Dem Higgs-Boson weiter auf der Spur

Wolfgang Mader

Der ATLAS-Detektor hat die Form eines Zylinders und misst im Querschnitt über 20 Meter.

Wenn es um die Forschung an den stärksten Beschleunigern der Welt geht, macht ein Teilchen immer wieder Schlagzeilen: Schon seit Jahren suchen Physiker nach dem Higgs-Boson, das bisher zwar nur in der Theorie existiert, aber eine wichtige Rolle im Standardmodell der Teilchenphysik spielen könnte. Aktuell sammeln Forscher weitere Daten, um den Massenbereich einzugrenzen, in dem das Higgs-Boson möglicherweise zu finden ist.

Dieser Artikel gibt den Stand der Suche nach dem Higgs-Boson Mitte 2012 wieder. Die neuere Entwicklung können Sie in diesem Artikel nachlesen.

Der ATLAS-Detektor hat die Form eines Zylinders und misst im Querschnitt über zwanzig Meter.

ATLAS-Experiment am CERN

Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt seit etwa fünfzig Jahren sehr erfolgreich die bekannten Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen. Die wichtigste Frage, die bisher im Rahmen dieses Modells nicht beantwortet werden konnte, ist: Woher erhalten die Elementarteilchen ihre Masse? Der britische Physiker Peter Higgs schlug 1964, zeitgleich mit anderen, eine Theorie vor, die diese Frage beantworten würde. Diese sagt die Existenz eines neuen Elementarteilchens, des sogenannten Higgs-Teilchens oder Higgs-Bosons voraus, welches bisher trotz intensiver Suche experimentell nicht direkt nachgewiesen werden konnte.

Mit den großen Datenmengen, die bisher an den Teilchenbeschleunigern der Forschungszentren Fermilab in den USA und CERN in der Schweiz aufgezeichnet werden konnten, hoffen die Teilchenphysiker, diesem letzten fehlenden Baustein des Standardmodells endlich auf die Spur zu kommen. Physiker aus aller Welt trafen sich im Sommer 2011 in Grenoble (Frankreich) und Mumbai (Indien), um die neuesten Ergebnisse der Suche nach dem Higgs-Boson zu diskutieren.

Die experimentelle Signatur des Higgs-Bosons hängt von seiner Masse ab, welche im Rahmen des Standardmodells nicht vorhergesagt werden kann. Je höher die Energie eines Beschleunigers ist, umso größer ist der Massenbereich, in dem nach dem Higgs-Boson gesucht werden kann. Für niedrige Massen, das heißt kleiner als etwa 140 Gigaelektronenenvolt (GeV, ein GeV entspricht einer Milliarde Elektronenvolt), zerfällt es überwiegend in zwei Photonen, zwei Tau-Leptonen oder in ein Paar von b-Quarks. Für größere Massen dominieren die Zerfallskanäle in ein Paar von W- oder Z-Bosonen. Daher müssen bei der Suche viele unterschiedliche Analysen durchgeführt werden, welche dann zu einem gemeinsamen Ergebnis kombiniert werden.

Das Diagramm fasst verschiedene Daten der Experimente am Tevatron zusammen, die als gelbe und grüne Bereiche gekennzeichnet sind. Die durchgezogene schwarze Linie verläuft etwa in der Mitte und unterschreitet den Wert 1 an zwei Stellen.

CDF- und D0-Daten

Am Beschleuniger Tevatron am Fermilab wurden Protonen und deren Antiteilchen, die Anti-Protonen, mit einer Energie von je einer Billion Elektronenvolt (ein Teraelektronenvolt, TeV) zur Kollision gebracht. Die Daten wurden von den zwei Experimenten am Tevatron, CDF und D0, aufgezeichnet. Am wahrscheinlichsten ist es, hier die Produktion des Higgs-Bosons durch seinen Zerfall in zwei W-Bosonen nachzuweisen. Die Ergebnisse der Suche sind in Bild 2 als Funktion der angenommenen Masse des Higgs-Bosons grafisch dargestellt. In dem Massenbereich, in dem die schwarze, durchgezogene Linie den Wert von 1 unterschreitet, kann die Existenz eines Higgs-Bosons, wie es im Standardmodell vorhergesagt wird, mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent ausgeschlossen werden. Der von den Experimenten CDF und D0 ausgeschlossene Massenbereich liegt somit zwischen 156 und 177 GeV sowie zwischen 100 und 109 GeV.

