„Die unbekannten Eigenschaften der Natur“

Olaf Zimmermann

Das Bild zeigt eine lange Metallröhre, die durch die Mitte eines kreisförmigen Experiments läuft. Rechts davon stehen zwei Männer.

Maximilien Brice/CERN

Mit dem Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN untersuchen Physiker die winzigsten Bausteine der Materie. Mit den beiden Experimenten ATLAS und CMS fahnden sie aber auch nach bisher unbekannten Teilchen, etwa nach Kandidaten für die rätselhafte Dunkle Materie. Um die Teilchenspuren künftig noch präziser vermessen zu können, haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren den innersten Teil des CMS-Detektors erneuert. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Peter Schleper von der Universität Hamburg, welche Arbeiten er und seine Kollegen am Detektor vorgenommen haben und wie das Experiment künftig zur Suche nach neuer Physik beitragen kann.

Welt der Physik: Was untersuchen Sie mit dem CMS-Detektor?

Peter Schleper: Mit dem CMS-Experiment suchen wir unter anderem nach Teilchen, die nur sehr selten bei den Kollisionen von Protonen im Teilchenbeschleuniger LHC entstehen – wie beispielsweise das Higgs-Boson, das wir 2012 erstmals nachgewiesen haben. Die für uns interessanten Teilchen können wir im Detektor allerdings nicht direkt messen. Sie zerfallen entweder zu schnell – wie es auch bei dem Higgs-Boson der Fall ist – oder sie interagieren nur wenig mit anderer Materie und verlassen den Detektor deshalb unbemerkt.

Das Bild zeigt eine etwa zwanzig Meter hohe, ringförmige Maschine. In der Mitte des Rings stehen einige Techniker.

CMS-Detektor

Wie lassen sich solche Teilchen dennoch aufspüren?

Manche Teilchen lassen sich sehr gut nachweisen, wenn sie mit den einzelnen Segmenten des Detektors reagieren. Anhand solcher Teilchen können wir dann rekonstruieren, aus welchen anderen seltenen Teilchen sie entstanden sein müssen. Dazu machen unsere Kollegen theoretische Vorhersagen für die verschiedenen Teilchenzerfälle und wir vergleichen diese dann mit unseren experimentellen Ergebnissen. Die theoretischen Vorhersagen sind extrem schwierig, denn die Rechnungen werden umso aufwendiger, je genauer man werden möchte. In letzter Zeit wurden dabei große Fortschritte gemacht, sodass diese Berechnungen teilweise genauer sind als unsere Messdaten.

Warum haben Sie den CMS-Detektor in den vergangenen Jahren teilweise erneuert?

Um die gesuchten Teilchen nachzuweisen, müssen wir sehr viele Teilchenkollisionen beobachten. In Zukunft wollen wir die Datenmenge um das Hundertfache erhöhen. Dafür lassen wir im LHC mehr Teilchen auf einmal miteinander kollidieren, sodass wir etwa die zehnfache Datenmenge in der gleichen Zeit aufnehmen können. Zusätzlich haben wir die Beschleunigerenergie erhöht. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass interessante Teilchen bei den Kollisionen entstehen. Damit der CMS-Detektor mit den erhöhten Kollisionsraten zurechtkommt, haben wir ihn in den vergangenen Jahren erweitert.

Welche Komponenten des Detektors wurden erneuert?

Wir haben bis Anfang 2018 den sogenannten Pixeldetektor auf den neuesten Stand gebracht. Diese Komponente besteht aus drei einzelnen Schichten, die jeweils registrieren, wenn ein Teilchen durch sie hindurchfliegt. Auf diese Weise lässt sich die Teilchenspur rekonstruieren. Wir haben nun den gesamten Detektor erneuert und vor allem eine vierte Schicht hinzugefügt – ein großer Aufwand, denn diese Bauteile gibt es nirgendwo zu kaufen, sondern müssen selbst entwickelt werden. Der neue Pixeldetektor kann zum Beispiel dicht nebeneinanderliegende Teilchenbahnen besser unterscheiden sowie Impulse und Teilchenzerfälle genauer messen. An dem Ausbau sind verschiedene Arbeitsgruppen des CMS-Experiments beteiligt, unter anderem im Rahmen der Verbundforschung des BMBF. Gemeinsam mit Forschergruppen der Universität Hamburg, der Technischen Universität Aachen, dem Karlsruher Institut für Technologie und dem Forschungszentrum DESY in Hamburg haben wir in einem Verbundprojekt etwa die Hälfte der neuen Detektorkomponenten gebaut.

Das Bild zeigt zwei Techniker, die am inneren Ring des CMS-Detektors arbeiten.

Einbau des Pixeldetektors

Sind in Zukunft noch weitere Umbauten des CMS-Detektors geplant?

Wir werden in den nächsten Jahren erst einmal weitere Daten sammeln und nach neuer Physik suchen. Ab 2021 gibt es dann eine neue Ausbauphase: Die Anzahl der gleichzeitigen Protonenkollisionen im LHC soll nochmals gesteigert werden. Dafür passen wir auch den CMS-Detektor noch einmal an. Neben dem Pixeldetektor sollen in diesem „Phase-2-Upgrade“ auch die weiter außen liegenden Komponenten des Detektors komplett neu gebaut und verbessert werden.

Was wollen Sie mit dem verbesserten Detektor untersuchen?

Mit den Experimenten der letzten Jahre haben wir das Higgs-Boson bereits näher untersucht: Wir haben seine Masse bestimmt und den Zerfall in einige andere Elementarteilchen nachgewiesen. Und würden die theoretischen Vorhersagen irgendwann nicht zu unseren Messdaten passen, hätten wir möglicherweise Hinweise auf Physik, die über unser theoretisches Modell – das Standardmodell der Teilchenphysik – hinausgeht. Das Standardmodell beschreibt zwar viele physikalische Effekte sehr gut. Allerdings gibt es noch weitere Phänomene in der Natur, die wir bislang nicht verstehen und die das Standardmodell nicht erklären kann. Beispielsweise weiß man bislang noch nicht, woraus die sogenannte Dunkle Materie besteht. Wir vermuten, dass Dunkle Materie auch bei den Kollisionen im LHC entstehen könnte, und hoffen, mit unseren Experimente mögliche Kandidaten für diese bisher unbekannten Partikel zu finden.

Gibt es noch andere bisher unbekannte Teilchen, nach denen Sie suchen?

In der theoretischen Physik gibt es sehr gut begründete Erweiterungen des Standardmodells, die zusätzliche Teilchen vorhersagen. Es gibt beispielsweise die sogenannte Theorie der Supersymmetrie – eine versteckte Symmetrie in der Natur, gemäß der es zu jedem bekannten Teilchen ein supersymmetrisches Partnerteilchen gibt. Die Theorie sagt somit viele neue Teilchen voraus. Wir wissen bereits, dass die meisten dieser Teilchen deutlich schwerer sein müssen als alle Teilchen, die wir bisher gefunden haben. Nach solchen unbekannten Eigenschaften der Natur suchen wir also ebenfalls in unseren Experimenten. So wollen wir nach und nach unser Wissen über die Elementarteilchen erweitern.


Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert dieses Projekt im Zeitraum von Juli 2015 bis Dezember 2018 mit rund 4,3 Millionen Euro.

Fördersumme: 4 322 004 Euro

Förderzeitraum: 01.07.2015 bis 31.12.2018

Förderkennzeichen: 05H15GUCC1

Beteiligte Institutionen: Universität Hamburg

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/die-unbekannten-eigenschaften-der-natur/