„Wir sehen, wie die ersten Galaxien entstanden“

Timo Ueltzhöffer

Ein Band blau leuchtender Sterne im All

Roland Bacon, ESO/NASA

In den chilenischen Anden blicken Martin Roth und seine Kollegen weit in die Vergangenheit unseres Universums. Mit einer über sieben Tonnen schweren Spezialkamera namens MUSE analysieren sie am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO das Licht, das ferne Sterne, Gasnebel und Galaxien aussenden. Damit lässt sich etwa beobachten, wie sich die Materie im Universum formierte und sich Sterne entwickelten. Doch um insbesondere neue Erkenntnisse über massereiche Sterne zu erlangen, entwickeln die Forscher eine neue Kamera – BlueMUSE. Im Interview mit Welt der Physik berichtet Martin Roth von urzeitlichen Galaxien, kürzlich entdeckten kosmischen Netzwerken und den offenen Fragen, denen die Forscher mit BlueMUSE auf den Grund gehen wollen.

Welt der Physik: Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?

Porträt des Wissenschaftlers Martin Roth

Martin Roth

Martin Roth: Ich interessiere mich besonders dafür, wie Sterne, Gas, Staub und ganze Galaxien im Universum entstanden sind und wie sie sich im Laufe von Jahrmillionen entwickelt haben. Wir wissen, dass Sterne aus riesigen Molekülwolken entstehen. Über viele Millionen Jahre sammelt sich dort Gas und Staub an und verdichtet sich immer weiter, bis die sogenannte Kernfusion einsetzt. Ab diesem Zeitpunkt, der Geburtsstunde des Sterns, verschmelzen Atomkerne miteinander, so dass der Stern über viele Millionen Jahre hinweg Energie gewinnen kann. Sterne können jedoch sehr unterschiedlich sein: Massereiche Sterne, das sind Sterne mit mehr als der achtfachen Masse unserer Sonne, haben eine Lebensdauer von meist etwa fünf bis fünfzehn Millionen Jahren. Sterne mit verhältnismäßig wenig Masse – so wie unsere Sonne – leben bis zu tausendfach länger. Doch es gibt noch viele Fragen, die weitgehend ungeklärt sind: Wie genau wird aus einer Molekülwolke ein Stern? Was bestimmt, ob er viel oder wenig Masse hat? Wie bilden sich Galaxien und warum gibt es verschiedene Arten von Galaxien?

Wie versuchen Sie diese Rätsel zu lösen?

Um die zentralen Eigenschaften eines Sterns zu bestimmen, genügt es nicht, ein Bild aufzunehmen. Vielmehr müssen wir das Licht, das dieser Stern aussendet, analysieren. Denn welches Licht ein Objekt im Universum aussendet, ist abhängig von den chemischen Elementen, die dort vorhanden sind. Welche Elemente genau vorkommen und wie häufig sie dort sind, gibt wiederum Aufschluss über die Eigenschaften des Objekts. So senden etwa Sterne beim Entstehen Licht mit ganz charakteristischen Wellenlängen aus. Indem wir dieses ausgesendete Licht messen, können wir also mehr über die Entstehungsgeschichte und Entwicklung der Materie im Kosmos, zum Beispiel der ersten Sterne und Galaxien, lernen.

Und wie ist das möglich?

Früher konnte man solche Analysen nur von sehr nahen Sternen, wie etwa unserer Sonne, durchführen. Denn je weiter etwas im Universum von uns entfernt sind, desto schwieriger ist es, die einzelnen Objekte zu identifizieren. Gemeinsam mit zahlreichen Kollegen haben wir deswegen eine spezielle Kamera namens MUSE entwickelt. MUSE steht für „Multi Unit Spectroscopic Explorer“ und ist ein Gerät, das über sieben Tonnen wiegt und fest am Very Large Telescope in Chile installiert ist. Dort nutzt MUSE die enorm hohe Auflösung des Teleskops, um extrem weit entfernte Objekte zu analysieren. Es ist nicht nur in der Lage, extrem hochaufgelöste Bilder solcher Objekte aufzunehmen, sondern analysiert das eintreffende Licht an jedem einzelnen Bildpunkt. Mit anderen Worten: MUSE misst an tausenden Bildpunkten gleichzeitig, aus welchen Farben sich das eintreffende Licht zusammensetzt.

Foto einer Maschine in einer Halle; eine Luke öffnet sich zum Nachthimmel und ein kreisrundes Bauteil richtet sich in diese Richtung aus

MUSE am Very Large Telescope

Was haben Sie schon mit MUSE untersucht?

