„Man lernt auf jeden Fall immer etwas Neues“

Jana Harlos

Das Experiment AMS-02 ist im Weltall zu sehen, im Hintergrund die Erde.

Rund achtzig Prozent der Materie im Universum sollen aus einem Stoff bestehen, den bisher noch niemand gesehen hat – aus Dunkler Materie. Erste Hinweise auf diesen rätselhaften Stoff gab es bereits in den 1930er-Jahren. Seither versuchen Physiker die Dunkle Materie in verschiedenen Experimenten und mit verschiedenen Methoden „sichtbar“ zu machen. Forscher der Universität Aachen nutzen dafür das AMS-02-Experiment an Bord der Internationalen Raumstation, das die Eigenschaften der kosmischen Strahlung – also von Protonen, Elektronen und anderen Teilchen, die aus den Weiten des Weltraums auf die Erde treffen – untersucht. Im Fachmagazin „Physical Review Letters“ berichtete das Team nun, möglicherweise Spuren von Dunkler Materie gefunden zu haben. Welt der Physik sprach mit dem beteiligten Wissenschaftler Michael Krämer über die neuen Ergebnisse.

Welt der Physik: Warum ist kosmische Strahlung interessant zum Nachweis von Dunkler Materie?

Michael Krämer: Unserer Vorstellung nach sind die Teilchen der Dunklen Materie in der gesamten Galaxie verteilt und können aufeinandertreffen. Dabei vernichten sie sich gegenseitig und erzeugen viele neue Teilchen und ebenso viele Antiteilchen, die eine entgegengesetzte elektrische Ladung tragen. Diese Spuren der Dunklen Materie sollten sich also in der kosmischen Strahlung nachweisen lassen. Im Wesentlichen besteht die kosmische Strahlung aus gewöhnlichen Materieteilchen wie Protonen und Elektronen. Zudem gibt es einen sehr geringen Anteil an Antiteilchen. Im Fall von Protonen und deren Antiteilchen – den Antiprotonen – ist das Verhältnis ungefähr 10 000 zu 1.

Das Bild zeigt den Forscher Michael Krämer von der Universität Aachen.

Michael Krämer von der Universität Aachen

Sind alle Antiteilchen in der kosmischen Strahlung die Zerfallsprodukte von Dunkler Materie?

Nein, es gibt auch andere astrophysikalische Prozesse, in denen Antiteilchen entstehen – beispielsweise wenn die Teilchen der kosmischen Strahlung mit Gasatomen in der Galaxie zusammenstoßen. Da solche Prozesse aber sehr selten auftreten, bieten sich Antiteilchen an, um nach Dunkler Materie zu suchen. Die Herausforderung bei der Analyse besteht dann allerdings darin, die normalen astrophysikalischen Prozesse – den sogenannten Untergrund – so genau zu beschreiben, dass man Antiteilchen, die aus Dunkler Materie hervorgingen, identifizieren kann.

Welche Daten haben Sie analysiert?

Wir verwenden Teile der Daten, die das AMS-02-Experiment an Bord der Internationalen Raumstation aufnimmt. AMS-02 misst die Anzahl von verschiedenen Teilchenarten in der kosmischen Strahlung, wie Protonen, Elektronen, Antiprotonen und vielen anderen. Zudem erfasst es die Energie, mit der die Teilchen eintreffen. In der aktuellen Studie haben wir uns auf die Analyse von Antiprotonen konzentriert – denn hier liegen inzwischen sehr präzise Daten mit einem sehr geringen Messfehler vor. Aufgrund dieser nie da gewesenen Präzision können wir nun auch sehr kleine Veränderungen in der Anzahl der Antiprotonen in Abhängigkeit ihrer Energie beobachten.

Wie sind Sie bei Ihrer Analyse vorgegangen?