Daten des Atlas-Experiments aufgetragen im Diagramm, der Massebereich auf der X-Achse geht von 100 bis 600 Gigaelektronenvolt, die schwarze Linie liegt nur am Anfang und am Ende über dem Wert von 1.

ATLAS-Daten

Der Beschleuniger LHC am CERN ist in der aktuellen Messkampagne seit Ende 2009 im Betrieb und liefert seitdem sehr erfolgreich Daten. Diese werden von den beiden Experimenten ATLAS und CMS erfasst und analysiert. Am LHC werden Protonen seit April 2012 mit einer Energie von jeweils 4 TeV zur Kollision gebracht. Aufgrund der höheren Energien könnten hier auch mögliche Higgs-Bosonen mit einer deutlich höheren Masse entdeckt werden. Die experimentellen Ergebnisse, die sich wiederum aus einer Kombination vieler einzelner Analysen zusammensetzen, sind für ATLAS in Bild 3 und für CMS in Bild 4 dargestellt. Beide Experimente können damit die Existenz eines wie im Standardmodell vorhergesagten Higgs-Bosons im Massenbereich zwischen etwa 140 und 450 GeV ausschließen.

Im Februar 2012 veröffentlichten Forscher der ATLAS- und CMS-Kollaboration neue Studien, die den Massenbereich für das Higgs-Teilchen weiter einschränken: auf 116 bis 131 GeV laut Ergebnissen von ATLAS und auf 115 bis 127 bei CMS. Interessante Beobachtungen machten die Forschergruppen beider Experimenten vor allem im Bereich von 124 bis 126 GeV, allerdings waren sie nicht eindeutig genug, um als Entdeckung zu gelten.

Und wie geht es weiter?

Der mögliche Massenbereich für ein Standardmodell-Higgs-Boson konnte also von den Experimenten am Tevatron und am LHC mit den bisherigen Daten erheblich eingeschränkt werden. In den folgenden Monaten werden sich die Analysen vor allem auf einen Massenbereich unterhalb von 140 GeV konzentrieren, der bisher noch nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Signaturen eines Higgs-Bosons sind hier experimentell deutlich komplexer, und mehr Daten sind notwendig, um seine Existenz nachzuweisen oder auszuschließen.

Daten des CMS-Experiments aufgetragen im Diagramm, der Massebereich auf der X-Achse geht von 100 bis 600 Gigaelektronenvolt, die schwarze Linie liegt nur am Anfang und am Ende über dem Wert von 1.

CMS-Daten

Am LHC geht die Datennahme fast ununterbrochen bis Ende 2012 weiter. Zu diesem Zeitpunkt könnten – wenn alles gut läuft – die beiden Experimente ATLAS und CMS rund fünfmal mehr Daten aufgezeichnet haben als zurzeit verfügbar sind. Mit einer solchen Datenmenge wird es dann möglich sein, ein Standardmodell-Higgs-Boson im gesamten Massenbereich zwischen 114 GeV und ungefähr 600 GeV entweder zu entdecken, oder dessen Existenz auszuschließen. Das Tevatron am Fermilab hat noch bis zum 30. September 2011 Daten genommen, bevor der Beschleuniger endgültig außer Betrieb ging. Die letzten Analysen ergaben einen möglichen Massenbereich für das Higgs zwischen 115 und 135 GeV.

Selbst wenn bis dahin das Standardmodell-Higgs-Boson nicht entdeckt werden kann, geht die Suche weiter. Es existieren bereits weiterführende Theorien, wie zum Beispiel die Supersymmetrie, in der die Existenz von fünf Higgs-Bosonen vorhergesagt wird, die bisher von den experimentellen Ergebnissen nicht ausgeschlossen wurden.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/experimente/teilchenbeschleuniger/cern-lhc/forschung-am-lhc/higgs-boson/