6:3 oder was eine Fußballmannschaft mit einer radioaktiven Quelle gemeinsam hat

Metin Tolan

Tornetz

Viele Tore begeistern die Zuschauer. Trotzdem kommen neun Tore in einem Spiel recht selten vor. Doch wie ungewöhnlich sind eigentlich so viele Treffen in einem Spiel?

Die Daten des Diagramms sind in der Bildunterschrift wiedergegeben.

Statistik der Tore in Bundesligaspielen

Zunächst einmal kann man einen Blick auf die Verteilung der Tore in der Bundesliga werfen. Die Grafik zeigt die Zahl der Spiele der Fußball-Bundesliga, bei denen insgesamt \( k \) Tore gefallen sind, als Funktion dieser Gesamtzahl \( k \) der Treffer.

Als Physiker erinnert einen die Verteilung der Anzahl der Spiele mit jeweils \( k \) Toren, wie sie in der Abbildung zu sehen ist, sofort an eine so genannte „Poisson-Verteilung“, die beispielsweise auch den radioaktiven Zerfall bestimmt. Ein Atomkern zerfällt mit einer Wahrscheinlichkeit, die ebenfalls durch eine Poisson-Verteilung gegeben ist. Eine solche Verteilung beginnt immer bei einem bestimmten Wert, läuft dann durch ein Maximum und fällt für große Werte stark ab. Dabei liegt das Maximum ungefähr bei der mittleren Anzahl \( a \)  der Tore. In der Fußball-Bundesliga fallen im Durchschnitt 3 Tore, also ist \( a = 3 \) . Für die Poisson-Verteilung gilt:

$$p_a (k) = a^k \cdot \frac{e^{-a}}{ k!} $$

Diese Formel gibt am wie groß die Wahrscheinlichkeit  \( p_a (k) \) ist, dass ein Spiel mit einer Gesamtzahl von \( k \) Toren endet, wenn im Durchschnitt \( a \) Tore pro Spiel fallen. Dabei ist \(  e = 2,7182818\ldots \) die sog. Eulersche Zahl und \( k! \) (sprich k Fakultät) ist eine Kurzschreibweise für

$$ k! = 1 \cdot 2 \cdot \ldots \cdot (k - 1) \cdot k. $$

Wenn diese Wahrscheinlichkeit \( p_a (k) \) mit der Gesamtzahl aller bisher stattgefundenen Spiele in der Fußball-Bundesliga multipliziert wird, dann ergibt sich ebenfalls eine Verteilung der Ergebnisse nach den gefallenen Toren \( k \) pro Spiel. In der Grafik ist diese mit der Poisson-Verteilung theoretisch berechnete Anzahl der Spiele für die mittlere Toranzahl \( a = 3 \) berechnet und als rote Säulen dargestellt worden.

Anzahl der Spiele der 1. Fußball-Bundesliga, in denen genau k Tore gefallen sind, aufgetragen gegen k. Die Anzahl wächst von k=0 bis k=2 schnell an und ist bei k=2 maximal mit fast 3000 Spielen. Dann nimmt die Anzahl bis k=8 wieder schnell ab, für k=9 bis 12 sind die Balken sehr klein. Es sind sowohl rote Balken als auch blaue dargestellt, die nicht besonders stark voneinander abweichen, außer bei k=1 und k=3, wo der rote Balken jeweils etwas höher als der blaue ist.

Vergleich zwischen Poisson-Verteilung und tatsächlich gefallenen Toren

Man erkennt, dass die Poisson-Verteilung die Verteilungskurve der Anzahl der Spiele mit jeweils \( k \) Toren recht gut wiedergibt. Natürlich ist die Übereinstimmung nicht perfekt. So gibt es offensichtlich mehr 0:0 Ergebnisse in der Bundsliga als es die Poisson-Kurve prognostizieren würde. Dafür gibt es in der Theorie deutlich mehr Ergebnisse mit einem Tor also 1:0 und 0:1 Resultate als bisher in der Realität. Da über 12.000 Spiele zu der Statistik beitragen, sind diese Abweichungen schon signifikant. Aber dennoch: Die Poisson-Kurve erklärt überraschend gut die Zahl der Spiele die mit einer bestimmten Anzahl geschossener Tore endet. Eine Fußball-Mannschaft in der Bundesliga schießt also nach fast derselben Statistik Tore, nach der ein radioaktiver Atomkern zerfällt - wer hätte das gedacht! Während allerdings eine radioaktive Quelle Strahlung emittiert, „emittiert“ eine Fussball-Mannschaft sozusagen Tore. Es ist wichtig zu bemerken, dass in der Theorie diese „Emission“ von Toren „unkorreliert“ ist, das heißt ein Tor beeinflusst das Fallen des nächsten Tores nicht. Das ist in der Realität allerdings nicht unbedingt gewährleistet.

Wie man mit der Poisson-Verteilung der Tore rechnet zeigt die untenstehende Infobox.

