„Glas wird bei Raumtemperatur verformbar”

Katharina Luckner

Das Bild zeigt drei Glasscheiben, die jeweils unterschiedlich stark gebogen sind.

coddy/iStock

Die für Fensterscheiben oder Trinkgläser verwendeten Gläser sind nicht flexibel und zerbrechen sehr leicht. Auf der Suche nach neuen Materialien haben Wissenschaftler nun ein Glas hergestellt, das sogar bei Raumtemperatur biegsam ist. Damit eignet es sich beispielsweise für faltbare Displays von künftigen Smartphones. Woraus Glas besteht und wie sich die Eigenschaften des Materials gezielt verändern lassen, erklärt Megan Cordill von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Interview mit Welt der Physik.

Foto von Megal Cordill.

Megan Cordill

Welt der Physik: Was ist Glas?

Megan Cordill: Glas zeichnet sich dadurch aus, dass es ein harter Festkörper ist, dem es aber an innerer Struktur fehlt. In den Materialwissenschaften nennen wir diese Strukturlosigkeit amorph. Am besten kann man sich das in Abgrenzung zu anderen Festkörpern vorstellen: Viele Festkörper haben eine sehr regelmäßige innere Struktur – ihre Atome sind also immer gleich angeordnet oder bestimmte Muster wechseln sich regelmäßig ab. Glas hat zwar die äußeren Merkmale eines Festkörpers, aber die innere Struktur einer Flüssigkeit.

Woraus besteht Glas?

Glas kann aus ganz verschiedenen Verbindungen bestehen. Die Gläser, die wir aus unserem Alltag kennen, werden hauptsächlich aus Siliziumdioxid hergestellt. Das ist im Prinzip geschmolzener Sand. Aber auch Metallverbindungen wie Aluminiumoxid, Plastik oder organische Stoffe können zu Glas werden. Glas bezeichnet also eine strukturelle Eigenschaft eines Stoffs, die unabhängig von der Zusammensetzung ist. Natürlich lassen sich aber nicht alle Materialien gleich gut zu Glas machen, bleiben gegebenenfalls nicht stabil in dem Zustand, oder haben im selbigen vielleicht keine besonders interessanten Verwendungszwecke.

Wie lässt sich Glas herstellen?

Wenn wir einen gasförmigen oder flüssigen Stoff abkühlen, wird er mit fallender Temperatur zunehmend zähflüssiger. Oftmals kristallisiert der Stoff – die Moleküle ordnen sich also in regelmäßigen Strukturen an. Unter bestimmten Bedingungen bleibt dabei die innere Unordnung des Gases oder der Flüssigkeit aber bestehen und verfestigt sich lediglich. Das Glas befindet sich in seinem endgültigen Zustand, wenn es selbst bei weiterer Abkühlung und haushaltsüblicher Erhitzung seinen Zustand behält. Den Übergang vom zähflüssigen zum glasartigen Zustand bezeichnet man als Glasübergang. Egal woraus das Glas besteht, dieser Transformationsprozess ist immer der gleiche.

Welche Eigenschaften hat Glas?

Glas ist oftmals transparent, hitzebeständig und sehr brüchig. Allerdings ist beispielsweise diese Brüchigkeit keine notwendige Eigenschaft von Glas. Denn sie entsteht durch Defekte im Glas, an denen sich beim Abkühlen des Materials doch regelmäßige Strukturen, Hohlräume oder Einschlüsse bilden. Diese Defekte unterbrechen die eigentliche Unordnung der Moleküle und sind mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, sodass beispielsweise ein Trinkglas trotzdem vollkommen transparent ist. An den Defekten ist das Material hohen Spannungen ausgesetzt. Wenn es etwa auf den Boden fällt oder wenn ein Ball gegen eine Fensterscheibe trifft, bricht es an diesen Stellen.

Das Bild zeigt die Forscherin, wie sie mit Handschuhen ein kleines Glasstück unter dem Mikroskop untersucht.

Megan Cordill am Mikroskop

Mit welchen Eigenschaften von Glas beschäftigen Sie sich?

Wir untersuchen, wie sich diese Defekte im Glas beseitigen lassen. Unsere Kollegen aus Finnland stellen Glas aus Aluminiumoxid her, das normalerweise ähnlich brüchig ist wie Fensterglas. Ihr besonderes Herstellungsverfahren unterbindet die Kristallisation zu regelmäßigen Strukturen im Glas. Dieses besondere Glas, das keine Unreinheiten aufweist, hat neue, interessante Eigenschaften – es wird nämlich verformbar.

Wie wird das verformbare Glas hergestellt?

Man erhitzt einen Kristall aus Aluminiumoxid mit einem Laser in kurzen Impulsen sehr stark und sehr schnell. Im kristallinen Zustand – also mit sehr regelmäßig angeordneten Molekülen – sprechen wir bei dem Material von weißem Saphir. Durch die Erhitzung entsteht ein Gas aus Aluminiumoxid. Wenn sich dieses Gas abkühlt, setzen sich die Moleküle auf einem Substrat fest, das selbst keine geordnete Struktur hat. Dadurch wird die erneute Kristallisation des Aluminiumoxids verhindert. Stattdessen entsteht sehr reines Glas, das bei Zimmertemperatur sehr gut verformbar ist und sich beispielsweise auf das Doppelte seiner ursprünglichen Länge dehnen lässt.

Welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es für verformbares Glas?

Besonders die Herstellung von Elektronikgeräten, etwa von Mobiltelefonen und Tablets, ist ein großer Anwendungsbereich für flexibles Glas. Wenn es demnächst faltbare Handys geben soll, brauchen diese eben auch Displays, die das aushalten. Dafür brauchen wir Glas, das man bei Zimmertemperatur stark verformen kann, ohne dass es bricht. Da es zudem noch leichter und gleichzeitig härter ist als Stahl, gibt es zahlreiche Anwendungen weit über Smartphone-Displays hinaus.

Wie geht es in der Forschung rund um verformbares Glas weiter?

Momentan sind die Proben, die im Labor hergestellt werden, nur wenige Mikrometer groß – das reicht natürlich nicht aus, um daraus Smartphone-Displays herzustellen. Es muss also ein Weg gefunden werden, das Material in gleicher Qualität aber größeren Dimensionen herzustellen. Außerdem soll auch aus anderen Stoffen solches Glas hergestellt werden. Denn uns interessiert, ob wir auch aus anderen Grundstoffen ein Glas mit ähnlicher Reinheit und vergleichbaren Eigenschaften herstellen können.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/glas-wird-bei-raumtemperatur-verformbar/