Weltraumschrott
Franziska Konitzer
In den Umlaufbahnen der Erde haben Jahrzehnte der Raumfahrt Unmengen an Müll erzeugt – den sogenannten Weltraumschrott. Kollisionen mit kleinsten Teilchen können der bemannten Weltraumstation ISS oder Satelliten große Schäden zufügen oder diese sogar zerstören. In unserem Podcast sprach Welt der Physik mit Wolfgang Riede vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart darüber, wie Forscher die Bahnen des Weltraumschrotts hochpräzise vermessen und ihn letztendlich entsorgen wollen.
1957 beförderte die Sowjetunion mit dem Satelliten Sputnik das erste von Menschen gebaute Objekt in eine Erdumlaufbahn. Seitdem gab es über 6 500 Satellitenstarts. Sie alle lassen auf die ein oder andere Weise Müll zurück: den sogenannten Weltraumschrott.
Wolfgang Riede: „Weltraumschrott kann die Form eines Satelliten haben, der zwar von außen betrachtet recht intakt aussieht, aber nicht mehr ansteuerbar ist. Das prominenteste Beispiel ist der Envisat-Satellit der Europäischen Weltraumagentur ESA. Seine Abmessungen liegen im Bereich zwanzig mal zehn Meter und er wiegt über acht Tonnen. Envisat ist de facto seit dem Ostersonntag 2012 Weltraumschrott: Er ist nicht mehr ansteuerbar, weil er zu diesem Zeitpunkt die Kommunikation komplett einstellte.“
Am oberen Ende der Größenskala des Weltraumschrotts befinden sich neben ausgefallenen Satelliten vor allem Raketenoberstufen, die diese einst in den Orbit beförderten. Kleine Schrottobjekte hingegen bestehen vor allem aus den Überresten früherer Kollisionen von großen Schrottteilen. So kommen insgesamt rund 6300 Tonnen an Weltraumschrott zusammen – statistischen Schätzungen zufolge sind darunter allein 750 000 für Raumfahrzeuge gefährliche Objekte, die größer als ein Zentimeter sind.
Der Schrott befindet sich hauptsächlich auf den gleichen Umlaufbahnen, die auch Satelliten nutzen – beispielsweise im geostationären Orbit 36 000 Kilometer über der Erdoberfläche. Hier behalten Satelliten ihre relative Position zur Erde bei, befinden sich also immer über demselben Punkt auf der Erdoberfläche. Diese Satelliten werden zur Telekommunikation und Fernsehübertragung genutzt. Aber auch niedrigere Umlaufbahnen spielen eine große Rolle.
„Eine besonders beliebte Bahnhöhe ist die Bahnhöhe um 780 Kilometer, dort befinden sich sehr viele Erdbeobachtungssatelliten. Schließlich kann man aus dieser Höhe die Erde gut von oben beobachten, weil man von der Oberfläche nicht weit weg ist. Andererseits ist ein Satellit aber aus der Restatmosphäre der Erde raus und man muss nicht permanent Bahnanhebungsmanöver durchführen.“
Wissenschaftler schätzen, dass ein Objekt mit einer Masse von einem Kilogramm einen Ein-Tonnen-Satelliten komplett zerstören kann. Doch auch deutlich kleinere Schrottteile können aufgrund ihrer hohen Bewegungsenergie, auch kinetische Energie genannt, große Schäden anrichten.
„Die Objekte im niedrigen Erdorbit haben Bahngeschwindigkeiten von 7,8 Kilometer pro Sekunde. Bei möglichen Kollisionen geht man von einer mittleren Kollisionsgeschwindigkeit von elf Kilometern pro Sekunde aus. Mit den Teilen sind also erhebliche kinetische Energien verbunden: Schätzungen zufolge hat ein Gramm eines solchen Objektes ungefähr die Sprengkraft von zehn bis fünfzehn Gramm Dynamit.“
Kollisionen mit Weltraumschrott gilt es daher unbedingt zu vermeiden, indem die Satelliten Ausweichmanöver fliegen. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Bahn des betreffenden Schrottteils bekannt ist. Weltweit beobachten Wissenschaftler den Weltraummüll daher mithilfe von optischen Teleskopen – vor allem auf dem weiter entfernten geostationären Orbit – sowie mit Radartechniken auf den niedrigeren Erdumlaufbahnen. Doch selbst der umfangreichste Katalog enthält bislang nur rund 28 000 Objekte, die größer als zehn Zentimeter sind. Und oft sind die Bahnen des Weltraumschrotts nur auf einige Kilometer genau bekannt. Ein Team um Wolfgang Riede arbeitet daher an einer Methode, mit der sich die Bahnen in 1000 Kilometer Höhe mithilfe eines optischen Teleskops und eines Lasers bis auf wenige Meter genau vermessen lassen.
