Gezeitenkräfte zerreißen Gasriesen

Rainer Kayser

Künstlerische Darstellung der beiden Planeten bei dem alten Stern KOI 55. Bild: S. Charpinet

Haifa (Israel) – Der 4000 Lichtjahre von der Erde entfernte Stern KOI 55 stellt Astronomen vor ein Rätsel. Denn obwohl das alte Himmelsobjekt bereits die Phase eines aufgeblähten Riesensterns durchlaufen hat, besitzt es zwei erdgroße Planeten, die es auf engen Umlaufbahnen umkreisen. Zwei Forscher präsentieren nun eine ungewöhnliche Erklärung für das System: In der Riesenphase haben Gezeitenkräfte einen Riesenplaneten zerrissen. Aus den Trümmern des Planetenkerns sind die beiden kleinen Planeten entstanden, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Astrophysical Journal“.

„Ein Teil der Trümmerstücke hat die Katastrophe nicht überlebt, sie sind in den Stern gestürzt“, sagt Noam Soker von der Technischen Universität Israel in Haifa. Im vergangenen Jahr hatte ein internationales Forscherteam mit dem Weltraumteleskop Kepler regelmäßige Helligkeitsschwankungen bei dem alten Zwergstern KOI 55 entdeckt. Die Astronomen um Stéphane Charpinet von der Universität Toulouse erklärten diese Variationen mit zwei Planeten, die den Stern alle 5,7 beziehungsweise 8,2 Stunden umrunden. Eine umstrittene Erklärung, da Planeten auf so engen Umlaufbahnen die Riesenphase eines Sterns nicht überstehen sollten.

Charpinet und sein Team sahen in den Planeten Überreste zweier großer Gasplaneten, die ihre Atmosphären in der Riesenphase des Sterns verloren haben. Doch dieses Szenario liefert keine Erklärung dafür, warum die Umlaufbahnen der beiden Planeten sich zueinander in Resonanz befinden: Drei Umläufe des einen Planeten entsprechen gerade zweien des anderen. Darin sehen Soker und sein Kollege Ealeal Bear nun ein Indiz für einen gemeinsamen Ursprung der beiden Himmelskörper. In ihrem Szenario hat sich ein großer Gasplanet dem Stern in seiner Riesenphase so weit genähert, dass er durch dessen Schwerkraft auseinander gerissen wurde.

Dieses Modell liefert auch eine Erklärung dafür, warum KOI 55 kleiner ist als normale alte Sterne nach ihrer Riesenphase: Auf seiner Umlaufbahn im Inneren der ausgedehnten Atmosphäre des aufgeblähten Riesensterns hat der Planet das Gas des Sterns erhitzt. Dadurch hat der Stern ein Teil seiner Außenhülle abgegeben, also an Masse verloren. „Wir sehen hier ein interessantes Beispiel dafür, wie Planeten die Entwicklung ihres Sterns beeinflussen können“, so Soker.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2012/gezeitenkraefte-zerreissen-gasriesen/