Intergalaktische Gasströme lassen Sterne entstehen

Rainer Kayser und Redaktion

Violett-blauer Fleck im All, an dessen oberen rechten Ende ein hellblauer Fluss zuströmt

B. Emonts (NRAO/AUI/NSF)

Die Galaxie namens 4C 41.17 ist gut zwölf Milliarden Lichtjahre von uns entfernt. Nun zeigen Beobachtungen mit der Teleskopanlage ALMA: In ebendiese Galaxie strömt kaltes Gas von außen hinein – und lässt dort rund 250 Sterne pro Jahr entstehen. Diese Entstehungsrate könne der Prozess über einen Zeitraum von 500 Millionen Jahren aufrechterhalten, berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.

Computersimulationen deuteten bereits darauf hin, dass Galaxien im jungen Universum hauptsächlich dadurch wachsen, dass Gas von außen – aus dem intergalaktischen Raum – zuströmt. Dieses Gas würde somit das Rohmaterial für neue Sterne liefern. Es nachzuweisen ist jedoch schwierig. Denn es besteht hauptsächlich aus Wasserstoff, der bei niedrigen Temperaturen keine nachweisbare Strahlung aussendet.

Parabolantennen unter sternreichem Nachthimmel

Die ALMA-Teleskope

Um das Gas aufzuspüren, begibt man sich in der Astronomie eher auf die Suche nach anderen Elementen – wie etwa Kohlenstoff. Kohlenstoff kommt zwar im Vergleich zu Wasserstoff nur in geringen Mengen im Gasstrom vor, verrät sich aber durch elektromagnetische Wellen im Millimeterbereich. Also haben Bjorn Emonts vom National Radio Astronomy Observatory in den USA und sein Team mit der Radioteleskopanlage ALMA die Strahlung von Kohlenstoff in der Galaxie 4C 41.17 untersucht. So wollten sie herausfinden, wie kaltes Gas innerhalb der Galaxie verteilt ist.

Dabei stießen sie zufällig auf Strahlung aus einer Region außerhalb der Galaxie: Dort gibt es offenbar ein dünnes Filament aus kaltem Gas, das bis zu 326 000 Lichtjahre weit aus der Galaxie herausragt. Die genaue Analyse der Daten zeigt, dass sich das Gas dort mit mehreren hunderttausend Kilometern pro Stunde auf die Galaxie zubewegt. Insgesamt, so schätzen die Forschenden, transportiert die Strömung pro Jahr etwa das 450-Fache der Sonnenmasse an Gas in das Innere von 4C 41.17 hinein. Emonts und sein Team sehen darin eine Bestätigung der theoretischen Vorhersagen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Rohmaterial für die Sternentstehung durch kosmische Strömungen außerhalb der Galaxien geliefert wird.“

Es ist allerdings nicht der erste Nachweis eines solchen kühlen Zustroms von Gas. Bereits vor zwei Jahren stieß ein anderes Team bei einer anderen Galaxie auf ein ähnliches Phänomen. In jenem Fall half jedoch die Strahlung von zwei weiter entfernten Objekten – sogenannten Quasaren – bei der Entdeckung. Das Gas ließ sich dort nachweisen, da es einen Teil ihrer Strahlung absorbiert. Doch eine solche Konstellation ist extrem selten – von 70 000 untersuchten Galaxien besaß nur diese geeignete Objekte im Hintergrund.

Im Gegensatz dazu sollte sich das Verfahren aus der aktuellen Studie bei sehr vielen Galaxien anwenden lassen. In einem begleitenden Kommentar zu der Studie weist die Astrophysikerin Caitlin Casey von der University of Texas in Austin darauf hin, dass die Physik solcher Ströme bislang noch nicht richtig verstanden ist. Offen ist etwa, was die Filamente aus kaltem Gas zusammenhält. Um Antworten darauf zu finden, seien weitere Beobachtungen bei einer Vielzahl von Galaxien nötig – und dafür haben Emonts und sein Team jetzt die Grundlage geschaffen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2023/galaxien-intergalaktische-gasstroeme-lassen-sterne-entstehen/