Experimente zur Entstehung chemischer Elemente

Stefan Stohl

Nuklidkartenauszug

Die Frage nach der Entstehung der Materie – und damit des Menschen – im Universum beschäftigt Philosophie, Religionen und Wissenschaft gleichermaßen. Die Physik hat hier in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte erzielt und ein neues Bild entworfen, das zwar unbestritten, in Details jedoch noch ungeklärt ist. Die Anlage FAIR am GSI soll mit ihren einzigartigen technischen Möglichkeiten neue Erkenntnisse zur Entstehung der schweren Elemente im Universums liefern, aber auch Fragen in Bezug auf die in den Kernen wirkenden Kräfte und die subatomaren Symmetrien beantworten.

Eine der herausragenden Erkenntnisse der Physik im letzten Jahrhundert ist das Wissen, dass alle Atomkerne, die schwerer als Lithium sind, in Sternen produziert wurden und weiterhin produziert werden. Vereinfacht gesagt: Die Elemente, die Bausteine, aus denen wir Menschen und unsere Erde bestehen, sind in den verschiedenen Sternenarten entstanden. Um die dabei ablaufenden Prozesse im Detail zu verstehen, müssen Kernphysiker und Astrophysiker eng zusammenarbeiten. Die Astrophysiker liefern dabei unter anderem Informationen zu Temperatur, chemischer Beschaffenheit sowie zu den grundsätzlichen makroskopischen Eigenschaften der Sterne. Die Kernphysiker steuern Daten zu den Massen, Lebenszyklen und Verhaltensweisen der beteiligten Atomkerne bei. Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zeichnen schon heute ein relativ klar umrissenes Bild von der Entstehung der Elemente.

Die leichten und mittelschweren Elemente werden im Inneren der Sterne durch Fusion, also durch die Verschmelzung von Atomkernen erzeugt. Zuerst werden Wasserstoffkerne zu Helium verschmolzen. Ist dieser Prozess abgeschlossen, werden durch Fusionen immer schwerere und größere Atomkerne gebildet. Bei jeder Fusionsreaktion wird Energie frei. Die Fusionsenergie ist wesentlich größer als in jedem chemischen Prozess. Dies ist der Grund, warum die Sonne uns mehrere Milliarden Jahre mit Energie versorgen kann. Das schwerste Element, das in Sternen durch Fusion erzeugt wird, ist Eisen. Da zur Erzeugung noch schwererer Atomkerne durch Fusion zusätzliche Energie notwendig wäre, hört die Reaktionskette hier auf. Sterne mit mehr als der vierfachen Masse unserer Sonne brennen aus, wenn alle leichten Atomkerne zu Eisen fusioniert sind.

Die noch schwereren Elemente entstehen auf unterschiedliche Weise: Zum einen durch den langsamen Neutroneneinfang (s-Prozess) in Roten Riesen und Superriesen über eine Zeitskala von vielen Jahren. Zum anderen durch den schnellen Neutroneneinfang (r-Prozess) bei gewaltigen Sternexplosionen, so genannten Supernovae. Hierbei lagern sich an die leichteren Kerne weitere Neutronen an. Diese instabilen Kerne wandeln sich durch anschließenden Beta-Zerfall, das heißt durch den Zerfall eines Neutrons in ein Proton in das nächst schwerere Element um. An dieses können sich wiederum Neutronen anlagern und der Prozess beginnt von neuem. Im Wechselspiel zwischen Neutroneneinfang und Beta-Zefall können somit alle Elemente bis hin zum Uran gebildet werden. Ein weiterer Prozess, der zu schweren Elementen führt, ist der so genannte schnelle Protoneneinfang (rp-Prozess).

Nuklidkarte: Eintragung der Isotope gemäß ihrer Protonen- und Neutronenanzahl.

