„Das würde Kosmologen ins Grübeln bringen”

Dirk Eidemüller

Wissenschaftler im Schutzanzug läuft durch einen Raum mit spiegelnden Metallflächen

KIT

Mehr als zwanzig Jahre existierten Neutrinos nur in der Theorie – in den 1950er-Jahren gelang es erstmals, diese Elementarteilchen nachzuweisen. Wie viel Elektronen-, Myon- und Tauneutrinos jeweils wiegen, ist allerdings nicht genau bekannt. Im Sommer 2018 ging das Karlsruher Tritium Neutrino Experiment – kurz KATRIN – in Betrieb, um die Masse der Elementarteilchen präzise zu vermessen. Welt der Physik sprach mit Christian Weinheimer von der Universität Münster über die ersten Ergebnisse.

Welt der Physik: Warum sind Physiker so daran interessiert, die Masse von Neutrinos möglichst genau zu bestimmen?

Christian Weinheimer: Es gibt vor allem zwei Gründe, warum derzeit intensiv an der Massenbestimmung von Neutrinos gearbeitet wird. Das ist einerseits durch die Teilchenphysik motiviert und andererseits durch die Kosmologie. In der Teilchenphysik sind die Neutrinos die letzten Elementarteilchen, deren Masse man noch nicht genau bestimmen kann. Außerdem ist die Neutrinomasse extrem klein. Ein so kleiner Wert erscheint nach heutigem Wissensstand eher unwahrscheinlich und könnte ein Hinweis darauf sein, dass unsere Modelle nicht vollständig sind. Vielleicht verstecken sich hinter den Neutrinomassen neue Mechanismen, wie Teilchen ihre Masse erhalten. Um das besser analysieren zu können, müssten wir aber erst einmal wissen, wie groß die Masse von Neutrinos überhaupt ist.

Foto von Christian Weinheimer

Christian Weinheimer

Wie hängt die Welt des Kleinsten, die Teilchenphysik, denn mit dem Allergrößten, der Kosmologie, zusammen?

Neben den Lichtteilchen sind Neutrinos in unserem Universum die häufigste Teilchenart. Wir alle werden ständig von einer Unmenge Neutrinos durchströmt, die aber überhaupt keine Wechselwirkung mit uns eingehen. Es gibt also rund eine Milliarde Mal mehr Neutrinos im Universum als Atome. Aufgrund dieser hohen Anzahl spielen sie eine Rolle bei der Entstehung kosmischer Strukturen, wie etwa Galaxienhaufen. Da Neutrinos extrem leicht sind, ist dieser Einfluss zwar gering. Aber die Details kosmologischer Strukturen hängen durchaus von der Neutrinomasse ab. Daraus lässt sich sogar eine obere Grenze für die Neutrinomasse ableiten, die noch genauer ist als die, die wir mit KATRIN erreichen können. Aber solche kosmologischen Modelle hängen immer an einer Vielzahl teilweise unbekannter Parameter. Das heißt nun umgekehrt: Mit einer direkten Massenbestimmung wie mit KATRIN können wir kosmologische Modelle besser eingrenzen.

Wie ist das Experiment aufgebaut?

Wir nutzen in unserem Experiment Tritium – ein instabiles Wasserstoffisotop – und ein großes Spektrometer. Wenn ein Tritiumatom zerfällt, sendet es ein Elektron und ein Elektron-Antineutrino aus. Dieses Neutrino können wir zwar nicht messen, aber dafür bestimmen wir die Energie des Elektrons extrem genau. Die beim Zerfall frei werdende Energie verteilt sich auf die beiden Teilchen, wobei im Extremfall das Elektron die gesamte Bewegungsenergie aufnimmt und das Neutrino nur seine Ruhemasse als Energie erhält. Die Idee hinter KATRIN ist nun, das Energiespektrum der Elektronen im Bereich ihrer Maximalenergie möglichst präzise zu messen. Dadurch lässt sich nach der Einsteinschen Äquivalenz von Masse und Energie auf die Ruhemasse der Neutrinos schließen.

Wie aufwendig ist der Bau der Detektoren, mit denen Sie die Energie der Elektronen messen?

Bei solchen Messungen ist es entscheidend, die Ergebnisse aus mehreren Jahren miteinander vergleichen zu können. Dazu muss man die experimentellen Bedingungen extrem gut kontrollieren – die dafür nötige Technologie mussten wir erst entwickeln. Ein paar Beispiele: Wir müssen die Hochspannung auf eins zu einer Million konstant halten. Wir benötigen ein Vakuum, das so gut wie auf der Mondoberfläche ist und sich im größten Ultrahochvakuumbehälter der Welt befindet. Wir müssen die Temperatur, den Druck und den Tritiumanteil in der gasförmigen Tritiumquelle auf ein Promille konstant halten. Und wir haben eine über 70 Meter lange Strecke von supraleitenden Magneten. Die technischen Neuerungen, die wir hier realisiert haben, sind das Ergebnis von 18 Jahren Forschungsarbeit. Wir freuen uns, dass viele dieser Technologien schon jetzt in anderen Gebieten zum Einsatz kommen. Und natürlich sind wir sehr glücklich und stolz, dass die ganze Apparatur funktioniert und wir jetzt die ersten Ergebnisse präsentieren konnten.

Was haben Sie bereits herausgefunden?

Die Obergrenze, die wir jetzt nach nur einem Monat Messzeit mit KATRIN angeben können, liegt bei 1100 Millielektronenvolt. Wir werden im Lauf der nächsten drei Jahre aber noch rund fünfmal besser werden. Damit werden sich die Neutrinomassen auf jeden Fall in engen Grenzen bestimmen lassen. Am interessantesten wäre es natürlich, eine spezifische Masse zu finden. Das würde die Kosmologen ganz schön ins Grübeln bringen.


Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „KATRIN: Das KATRIN Experiment - Messung der Neutrinomasse aus dem Tritium Beta-Zerfall“ im Zeitraum von Juli 2017 bis Juni 2020 mit rund 2,1 Millionen Euro.

Fördersumme: 2 114 831 Euro

Förderzeitraum: 01.07.2017 bis 30.06.2020

Förderkennzeichen:  05A17PM3, 05A17VK2, 05A17PX3, 05A17WO3, 05A17PDA

Beteiligte Institutionen: Universität Münster, Karlsruher Institut für Technologie, Universität Wuppertal, Technische Universität München, Universität Bonn

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/das-wuerde-kosmologen-ins-gruebeln-bringen/