Wie funktionieren selbsttönende Sonnenbrillen?

Svenz Titz

Mann hält Sonnenbrille vor seine Augen der Sonne entgegen

Solovyova/iStock

Manche Brillen färben sich im Sonnenlicht selbst ein. Dafür sind Moleküle oder Kristalle verantwortlich, die auf UV-Strahlung reagieren: Sie verändern ihre Struktur und absorbieren einen Teil des sichtbaren Lichts. Wird es dunkler, verschwindet die Tönung wieder. Perfekt funktionieren solche selbsttönenden Sonnenbrillen allerdings noch nicht.

Eine Brillenträgerin geht in die Sonne – und in kürzester Zeit wird ihre Brille, die eben noch klar war, dunkel. Der Grund: Die Brille ist mit sogenannten photochromen Brillengläsern ausgestattet. Das Kunstwort „photochrom“ besteht aus den griechischen Begriffen für Licht und Farbe und wird für Materialien verwendet, die bei Lichteinfall ihre Farbe ändern. Entscheidend für diesen Effekt ist die Reaktion des Materials auf ultraviolettes und zum Teil auch violettes Licht.

Die ersten photochromen Brillengläser wurden bereits im Jahr 1964 produziert. Um sie herzustellen, mengte man dem Glas Kristalle aus sogenannten Silberhaliden bei. Das sind chemische Verbindungen aus Silberionen – also positiv geladenen Silberatomen – und negativ geladenen Ionen von Halogenen, wie etwa Chlor oder Brom. Trifft ultraviolettes Licht auf solche Gläser, löst es Elektronen aus den negativ geladenen Ionen. Diese werden dann von den Silberionen aufgenommen, woraufhin sich winzige Silberpartikel mit Durchmessern zwischen 5 und 30 Nanometern aus den Silberatomen bilden.

Diese Partikel absorbieren, reflektieren oder streuen sichtbares Licht. Dadurch werden manche Farben stark gedämpft – die Brillengläser erhalten eine farbige Tönung. Trifft kein ultraviolettes Licht mehr auf die Brille, bilden sich die Partikel aus Silberatomen wieder zurück zu geladenen Silberionen und die Gläser hellen sich auf. Wie stark sich das Brillenglas abdunkelt, hängt jedoch von dessen Dicke ab. Das führt zu einem unerwünschten Effekt: Denn wer dicke Brillengläser benötigt, müsste dann mit einer sich extrem stark abdunkelnden Sonnenbrille leben.

Organische Moleküle als Alternative

Photochrome Brillengläser mit Silberhaliden werden heute allerdings immer weniger produziert, und schon Mitte der 1980er Jahre kamen Brillen mit neuen photochromen Substanzen auf. Dazu verwendete man Kunststoffgläser und versetzte sie in der Regel in einer einzelnen Schicht mit photochromen Molekülen. Der Abdunkelungseffekt wurde damit unabhängig von der Dicke der Brillengläser – ein großer Vorteil.

Grafik zweier wabenförmiger Molekülketten, die durch zwei Pfeile miteinander in Verbindung stehen; der Peil von links nach rechts ist mit Sonnenlicht überschrieben, der von rechts nach links mit Wärme. Die rechte Molekülkette ist braun hinterlegt

Lichtempfindliche Reaktion des Moleküls

Solche photochromen Kunststoffgläser enthalten komplizierte organische Verbindungen, die auf ultraviolettes ebenso wie auf violettes Licht reagieren. Zunächst liegen die Moleküle in einer bestimmten, verdrehten Struktur vor. Trifft nun ultraviolettes oder violettes Licht auf sie, löst es eine Reaktion in den Molekülen aus, bei der sich deren Struktur verändert. Dabei lösen sich einige Bindungen in den Molekülen, während anderswo neue Bindungen entstehen. Das neue Molekül ist somit räumlich anders angeordnet. Es hat eine flache Struktur und kann Licht mit größerer Wellenlänge als zuvor absorbieren. Dadurch färben sich die Brillengläser ein.

Glücklicherweise ist dieser photochrome Effekt umkehrbar – sonst würden die Brillengläser nach dem ersten Lichteinfall für immer abgedunkelt bleiben. Dass sie sich wieder aufhellen können, hat damit zu tun, dass noch eine weitere Reaktion stattfinden kann. Die erste Reaktion führt zum Einfärben der Gläser und wird durch Licht ausgelöst. Für die zweite Reaktion, bei der die Brillengläser wieder farblos werden, spielt die Temperatur die entscheidende Rolle. Je wärmer es ist, desto stärkere Schwingungen ereignen sich im Kunststoff. Aufgrund dieser Schwingungen werden die Moleküle dann wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt.

Wie stark sich die Brillengläser einfärben, hängt somit immer von beiden Faktoren ab – vom einfallenden Licht ebenso wie von der Temperatur. Fällt weniger Licht auf die Brillengläser, dominiert der Wärmeeffekt – die Gläser hellen sich langsam auf.

Langlebige selbsttönende Gläser gesucht

Zwei Grafiken nebeinander; links: Licht angedeutet durch Pfeilen bewegen sich aus einem bewölkten Himmel Richtung Erde, zwischen den Strahlen hellgraue Molekülketten, im Vordergrund eine ungetönte Brille. Rechts bewegen sich die Strahlen aus einem sonnigen Himmel Richtung Erde, die Moleküle sind braun und die Brille im Vordergrund hat getönte Gläser

Einfärbung der Sonnenbrille

Die photochromen Brillen haben allerdings auch Nachteile: Beispielsweise reagieren manche Brillen im Innern eines Autos nur schwach auf Lichtveränderungen, da Autoscheiben einen großen Teil des UV-Lichts herausfiltern. Zudem braucht bei vielen Modellen das Aufhellen sehr lange, da die temperaturbedingte Reaktion mehrere Minuten andauern kann. Fährt man etwa mit dem Auto aus einer sonnenbeschienenen Landschaft in einen Tunnel, sieht man dann plötzlich nichts mehr.

Doch nicht nur Autofahrer haben Probleme festgestellt. Denn der selbsttönende Effekt findet teilweise auch bei bewölktem Himmel statt, da ein Teil der UV-Strahlung auch durch die Wolken hindurch dringt. Außerdem ist der abdunkelnde Effekt an kalten Tagen stärker als an warmen Tagen. Aufgrund der niedrigen Temperaturen findet nämlich die Reaktion, durch die sich die Brille wieder aufhellt, langsamer statt.

Zudem zeigen photochrome Brillengläser mit der Zeit einen Alterungseffekt: So kann jede Anregung von Elektronen durch ultraviolettes und violettes Licht nicht nur die gewünschte Umstrukturierung der Moleküle auslösen, sondern gelegentlich auch andere Bindungen im Molekül zerbrechen lassen. Auch wenn dies sehr selten geschieht, nehmen die Brüche im Laufe der Zeit immer mehr zu, da sie nicht rückgängig zu machen sind. Irgendwann macht sich das als gelbliche Verfärbung der Brillengläser bemerkbar. Die Brillen haben also eine Art Verfallsdatum, das von der Häufigkeit der Benutzung abhängt.

Insofern ist die perfekte selbsttönende Sonnenbrille noch nicht gefunden. Forscher arbeiten darum weiterhin daran, die Eigenschaften solcher Brillengläser zu optimieren. Aber auch völlig andere Anwendungen des photochromen Effekts sind denkbar: Manche Wissenschaftler halten es etwa für möglich, in Zukunft optische Speicher aus lichtempfindlichen Materialien herzustellen. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/wie-funktionieren-selbsttoenende-sonnenbrillen/