Kühlen mit verflüssigten Gasen

Frank Pobell

Prinzip des Verdünnungskühlers. Erklärung im zugehörigen Artikel.

Der bekannteste und meist verwendete Weg der Kühlung besteht im Zusammenpressen und kontrollierten Ausdehnen von Gasen. Bei der auf die isotherme Kompression eines Gases folgenden adiabatischen Expansion verrichten die Bausteine des Gases, Atome oder Moleküle, Arbeit. Sie vergrößern die Abstände zueinander und müssen dabei gegen ihre gegenseitige Anziehung Arbeit verrichten. Die hierfür notwendige Energie holen sie sich aus ihren thermischen Schwingungen, die dadurch nach und nach geringer werden. Die Ausdehnung eines Gases führt also zu einer effizienten Kühlung.

Dieses Verfahren des sogenannten Joule-Thomson-Effektes ist anwendbar bis zur Verflüssigung des benutzten Gases. Die niedrigsten Verflüssigungstemperaturen unter Normaldruck, also bei einem Bar, liegen bei 4,2 Kelvin (oder minus 269 Grad Celsius) für das Helium-Isotop 4He und bei 3,2 Kelvin für das leichtere Isotop 3He. Durch Abpumpen des Dampfes über der siedenden Flüssigkeit, das heißt durch eine Dampfdruckerniedrigung kann man diese Temperaturen noch weiter auf etwa 1,3 beziehungsweise 0,3 Kelvin herabsetzen. Bei diesen Temperaturen wird der Dampfdruck der Flüssigkeiten so niedrig – er nimmt exponentiell mit der Temperatur ab –, dass eine weitere Absenkung durch Abpumpen des Dampfes extrem schwierig wird. Beim Abpumpen der Gasmoleküle muss die Verdampfungswärme aufgebracht werden, was zur Abkühlung der Flüssigkeit führt.

Im Jahr 1962 wurde ein neues, auf den Eigenschaften der beiden flüssigen Helium-Isotope beruhendes Verfahren für die Kühlung zu noch tieferen Temperaturen vorgeschlagen: das Ausnutzen ihrer Mischungswärme. Eine flüssige Mischung aus 4He und 3He trennt sich bei Temperaturen unterhalb von 0,87 Kelvin in eine 4He-reiche und in eine 3He-reiche Komponente auf. Bei Temperaturen unterhalb von 0,1 Kelvin bestehen diese Komponenten aus einer noch 6,6 Prozent 3He enthaltenden 4He-reichen Komponente und einer darüber schwimmenden, leichteren, nahezu reinen 3He Komponente.

Der Grund für die Phasenseparation ist der dritte Hauptsatz der Thermodynamik. Er besagt, dass die Entropie eines Systems, also die „Unordnung“ eines Systems, mit Annäherung an den absoluten Nullpunkt verschwinden muss. Das bedeutet, dass das System immer mehr Ordnung annehmen muss und diese besteht bei einem Flüssigkeitsgemisch eben in der Auftrennung, der Separation in die Komponenten.

Prinzip des Verdünnungskühlers. Erklärung im zugehörigen Artikel.

Prinzip des Verdünnungskühlers

Die vollständige Separation der beiden Heliumisotope wird – anders als bei klassischen Flüssigkeiten – durch ihre Quanteneigenschaften verhindert. Auf Grund seiner kleineren Masse hat das 3He eine größere Nullpunktsschwingung als das schwerere 4He. Dadurch ist der Abstand zwischen 4He-Atomen in der Flüssigkeit geringer als zwischen 3He Atomen. Dieser unterschiedliche Abstand führt zu einer stärkeren 4He-3He-Bindung im Vergleich zur 3He-3He-Bindung. Die unterschiedliche Bindungsstärke auf Grund der unterschiedlichen Nullpunktsenergie zusammen mit der unterschiedlichen Besetzung von Energiezuständen für das Bose-Teilchen 4He und das Fermi-Teilchen 3He führt zu der endlichen Löslichkeit von 6,6 Prozent des 3He in 4He, auch beim absoluten Nullpunkt. Auf Grund der stärkeren Bindung des 3He in 4He verglichen zu 3He in 3He wird Mischungswärme benötigt, um 3He Atome aus der unteren 4He reichen Mischung in die darüber schwimmende nahezu reine 3He-Phase zu transferieren. Diese Mischungswärme der flüssigen Heliumisotope wird im „3He-4He-Mischungskühler“ zur Kühlung ausgenutzt. Mit diesem eleganten, in der Praxis aber etwas komplizierten Verfahren wurden Temperaturen bis zwei Millikelvin (mK) erreicht. Kommerzielle 3He-4He Mischungskühler erreichen in einfacher Ausführung etwa zwanzig Millikelvin, in aufwendigeren Anlagen sieben Millikelvin. Die entscheidende Vorraussetzung für das Erreichen dieser Temperaturen ist die endliche, relativ hohe Löslichkeit von 3He in 4He, auch bei beliebig tiefen Temperaturen.

Nur so wird – im Gegensatz zum Abpumpen des Dampfes über einer siedenden Flüssigkeit, bei der der Dampfdruck exponentiell mit der Temperatur abnimmt – ein hoher Durchsatz des 3He von der einen in die andere Isotopenflüssigkeit auch bei beliebig tiefen Temperaturen möglich. Bei diesem Verfahren nimmt die Kälteleistung mit abnehmender Temperatur \(T\) nur quadratisch, also mit \(T^2\) ab, anstelle der exponentiellen Abnahme beim Abpumpen des Dampfes über einer Flüssigkeit.

Für die praktische Realisierung muss in der Mischkammer eines derartigen Kühlers kontinuierlich das Isotop 3He der oberen 3He-reichen Phase zugeführt, über die Phasentrennlinie transportiert – dort entsteht dabei der Kühleffekt – und schließlich aus der unteren 4He-reichen Phase abgezogen werden (siehe Abbildung). Eine wesentliche Schwierigkeit des Verfahrens besteht darin, dass es nur zur Kühlung führt, wenn das ankommende 3He höchstens einen Faktor drei wärmer ist als die in der Mischkammer zu erzeugende Temperatur. Das verlangt eine sehr effektive Vorkühlung des ankommenden 3He in Gegenfluss-Wärmetauschern, deren Qualität der entscheidende Faktor für die Qualität eines 3He-4He Mischungskühlers ist. Dieses Verfahren dominiert heute den Millikelvin-Bereich und weltweit sind mehrere hundert 3He-4He Mischungskühler in Betrieb. Ihrer Entwicklung und ihrer Effizienz sind viele Entdeckungen im Millikelvin-Bereich zu verdanken.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/analyse-von-materialien/kuehlung/kuehlen-mit-gas/