Zunächst setzen wir ein Modell ein, das die kosmische Strahlung ohne den Einfluss der Dunklen Materie beschreibt. Mit diesem Modell erfassen wir die sogenannte kosmische Hintergrundstrahlung, den Untergrund also. Anschließend vergleichen wir den Untergrund mit den im Experiment gemessenen Energien der Antiprotonen. Bei einer bestimmten Energie haben wir nun einen Effekt beobachtet, der nicht mit dem normalen astrophysikalischen Modell vereinbar ist. Diese Anomalie tritt bei einer festen Energie auf, die man eventuell auf Dunkle Materie zurückführen kann. Die Ergebnisse passen schön in das Bild, das wir von Dunkler Materie haben: Wenn sich zwei Teilchen der Dunklen Materie gegenseitig vernichten und dabei unter anderem ein Antiproton entsteht, ist dessen maximale Energie durch die Masse der beiden ursprünglichen Dunkle-Materie-Teilchen festgelegt. Trotzdem würde ich noch nicht sagen, dass wir einen eindeutigen Nachweis von Dunkler Materie gefunden haben.

Zeitgleich hat auch eine andere Forschungsgruppe die Daten analysiert. Bestätigen sich dadurch Ihre Ergebnisse?

Ein Container ist zwischen zahlreichen anderen Gerätschaften auf der Internationalen Raumstation installiert.

AMS-02 auf der ISS

Die Kollegen in China haben unabhängig zu unserer Forschung eine relativ ähnliche Analyse der Daten durchgeführt. Um den astrophysikalischen Untergrund der kosmischen Strahlung zu beschreiben, haben sie etwas andere Modelle verwendet – die Analysemethode unterscheidet sich aber nur geringfügig. Unsere beiden Ergebnisse bestärken sich und zeigen, dass der beobachtete Effekt kein Fehler der Analysemethode ist. Denn zwei Forschungsgruppen haben mit ähnlichen Methoden und leicht unterschiedlichen Annahmen etwas sehr Konsistentes beobachtet.

Wie verlässlich sind die Ergebnisse?

Ein Nachteil der verwendeten Methode ist, dass für die kosmische Strahlung grundlegende physikalische Prozesse noch nicht ausreichend bekannt sind. Dazu gehören beispielsweise Prozesse, in denen neue Teilchen entstehen: Welche Energien haben diese Teilchen? Wie bewegen sich diese Teilchen durch die Galaxie? Und wie werden sie durch Magnetfelder abgelenkt? Wenn man dann einen unbekannten Effekt in den ausgewerteten Daten beobachtet, muss man sich immer die Frage stellen, ob die Ursache dafür vielleicht bestimmte Annahmen des zugrunde gelegten astrophysikalischen Modells – das die Realität ja nur näherungsweise beschreibt – liegt. Können wir einige dieser Annahmen aufgeben und den Effekt so auch ohne Dunkle Materie verstehen? Bisher können wir eine alternative Erklärung jedenfalls nicht definitiv ausschließen.

Wie ließen sich die Ergebnisse überprüfen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, nach Dunkler Materie zu suchen. Zum einen kann man wie unsere Forschungsgruppe nach indirekten Signalen in der kosmischen Strahlung fahnden. Zum anderen kann man in Untergrundexperimenten wie XENON im italienischen Laboratori Nazionali del Gran Sasso direkt nach Dunkler Materie suchen oder deren Teilchen in Beschleunigerexperimenten wie dem LHC gegebenenfalls produzieren und nachweisen. Für mich sind alle drei Methoden zusammengenommen die richtige Art und Weise, um die Dunkle Materie zu erforschen. Jede einzelne Methode hat Vor- und Nachteile – doch im Zusammenspiel hoffen wir, etwas über Dunkle Materie zu lernen. Und selbst wenn wir letztlich keine Dunkle Materie nachgewiesen haben, vertiefen die Experimente und Analysen doch unser Verständnis für kosmische Strahlung und das Universum

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2017/man-lernt-auf-jeden-fall-immer-etwas-neues/