„Die Objekte werden von der Sonne beleuchtet, wir müssen also für dieses Verfahren in Zeiten der astronomischen Dämmerung arbeiten, wenn die Sonne sechs bis zwölf Grad unter dem Horizont verschwunden ist. Bei gutem Wetter können wir dann unsere Beobachtungen machen: Die Objekte werden von der Sonne beleuchtet und anschließend von unserem System erfasst.“
In einem nächsten Schritt richten die Forscher einen für das menschliche Auge unsichtbaren infraroten Laserstrahl auf das erfasste Schrottteilchen. Dieses reflektiert einen Teil des Strahls und wirft ihn zurück zur Erde. Über die genaue Messung der Zeitdauer, bis das reflektierte Licht wieder an der Messstation ankommt, schließt das Team dann auf die Distanz des Weltraumschrotts. Riede und seine Kollegen arbeiten derzeit an einem solchen Observatorium in der Nähe von Stuttgart. Dort ist der Laser zwar bereits am Teleskop montiert, muss aber noch genauer justiert werden, bevor er zum Einsatz kommen kann.
„Die Anwendung der Technik hängt davon ab, wie groß das Empfangsteleskop ist. Wir haben derzeit ein 17-Zoll Teleskop, also eine Empfangsapertur von 43 Zentimetern, in Betrieb. Und mit diesem System können wir Objekte von bis zu zehn Zentimetern Kantenlänge im niedrigen Erdorbit, das heißt von 1000 bis 2000 Kilometern, erkennen.“
Mit der Katalogisierung solcher Objekte wird den Wissenschaftlern die Arbeit so schnell nicht ausgehen. Denn derzeit nimmt der Weltraumschrott jährlich um fünf Prozent zu – die Anzahl der Objekte wird bald die Eine-Million-Grenze überschreiten. Und jedes Schrottteil muss einzeln katalogisiert werden.
„Das Aufsetzen auf ein Objekt, also die Ausrichtung der Montierung mit dem Teleskop, geht relativ schnell. Innerhalb von einer Minute hat man ein neues Objekt erfasst und sollte es anschließend während des kompletten Überfluges möglichst lange verfolgen. Da handelt es sich um Zeitdauern von vielleicht fünf bis zehn Minuten und dann kann man das nächste Objekt erfassen. Wenn man also anderthalb Stunden Zeit in der Dämmerungsphase hat, könnte man vielleicht zehn Objekte mit hoher Genauigkeit erfassen.“
Langfristig planen die Forscher am Institut für Technische Physik, Lasersysteme nicht nur für die Beobachtung von Weltraumschrott, sondern auch für seine Entsorgung zu nutzen. In Labortests konnten sie zeigen, dass intensive Infrarot-Laserstrahlen dazu in der Lage sind, an einer Objektoberfläche ein Plasma – also ein heißes Teilchengemisch – zu zünden. Durch den entstehenden Rückstoß wird das Objekt abgebremst. Für Objekte im Orbit bedeutet das: Wenn sie mithilfe der Laserstrahlen um ein- bis zweihundert Meter pro Sekunde abgebremst würden, würden sie in die Erdatmosphäre abdriften und dort verglühen. Dafür sind allerdings sehr große Lasersysteme nötig – und diese gibt es derzeit noch nicht. In der Zwischenzeit bleibt den Weltraumagenturen nichts anderes übrig, als die Entstehung von neuem Weltraumschrott so weit wie möglich zu vermeiden, etwa durch die Entsorgung von ausgedienten Satelliten.
„Dafür gibt es zwei Verfahren. Für den geostationären Orbit verbringt man die Satelliten vor Ende ihrer Missionsdauer in sogenannte Friedhofsorbits, die einige hundert Kilometer oberhalb des geostationären Gürtels liegen. Im niedrigen Erdorbit versucht man hingegen, die Objekte so abzusenken, dass sie innerhalb von 25 Jahren dann in der Erdatmosphäre verglühen.“
Kollisionen zwischen ausgedienten Satelliten zu vermeiden hat höchste Priorität, denn sie stellen die größte Quelle an neuem Schrott dar. So könnten sie sogar eine Kettenreaktion weiterer Kollisionen auslösen, durch die wichtige Erdumlaufbahnen aufgrund der hohen Schrottdichte für Satelliten nicht mehr benutzbar wären.
Welt der Physik CC by-sa
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/erde/satelliten-zur-erdvermessung/weltraumschrott/