Synthetische Mikrobiologie

Lisa Leander

Grafik von stäbchenförmigen Bakterien, von denen sehr lange, dünne Fäden ausgehen.

Für die synthetische Mikrobiologie studieren Wissenschaftler die Vorgänge in Mikroorganismen, um dann das Design der Zellen so zu verändern, dass sie zum Beispiel Chemikalien für die Industrie oder medizinische Wirkstoffe produzieren. Lisa Leander sprach für den Podcast mit Bruno Eckhardt von der Universität Marburg über Stoffwechselwege auf der Mikrometerskala und das besondere Verhalten von Zellkolonien. Hier finden Sie den Beitrag zum Nachlesen.

Mikroorganismen bestehen meist nur aus einzelnen Zellen, dennoch haben sie heutzutage eine große Bedeutung in der Industrie, zum Beispiel bei der Produktion von Arzneimitteln oder in der Biotechnologie. Um die Zellen nutzen zu können, müssen Forscher grundlegend verstehen, wie sie sich teilen, wie ihr Stoffwechsel funktioniert und welche biochemischen Signale sie aussenden können, die wiederum andere Zellen beeinflussen. Die synthetische Mikrobiologie hat es sich zum Ziel gemacht, diese Abläufe zu untersuchen, zu verändern und in einem letzten Schritt Zellen mit neuen Eigenschaften künstlich herzustellen. Dazu arbeiten Wissenschaftler aus vielen Bereichen zusammen, unter anderem auch Physiker. Denn nicht nur die Mikroskoptechniken, mit denen Zellen untersucht werden, basieren auf physikalischen Prinzipien. Oft helfen Physiker bei der Beschreibung der Organismen selbst.

Porträt eines Mannes mit Brille

Bruno Eckhardt

Bruno Eckhardt: In diesen Mikroorganismen sind die chemischen Bestandteile, die Proteine, nicht immer in den Mengen vorhanden, dass sie durch kontinuierliche Vergleichungen beschrieben werden können und dass die Wirkungsweise so direkt und effizient ist, wie sie in den Schlüssel-Schloss-Prinzipien der Biologie beschrieben wird. Man muss damit rechnen, dass Prozesse mit Fehlern ablaufen oder dass Fluktuationen auftreten. Die Beschreibung von Fluktuationen ist eines der Grundelemente der statistischen Physik, damit kommen dann auch Verfahren der statistischen Physik zum Tragen.

Die Untersuchung der Organismen wird noch schwieriger, wenn man bedenkt, dass sich die Verteilung der Proteine in der Zelle häufig verändert. Diese Schwankungen nennen Wissenschaftler Oszillation.

Man beobachtet, dass die Proteine erst an einem Zellpol lokalisiert sind und sich nach einer Weile am anderen Zellpol sammeln – und dann wieder zurückkehren. Dieser Wechsel von Zellpol zu Zellpol ist relativ regelmäßig und mit einer relativ gut identifizierbaren Periodizität verbunden. Es gibt Beispiele, bei denen Forscher das Ganze in vitro nachgebildet haben, dabei findet man die gleichen raumzeitlichen Muster, die man aus anderen musterbildenden chemischen Reaktionen kennt. Der besondere Charme bei den biologischen Systemen ist, dass sie mit Funktionen der Zelle verbunden sind – und die Herausforderung ist die Identifikation der beteiligten molekularen Player.

Eine der Funktionen, mit denen diese Vorgänge zusammenhängen, ist die Teilung der Zellen. Durch das Wandern der Proteine wird die Mitte der Zelle und damit der Punkt für die Teilung definiert. Außerdem können Mikroorganismen durch Oszillation ihre Bewegungsrichtung ändern. Einige Bakterien haben für Richtungsänderungen und Fortbewegung noch ein anderes Mittel: die Flagellen. Sie bestehen aus Proteinfäden oder Ausstülpungen der Zelle und können einzeln oder als Bündel auftreten.

Rötlich eingefärbtes Mikroskopbild von einem Verband von Zellen. Drei davon befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Teilung, in ihnen sind die Chromosomen als fadenförmige Strukturen deutlich erkennbar, sie befinden sich in der Mitte der Zelle und werden nach zwei Seiten auseinander gezogen.

Zellteilung

Diese Flagellen werden angetrieben von einem Motor, der im Wesentlichen aufgebaut ist wie ein Elektromotor und angetrieben wird durch einen Protonenfluss. Der Motor versetzt die fadenförmigen Flagellen in Rotation und durch diese Rotation bewegen sich die Bakterien fort.

