Wie die Venus ihr Wasser verliert

Rainer Kayser und Redaktion

Auf dunklem Hintergrund rechts oben große Kugel, davor zwei unterschiedliche kleine Kugel, links unten eine weitere Kugel mit Schweif

Aurore Simonnet/Laboratory for Atmospheric and Space Physics/University of Colorado at Boulder

Die Venus und die Erde sind sich sehr ähnlich: Sie besitzen etwa die gleiche Masse und den gleichen Durchmesser. Im Gegensatz zur Erde ist die Venus aber extrem trocken. Denn der Planet befindet sich näher an der Sonne als die Erde und das ursprünglich vorhandene Wasser ist daher mittlerweile fast vollständig ins All verdampft. Wie ein Forschungsteam jetzt zeigt, wurde jedoch ein wichtiger Prozess übersehen, der erheblich zum Wasserverlust der Venus beiträgt. Aufgrund dieses Prozesses erhält die Atmosphäre der Venus heute sogar mehr neues Wasser als bislang angenommen, berichten die Forschenden im Fachblatt „Nature“.

Kugel mit Flecken

Venus in ferner Vergangenheit

Ursprünglich besaß die Venus vermutlich etwa genauso viel Wasser wie die Erde – was ungefähr einem globalen Ozean mit drei Kilometern Tiefe entsprechen würde. Die Erde zieht 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ihre Bahn und hat eine Oberflächentemperatur, die flüssiges Wasser ermöglicht. Die Venus ist lediglich 108 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt und wird dadurch stärker erwärmt, sodass ihr gesamtes flüssiges Wasser inzwischen verdampft ist. Der überwiegende Teil entwich ins Weltall und der Rest befindet sich in der Atmosphäre.

Aus dem Inneren der Venus gelangt zwar durch Vulkanismus neues Wasser in die Atmosphäre, ebenso durch Asteroiden und Kometen. Doch eine Reihe chemischer Prozesse, durch die Wassermoleküle aufgespalten werden, halten den geringen Wassergehalt der Venusatmosphäre in einem Gleichgewicht. Wie Michael Chaffin von der University of Colorado in Boulder und sein Team nun zeigten, wurde bei den bisherigen Modellen dieses Gleichgewichts allerdings ein wichtiger Prozess übersehen – die sogenannte dissoziative Rekombination.

Der Wasserverlust wird verdoppelt

Bei diesem Vorgang trifft ein Formylkation, ein elektrisch positiv geladenes Molekül, das unter anderem aus einem Wasserstoffatom besteht, auf ein freies Elektron. Das Ion zerfällt in Kohlenmonoxid und ein Wasserstoffatom und da letzteres das leichteste chemische Element ist, kann es ins All entweichen. „Dieser Prozess führt nahezu zu einer Verdopplung des Wasserverlusts in der Venusamosphäre“, stellen Chaffin und sein Team fest.

Der Prozess löst zwei ungelöste Fragen aus den bisherigen Modellen: Zum einen dauert ohne die dissoziative Rekombination der Verlust der ursprünglichen Wassermenge zu lange, um das heutige Gleichgewicht zu erreichen. Durch den Rekombinationsprozess könnte sich das Gleichgewicht aber bereits vor etwa zwei Milliarden Jahren eingestellt haben. Zum anderen war bislang unklar, warum die Venusatmosphäre etwa 120 Mal stärker mit Deuterium angereichert ist als die irdische Atmosphäre. Deuterium ist schwerer Wasserstoff, der in seinem Atomkern zusätzlich zum Proton ein Neutron enthält. Aufgrund seines höheren Gewichts entweicht weniger Deuterium ins All als normaler Wasserstoff – und durch die dissoziative Rekombination wird dieser Unterschied weiter verstärkt.

Wenn aber durch die dissoziative Rekombination derzeit etwa doppelt so viel Wasser verloren geht wie bislang angenommen, muss – um das Gleichgewicht zu erhalten – der Atmosphäre auch doppelt so viel Wasser neu zugeführt werden. Darin sehen die Forschenden jedoch kein Problem, da weder die Effekte durch Vulkanismus noch durch Asteroiden und Kometen genau bekannt sind. Um ihr Modell vor Ort zu prüfen, drängen Chaffin und sein Team nun darauf, bei künftigen Raumsonden auch Detektoren für den Nachweis von Formylkationen mit an Bord zu nehmen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2024/sonnensystem-wie-die-venus-ihr-wasser-verliert/