Um ein Beispiel zu nennen: Mit MUSE haben wir genau die Stelle untersucht, an der auch das Hubble Space Telescope die ersten Galaxien nach dem Urknall beobachtet hat. In diesem Beobachtungsfeld – wir sprechen vom „MUSE Extremely Deep Field“ – sehen wir zurück in die Anfänge unseres Universums. Dort haben wir eine Vielzahl neuer Objekte entdeckt und sogar erstmals die Eigenschaften dieser Objekte analysiert. So sehen wir, wie die allerersten Galaxien vor 13 Milliarden Jahren, nur wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, entstanden sind.

Außerdem haben Sie mit MUSE den Raum zwischen solchen urzeitlichen Galaxien untersucht. Was haben Sie dort entdeckt?

Wir wissen unter anderem aus Simulationsrechnungen am Computer, dass die Materie im All nicht gleich verteilt ist. Dazu muss man wissen, dass nicht Sterne und Planeten, sondern die sogenannte Dunkle Materie einen Großteil der Materie im Universum ausmacht. Diese – so die theoretischen Vorhersagen – durchzieht das Universum wie eine Art Schaum. Das heißt, es gibt Orte mit wenig und Orte mit sehr viel Dunkler Materie. Aufgrund der Schwerkraft, die Dunkle Materie auch auf die beobachtbare Materie ausübt, sollten beispielsweise Galaxienhaufen gerade dort entstehen, wo viel Dunkle Materie vorhanden ist. Die Theorien sagen außerdem voraus, dass die Orte, an denen sich sehr viel gewöhnliche Materie befindet, miteinander verbunden sind. Sie können sich das wie Brücken vorstellen, an denen sich wiederum Materie ansammelt. Diese Brücken nennen wir Filamente – und diese konnten wir mit MUSE nun erstmals beobachten.

Welche Bedeutung hat dieses Ergebnis?

Wir haben damit die Theorie der kosmischen Filamente bestätigt. Erstmals haben wir tatsächlich dieses Netzwerk, an dem sich gewöhnliche Materie sammelt und sich in Form von Gas, Sternen oder Galaxien weiterentwickelt, gesehen. Doch es sind noch längst nicht alle Fragen geklärt: Ist das, was wir in dieser Struktur beobachten, eventuell eine Ansammlung unzähliger Zwerggalaxien? Wie wechselwirken Galaxien mit dem Gas der Umgebung? Und wie ist die Umgebung von Galaxien beschaffen? Hier erwarten wir in den kommenden Jahren noch viele weitere spannende Ergebnisse.

Sie arbeiten schon lange mit Geräten wie MUSE und planen nun erneut eine Weiterentwicklung. Wie sieht denn die Zukunft Ihrer Forschung aus?

Sterne im Weltall, eine Bereiche sind grafisch von Vierecken gesondert eingefasst und dadurch hervorgehoben

Sternhaufen R136

In der Tat hat MUSE eine lange Geschichte: Bereits vor 20 Jahren haben wir einen Vorläufer davon, das Potsdam Multi-Aperture Spectrophotometer, kurz PMAS, in Betrieb genommen und damit entfernte Sternhaufen untersucht. Dann wurde MUSE entwickelt. Nun stehen wir wieder vor einer neuen Herausforderung: Denn ein Teil der Sterne sendet auch ultraviolette Strahlung aus. MUSE misst allerdings nur infrarotes und einen Großteil des sichtbaren Lichts, nicht jedoch blaues und ultraviolettes Licht. Deshalb entwickeln wir gerade BlueMUSE – ein Gerät, das genau das leisten wird und für das wir bereits mit PMAS wichtige Vorarbeiten geleistet haben.

Was möchten Sie mit BlueMUSE beobachten?

Wir möchten damit insbesondere massereiche Sterne besser verstehen. Denn bestimmte Wellenlängen der ultravioletten Strahlung sind charakteristisch für chemische Elemente wie Helium, Silizium und Eisen, die wir besonders gut in massereichen Sternen beobachten können. Auch der Frage, was sich zwischen Galaxien und in deren Umgebung befindet, werden wir vermutlich mit BlueMUSE auf die Spur kommen.


Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „BlueMUSE: ein Instrument der dritten Generation für das ESO-VLT“ im Zeitraum von 01.07.2020 bis 30.06.2023 mit rund 580 000 Euro.

Fördersumme: 578 228 Euro

Förderzeitraum: 01.07.2020 bis 30.06.2023

Förderkennzeichen: 05A20BAB, 05A20MGA

Beteiligte Institutionen: Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP), Universität Göttingen

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/wir-sehen-wie-die-ersten-galaxien-entstanden/