der Extradimensionen

Schwarze Löcher müssen nicht riesige kosmische Gebilde sein. Sollte unser Universum mehr als drei Raumdimensionen haben, so könnten an modernen Teilchenbeschleunigern möglicherweise winzig kleine Schwarze Löcher erzeugt werden. Ihre Entdeckung würde unser Weltbild revolutionieren.

Wenn man an Schwarze Löcher denkt, verbindet man damit normalerweise große, dunkle Gebilde aus Science-Fiction-Filmen, in denen alles unwiederbringlich verschwindet, was in ihre Nähe kommt. Dies muss aber nicht so sein. Sollte unser Universum – wie manche Theorien vorhersagen – nicht nur drei Dimensionen haben, sondern in zusätzlichen Raumdimensionen existieren, so könnte die Energie moderner Teilchenbeschleuniger ausreichen, um Schwarze Löcher im Miniaturformat zu erzeugen. Mit einer Größe, die der von Elementarteilchen entspricht, wären diese winzig klein, würden keine Raumschiffe, Planeten und Sterne verschlucken und in kürzester Zeit nach ihrer Entstehung wieder zerfallen. Ihre Entdeckung wäre eine Sensation – sie würde eine neue Ära für die Teilchenphysik einläuten und unser Weltbild einmal mehr revolutionieren.

Was ist ein Schwarzes Loch?

Schwarze Löcher entstehen, wenn die Masse (oder richtiger: die Dichte) eines Objekts so groß wird, dass selbst Licht aufgrund der enormen Anziehungskraft nicht mehr entweichen kann: wenn also die Fluchtgeschwindigkeit, die notwendig wäre, um die Anziehungskraft des Objekts zu überwinden, größer als die Lichtgeschwindigkeit wird – was ja laut der speziellen Relativitätstheorie nicht möglich ist. Hierbei kommt es allerdings nicht allein auf die Masse des Objekts an, sondern auch darauf, innerhalb welchen Volumens sich diese Masse befindet, das heißt wie dicht die Masse gepackt ist.

Das Volumen, das ein Schwarzes Loch mit einer bestimmten Masse hat, ist durch den sogenannten Schwarzschild-Radius gegeben; dieser ist direkt proportional zur Masse des Schwarzen Lochs. Je leichter beziehungsweise kleiner ein Schwarzes Loch ist, desto höher ist demnach die erforderliche Dichte. Für ein Schwarzes Loch mit der Masse unserer Sonne liegt dieser Wert beispielsweise bei 1019 Kilogramm pro Kubikmeter. Ein solches Schwarzes Loch mit Sonnenmasse müsste also eine Dichte haben, die höher ist als die eines Atomkerns (das sind etwa 1017 Kilogramm pro Kubikmeter.

Wie groß sind kleine Schwarze Löcher?

Kann ein Schwarzes Loch nun beliebig klein werden? Nein, denn für kleine Schwarze Löcher gilt ebenso wie für Elementarteilchen die Heisenberg'sche Unschärferelation (siehe Artikel Grundzüge der Quantenmechanik). Aus dieser folgt, dass die Masse eines Schwarzen Lochs im Rahmen der herkömmlichen Gravitationstheorie größer sein muss als die sogenannte Planck-Masse von 1019 GeV/c2 (siehe Infokasten). Für kleinere Massen kann ein Schwarzes Loch im klassischen Sinn nicht mehr existieren, da dann seine Dichte so groß und damit die Gravitation so stark wird, dass Quantenfluktuationen das Gefüge der Raumzeit aufbrechen. Unterhalb der Planck-Masse können kleine Schwarze Löcher – wenn überhaupt – also nur als kurzzeitige Vakuumfluktuationen existieren (siehe Infokasten und Artikel Quantenfeldtheorie – Was ist das?).

Die Energie des derzeit leistungsfähigsten Teilchenbeschleunigers, des Large Hadron Colliders LHC am Forschungszentrum CERN in Genf, liegt zwar im bisher nie erreichten Bereich mehrerer tausend Gigaelektronenvolt (GeV); sie ist damit aber trotzdem noch immer 15 Größenordnungen, also 15 Zehnerpotenzen, niedriger als die Energie, die zur Erzeugung des kleinstmöglichen Schwarzen Lochs notwendig wäre. Damit ergibt sich offenbar, dass die Erzeugung Schwarzer Löcher an Teilchenbeschleunigern der herkömmlichen Theorie zufolge in weiter Ferne liegt.

Ein Universum mit Extra-Dimensionen?

Visualisierung von: Falls es zusätzliche Raumdimensionen gibt, kann man sich unsere Welt als (dreidimensionale) Membran im (3+N-dimensionalen) Raum vorstellen. Für eine eindimensionale Welt mit einer zusätzlichen Raumdimension lassen sich auch aufgerollte Extra-Dimensionen visualisieren: Die Linie auf dem Zylindermantel (unten rechts) stellt dabei unsere dreidimensionale Welt dar, in der alle bekannten Teilchen und Kräfte mit Ausnahme der Gravitation gefangen sind. Nur die Schwerkraft (rote Linien) kann auch in die zusätzlichen Dimensionen eindringen.