Nachdem sie die molekulare Struktur verstanden haben, gehen Forscher in der synthetischen Mikrobiologie dazu über, den Aufbau der Flagellen zu variieren.

Man kann sie länger machen, man kann sie kürzer machen oder ihre Anzahl verändern und die Bakterien damit in die Lage versetzen, sich schneller, langsamer oder anders zu bewegen. Wir untersuchen, wie sich das auf die Strömungen um die Bakterien auswirkt, was passiert, wenn mehrere von ihnen zusammenkommen, und wie das Zusammenspiel von vielen Bakterien in diesen Kolonien funktioniert.

Wenn Bakterien oder andere Organismen beginnen, zu solchen Kolonien zusammenzurücken, verhalten sie sich anders als zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich noch frei bewegen konnten.

Grafik von stäbchenförmigen Bakterien, von denen sehr lange, dünne Fäden ausgehen.

Bakterien mit Flagellen

Dann gibt es Differenzierung in den einzelnen Zellen, die zum Teil ihre Flagellen abwerfen, die anfangen, extrazelluläre Polymere auszuschütten, mit denen dann die Zellen zusammenrücken, zusammenkleben und einen Biofilm bilden. In diesem Biofilm beobachtet man auch eine Arbeitsteilung: Die weiter innen liegenden Zellen übernehmen andere Funktionen als die, die an den Oberflächen sind.

Biofilme können sehr lästig sein, etwa auf Prothesen im Inneren des menschlichen Körpers oder bei Lebensmitteln. Eckhardt und seine Kollegen versuchen hinter die Mechanismen zu kommen, über die Biofilme funktionieren, damit man zum Beispiel ihre Bildung verhindern kann. Andererseits geben Biofilme einen faszinierenden Einblick in die Selbstorganisation von Zellen.

Ein anderer Organismus, der in dem Zusammenhang untersucht wurde und der faszinierend ist, ist eine Grünalge, genannt Volvox. Sie bildet als Einzelalge oder in Gruppen von einigen wenigen Algen einen kompakten Ball. Wenn die Zahl der Algen allerdings sehr groß wird, beginnen sie einen Hohlkörper zu bilden. Der Übergang kann plausibel gemacht werden durch die Betrachtung von Energie- und Versorgungsbilanzen, die für diesen Hohlkörper mit der großen Oberfläche und mit dem direkten Zugang zu den Organismen einfacher und günstiger ist als bei einem kompakten Organismus, wo die Zellen im Inneren nur mit Mühe versorgt werden können.

Mikroskopbild einer grünlichen Kugel aus Zellen mit körniger Oberfläche.

Zellkolonien der Grünalge Volvox als Hohlkörper

Neben der gezielten Veränderung existierender Zellen beschäftigen sich die Forscher mit dem Bau von sogenannten Minimalorganismen. Dabei soll rein synthetisch und aus so wenigen Komponenten wie möglich eine funktionierende Zelle konstruiert werden. Werden die Minimalorganismen dann weiterentwickelt, könnten sie einen großen praktischen Nutzen haben.

Wenn man die Stoffwechselwege genügend gut verstanden hat, kann man Zellen davon überzeugen, Produkte herzustellen, die sie unter normalen Bedingungen nicht herstellen würden. Das kann man dazu verwenden, gezielt in Wirtsorganismen biotechnologisch relevante Produkte herzustellen – angefangen bei Antibiotika, über Antikörper bis hin zu Feinchemikalien für die weiße Biotechnologie.

Ein Ziel der Wissenschaftler besteht darin, biologische Module zu erstellen, mit denen sich nach einer Art Baukastenprinzip Zellen mit den gewünschten Eigenschaften konstruieren lassen. Sie könnten die Grundlage bilden für neue Technologien, mit denen die Industrie neue Medikamente, Chemikalien oder Biokraftstoffe produziert. Minimalorganismen können außerdem interessant sein für die grundsätzliche Frage, wie sich einfach aufgebaute Zellen als erste Lebensformen auf der Erde entwickelt haben. Auf diese Weise greifen das Verständnis und das Design von Zellfunktionen immer wieder eng ineinander, damit Wissenschaftler die natürlichen Potenziale der Mikroorganismen einerseits kennenlernen und andererseits voll ausschöpfen können.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/zwischen-belebtem-und-unbelebtem/synthetische-mikrobiologie/