Nun kann auch theoretisch berechnet werden wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass in einem Spiel der Fußball-Bundesliga oder bei einer EM-Endrunde neun Tore fallen. Mit dem Mittelwert \( a = 3 \) ergibt sich: $$ p_3(9) = 3^9 \cdot \frac{e^{-3}}{9!} = 0,0027 = 2,7 \textrm{Promille}.$$ Dieser Wert ist gar nicht so schlecht, denn er stimmt mit den vorher angegebenen drei Promille, die sich durch Auszählen der tatsächlichen Ergebnisse ergeben, recht gut überein. Drei Promille aller Spiele heißt, dass in etwa einem Spiel aus 300 insgesamt neun Tore fallen sollten. Da eine Bundesliga-Saison genau 306 Spiele umfasst, sollte also ein Spiel pro Saison, in dem neun Tore fallen, durchaus zu erwarten sein. Für die EM-Endrunde ist ein solche Torflut jedoch eher unwahrscheinlich. Aber es kann vorkommen, genauso wie es auch mehrmals innerhalb einer Bundesliga-Saison passiert.

Es kann nun auch berechnet werden, wann das nächste Mal wieder genau ein 6:3 zu erwarten ist. In der Bundesliga gab es bisher 10 Mal das Ergebnis 6:3, was 0,74 Promille aller Spiele entspricht. Können wir dies auch mit unserer Poisson-Verteilung berechnen? Ja. Diese Wahrscheinlichkeit ergibt sich einfach zu: $$p_{1,5}(6) \cdot p_{1,5}(3) = \left( 1,5^6 \cdot \frac{e^{-1,5}}{6!}\right)  \cdot  \left( 1,5^3 \cdot \frac{e^{-1,5}}{3!} \right)  = 0,00044 = 0,44 \textrm{Promille}.$$ Hierbei ist zu beachten, dass diesmal die Wahrscheinlichkeit für jede Mannschaft einzeln ausgerechnet wurde, die dann im Durchschnitt nur 1,5 Tore schießt. Dieses Ergebnis ist auch noch mit 2 zu multiplizieren, da sowohl ein 6:3 als auch ein 3:6 in der Statistik mitgezählt wurde. In der Theorie ergibt sich also dann der Wert 0,88 Promille für das Auftreten eines 6:3 Ergebnisses in der Fussball-Bundesliga, was wieder recht gut mit dem tatsächlichen Wert von 0,74 Promille übereinstimmt. Dies bedeutet, dass in einem Spiel aus ungefähr 1300 ein Ergebnis von 6:3 zu erwarten ist. Bei 306 Spielen pro Saison können wir also ein Ergebnis wie im Frühjahr 2008, als Werder Bremen in Stuttgart mit 6:3 unterlegen war, im Durchschnitt nur alle 4 Jahre erwarten! Dies ist jedoch die durchschnittliche Erwartung. In der Realität gibt es da sicher eine größere Streuung. So gab es in den Spielzeiten 2004/05 und 2005/06 jeweils ein solches 6:3 Ergebnis. Allerdings gab es vorher erst in der Saison 1994/95 und davor 1977/78 jeweils wieder ein solches Resultat.

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die Mannschaften der Fußball-Bundesliga etwas Ähnliches sind wie radioaktive Quellen. Sie „emittieren“ Tore nach der gleichen Statistik, nach der Atomkerne zerfallen. Diese Beobachtung erlaubt es Ergebnishäufigkeiten beim Fußball nicht nur durch Auszählen in Datenbanken zu bestimmen, sondern auch mit relativ einfachen Formeln zu berechnen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Mannschaften innerhalb einer Liga nicht zu stark in ihrem Leistungsvermögen schwanken. Es ist klar, dass eine Kreisligamannschaft in der Fußball-Bundesliga, die immer 15:0 verliert, die Statistik stark verändern und eine Poisson-Verteilung dann nicht mehr so gut stimmen würde.

Lesen Sie zu diesem Thema auch: Wie beeinflussen rote Karten den Spielverlauf?

Rechnen mit der Poisson-Statistik.

Beispiele:

Eine Mannschaft schießt im Mittel \( a=2\) Tore. Dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Mannschaft \( k=4 \) Tore schießt:

$$p_2 (4) = 2^4 \cdot \frac{e^{-2}}{ 4!} = 16 \cdot \frac{0,135}{ 1 \cdot 2 \cdot 3 \cdot 4 } = 0,09 = 9\%. $$

Eine andere Mannschaft schießt im Mittel \( b=3\) Tore. Dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Mannschaft \( k=4 \) Tore schießt:

$$p_3 (4) = 3^4 \cdot \frac{e^{-3}}{ 4!} = 81 \cdot \frac{0,050}{ 1 \cdot 2 \cdot 3 \cdot 4  } = 17\%. $$

Wenn diese beiden Mannschaften gegeneinander spielen, dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Spiel unentschieden ausgeht:

$$ p (4:4) = p_2 (4)  \cdot p_3 (4) = 0,09 \cdot 0,015 = 1,5\%. $$

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/fussball-und-radioaktivitaet/