Unser Universum als Membran in den Extra-Dimensionen

Also doch keine Schwarzen Löcher an Beschleunigern? Interessanterweise hängt die Antwort auf diese Frage von einer der Grundeigenschaften unseres Universums ab: nämlich der Anzahl der Dimensionen, in denen wir leben. Wenn es, wie wir zu wissen glauben, im Universum nur drei Raum- und eine Zeitdimension gibt, so ist die Antwort ein klares „Nein“. Falls es jedoch zusätzlich weitere Raumdimensionen geben sollte, deren Ausdehnung auch noch groß genug ist, dann könnte die Erzeugung von Schwarzen Löchern an Beschleunigern möglich sein.

Die Existenz solcher winzigen Extra-Dimensionen ist nicht etwa eine bloße Spekulation von Science-Fiction-Autoren. Sie wurde 1998 von den theoretischen Physikern Nima Arkani-Hamed, Savas Dimopoulos und Georgi Dvali tatsächlich vorgeschlagen. Ihre wesentliche Motivation war die Lösung des sogenannten Hierarchieproblems, das heißt der Frage, warum die Gravitationskraft im Vergleich zu den anderen fundamentalen Kräften so unglaublich schwach ist beziehungsweise warum die Planck-Skala, bei der die Schwerkraft so stark wie die anderen Kräfte wird, mit 1019 GeV so unglaublich groß ist. Wenn man zusätzliche Raumdimensionen in die Theorie einführt, lässt sich diese Diskrepanz auf natürliche Weise erklären.

Da wir solche Extra-Dimensionen im Alltag aber nicht beobachten, muss ihre Ausdehnung endlich sein, das heißt sie müssen „kompaktifiziert“ sein. Anschaulich kann man sich das so vorstellen, als seien diese Dimensionen auf kleinsten Abständen „aufgerollt“ – ähnlich wie ein Strohhalm, der aus der Ferne wie eine eindimensionale Linie erscheint, aus der Nähe betrachtet aber mehr als eine Dimension aufweist (siehe Infokasten). In Modellen mit solchen aufgerollten Extra-Dimensionen ergibt sich eine tatsächliche Planck-Skala, die sehr viel kleiner als 1019 GeV sein kann. Die Gravitation würde dann schon bei deutlich niedrigeren Energien so stark werden wie die anderen Kräfte. 

Extra-Dimensionen – eine Chance für kleine Schwarze Löcher

Mit der Existenz zusätzlicher, kompaktifizierter Raumdimensionen verändert sich also das Gravitationsgesetz – und zwar unterhalb jener kleinen Abstände, die der Ausdehnung der Extra-Dimensionen entsprechen. Bei größeren Abständen bleibt alles beim Alten. Dies steht tatsächlich in keinem Widerspruch zu heutigem Wissen, da das Gravitationsgesetz bisher nur oberhalb von Abständen von etwa 0,1 Millimetern experimentell überprüft wurde. Man vermutet zwar, dass sich die Schwerkraft bei kleineren Abständen genauso verhält, experimentell bestätigt ist es jedoch nicht. Hier verbirgt sich eine zusätzliche Komplikation von Theorien mit Extra-Dimensionen. Da die Abstandsabhängigkeit der elektromagnetischen, der schwachen und der starken Kraft bereits bis zu Abständen von 10-18 Meter getestet ist, schließt dies Extra-Dimensionen mit Ausdehnungen oberhalb dieses Bereichs aus. Daher postulieren viele Modelle, dass diese Kräfte nicht in die zusätzlichen Raumdimensionen vordringen können, sodass einzig die Gravitation durch die zusätzlichen Dimensionen beeinflusst wird.

Schwarze Löcher im Labor - eine wissenschaftliche Sensation

Sollte sich herausstellen, dass bei den Teilchenkollisionen im LHC tatsächlich Schwarze Löcher im Miniaturformat erzeugt werden, so wäre dies eine wissenschaftliche Sensation, die unser physikalisches Weltbild über das ganz Kleine revolutionieren würde (siehe Artikel Schwarze Löcher am LHC?). Vor allem aber würde diese Entdeckung das Ende der Teilchenphysik im konventionellen Sinne bedeuten, da für Energien oberhalb der Planck-Masse nur noch Schwarze Löcher, nicht aber neue Teilchen erzeugt würden. Die historische Suche der Menschheit nach den letzten Bausteinen der Materie ginge damit zu Ende, und es entstünde eine neues Forschungsgebiet: die Geometrie der Extra-Dimensionen des Raumes.

Weiterführende Literatur:

B.J. Carr und S.B. Giddings, Schwarze Löcher im Labor, Spektrum der Wissenschaft, September 2005

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/bausteine/jenseits-des-standardmodells/extra-dimensionen/