Wie Ameisen große Lasten tragen

Jan Oliver Löfken

Knapp dreißig Ameisen tragen einen weißen Ring.

E. Fonio/Weizmann Institute Rehovot

Ameisen gehören zu den stärksten Lebewesen überhaupt. Allein können sie bis zum Vierzigfachen ihres eigenen Gewichts tragen. In einer Gruppe wuchten sie sogar Lasten von bis zu 50 Gramm – bei einem Körpergewicht von jeweils nur knapp zehn Milligramm. Möglich wird das durch eine ausgeklügelte Koordination, berichten Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift „Nature Physics“. Mithilfe von Videoaufnahmen und physikalischen Modellen von Vielteilchensystemen entschlüsselten die Forscher das kooperative Verhalten der Insekten.

„Alleine eine große Anzahl von Ameisen reicht nicht aus, um schwere Lasten zielgerichtet zu tragen“, erläutern Ofer Feinerman vom Weizmann-Institut für Wissenschaften im israelischen Rehovot und seine Kollegen. Zusätzlich sei ein permanenter Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Ameisen nötig. Im Unterschied zu anderen Insekten benötigen Ameisen dazu aber keine Duftstoffe, Blickkontakte oder direkte Tastreize, wie die Experimente der Forscher zeigen. Das Team um Feinerman analysierte den Informationsaustausch zwischen Ameisen, die gemeinsam ein Objekt mit einem Durchmesser von knapp zwei Zentimetern zu ihrem Nest tragen. Dabei griffen die Forscher sowohl auf eigene Videoaufnahmen der Art Paratrechina longicornis als auch auf ähnliche Daten anderer Forschergruppen zurück.

Während des Transports eines großen und schweren Objekts nehmen einzelne Ameisen demnach die Richtung und Stärke der Kraft wahr, die am Kontaktpunkt zur Last wirkt. Auf diese Kraft stimmen die Insekten dann ihr Verhalten ab. Je größer die Ameisengruppe, so ließ sich in den Videos beobachten, desto schneller transportiert sie die Last zu ihrem Nest. Damit die Insekten dabei in die korrekte Richtung laufen, sind allerdings zusätzliche Ameisen nötig. Diese individuell handelnden Tiere geben den Weg zum Nest vor, indem sie die Last im vorderen Bereich in die richtige Richtung ziehen. Für die anderen Insekten verändert sich dadurch die wirkende Kraft, sie ändern ihr Verhalten und folgen der vorgegebenen Richtung.

Parallel durchgeführte Berechnungen der Forscher zeigen, dass das Verhalten der Ameisen im Wesentlichen einem Vielteilchensystem aus miteinander gekoppelten Partikeln entspricht. Denn die einzelnen Ameisen sind über die auf sie wirkenden Kräfte miteinander gekoppelt. Und auch das Eingreifen einzelner Ameisen findet in dem Modell von Vielteilchensystemen eine Entsprechung: So wirken sich kleine Störungen ebenfalls direkt auf die Dynamik aller Teilchen aus. An diesen Ergebnissen werden nicht nur Biologen und Verhaltensforscher großes Interesse haben. Sie könnten auch als Vorlage für eine berechenbare Kontrolle von selbstständigen und kooperativ handelnden Robotersystemen dienen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2018/wie-ameisen-grosse-lasten-tragen/