Alle Atomkerne sind nach der Anzahl der Protonen und Neutronen sortiert

Da der s-Prozess über relativ stabile Isotope verläuft und diese experimentell leicht nachzubilden sind, ist dieser Reaktionsvorgang grundsätzlich, aber auch quantitativ gut verstanden. Bei den beiden anderen Prozessen sind die Reaktionsvorgänge bisher experimentell nicht oder nur teilweise zugänglich. Deshalb sind diese Prozesse heute nicht genau erforscht und damit ist auch das Verständnis der Entstehung der schweren Elemente im Universum und der astrophysikalischen Mechanismen unzureichend.

An der neuen Anlage FAIR lassen sich die an den Prozessen beteiligten, sehr neutronenreichen und protonenreichen Kerne in großer Anzahl (10.000 mal häufiger als bisher) herstellen und in Experimenten untersuchen. Sie werden erzeugt, indem stabile Ionen mit hohen Geschwindigkeiten auf Materialfolien geschossen werden. Dabei fragmentieren die Atomkerne in verschieden große Bruchstücke, überwiegend in instabile Atomkerne (radioaktive Isotope). Aus der Vielzahl instabiler Kerne lassen sich an der neuen Anlage mit sehr hoher Effizienz diejenigen Isotope herausfiltern, die genauer untersucht werden sollen. Durch ein ausgeklügeltes System von Beschleunigern werden intensive Sekundärstrahlen radioaktiver Kerne erzeugt, gekühlt und in Speicherringen den Kernphysikern für Ihre Experimente zur Verfügung gestellt.

Dadurch können alle bisher unbekannten Isotope im Hinblick auf Masse, Lebensdauer und Reaktionsverhalten genau analysiert werden. Dies ermöglicht den experimentellen Nachweis aller Prozesse, die für die Bildung der schweren Elemente verantwortlich sind. Damit lässt sich zum ersten Mal lückenlos der Weg von den ersten Wasserstoffatomen bis zur Bildung aller Elemente, aus denen unsere Welt besteht, nachvollziehen.

Kräfte im Kern

Die Experimente mit den instabilen protonen- und neutronenreichen Atomkernen sollen auch zur Beantwortung zahlreicher weiterer Fragen beitragen: Ähnlich wie Atome einen elektrisch neutralen Zustand favorisieren, bevorzugen Atomkerne ein ungefähres Gleichgewicht der Anzahl von Protonen und Neutronen. Diesem Bestreben der Bausteine in Atomkernen wirkt die Coloumb-Kraft entgegen, die dafür sorgt, dass die positiv geladenen Protonen im Kern sich abstoßen. Die beiden Kräfte bewirken, dass Protonen und Neutronen nur in ganz bestimmten Verhältnissen stabile Kerne bilden. Werden einem stabilen Kern zum Beispiel immer mehr Protonen oder Neutronen zugeführt, so wird der Kern instabil und zerfällt.

Bei den leichten Atomkernen sind die Eigenschaften der stabilen und instabilen Isotope und alle möglichen Verhältnisse von Protonenzahl zu Neutronenzahl bekannt. Bei den schweren Elementen sind diese jedoch nur unzureichend erforscht. Wie viele Neutronen und Protonen und in welchen Verhältnissen können diese in einem Kern zusammengefasst werden und welche Eigenschaften sind damit verbunden? Die neue Anlage ermöglicht es zum ersten Mal, instabile superschwere Kerne experimentell zu erzeugen und zu studieren. Das erlaubt wiederum wichtige neue Rückschlüsse auf die den Kernen innewohnenden Kräfte und Strukturen.

Durch die Erzeugung von Strahlen aus protonen- und neutronenreichen Atomkernen mit bisher nie erreichter Intensität und Qualität eröffnet die neue Anlage einzigartige Perspektiven für die Erforschung des Atomkerns und die Entstehungsgeschichte der Elemente in allen seinen Facetten.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/experimente/teilchenbeschleuniger/fair/elemententstehung/