Atommüll: Beschleunigt abbauen statt begraben

Während Politiker sich streiten, wo nuklearer Restmüll auf Jahrtausende sicher zu lagern wäre, schlagen Bochumer Forscher vor, den radioaktiven Abbau über einen künstlich eingeleiteten Fusionsprozess auf wenige Jahrzehnte zu verkürzen.

Bochum - Mit einer Kombination aus Metallgehäuse, Abkühlung und Bestrahlung glauben sie, die Halbwertszeit radioaktiver Alphastrahler deutlich verkürzen zu können -- Alphateilchen sind chemisch hoch aktiv und für lebende Zellen besonders schädigend. Auf der Grundlage erster Laborversuche vermuten die Physiker, einen entsprechenden Effekt nachgewiesen zu haben und berichten darüber in mehreren Fachzeitschriften. Andere Forscher stehen dem Prinzip jedoch sehr zweifelnd gegenüber. Und sollte sich die Methode tatsächlich bewähren, dürften bis zum praktischen Einsatz noch viele technische Hürden zu bewältigen sein.

"Dies bedeutet, dass Atommüll wahrscheinlich komplett innerhalb der Lebenszeit jener Menschen beseitigt werden könnte, die ihn verursacht haben", erklärte Claus Rolfs von der Ruhr-Universität Bochum gegenüber dem Fachportal Physics World. Als Astrophysiker hatte Rolfs mithilfe eines Teilchenbeschleunigers die Fusionsreaktionen in Sternen nachgeahmt. Er beschoss unterschiedliche leichte Atomkerne mit Protonen und Deuteronen. Dabei stellte er fest, dass die Fusionsreaktionen bei niedrigen Temperaturen deutlich intensiver abliefen. Besonders effektiv zeigte sich dieser Prozess, wenn sich die beschossenen Kerne statt in Isolatoren in Metall befanden. So könnten Alpha-Teilchen schneller als bisher beobachtet aus den Atomkernen geschleudert werden und die Halbwertszeit für den Alpha-Zerfall senken.

Eine Erklärung dafür ist laut Rolfs, dass die freien Elektronen im Metall wie Elektronen in einem Plasma reagieren (Debye-Modell). Bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt näherten sich die freien Elektronen dem Atomkern an. Ihre Zugkraft beschleunigt positiv geladene Teilchen -- und zwar in zwei Richtungen. Zum einen ziehen sie den Beschuss in Richtung Atomkern, was die gewünschten Fusionsreaktionen wahrscheinlicher macht. Zum anderen schien es aber auch möglich, so Rolfs, dass positiv geladene Teilchen durch die nahen Elektronen aus einem Atomkern herausgelöst werden. Dies würde die Halbwertszeit beim Alpha- und Beta+-Zerfall verkürzen.

Diese Vermutung unterzog Rolfs in einem neuen, deutsch-italienisch-chinesischen Team verschiedenen Tests: In Metall eingebettete radioaktive Atomkerne, auf wenige Grad Kelvin gekühlt, reagierten laut einem Artikel in der Fachzeitschrift "European Physical Journal A" beim Beschuss tatsächlich wie erwartet. Nach Experimenten mit Beryllium-7, Natrium-22 und Polonium-210 wollen sie die Theorie nun an tatsächlichen Brennstoffen von Kernkraftwerken untersuchen, am Radium-Isotop 226.

Rolfs vermutet, seine Methode könnte dessen Halbwertszeit von 1600 Jahren deutlich verkürzen. Seine Schätzung liegt grob zwischen hundert Jahren und einem Jahr. Er sieht keine grundlegenden Probleme, die Methode in praktisch handhabbare Technik umzusetzen -- wenngleich dazu noch viel Forschung nötig wäre. Auch gilt es, Skeptiker in der eigenen Zunft zu überzeugen, die bislang das Prinzip für undurchführbar oder sogar die gesamte theoretische Grundlage für falsch halten.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2006/atommuell-beschleunigt-abbauen-statt-begraben/