Tumortherapie mit Schwerionen-Bestrahlung

Gerhard Kraft

Praktische Anwendungen von großer Bedeutung entstehen oft aus der Grundlagen-Forschung und derem wissenschaftlichen Umfeld. So auch die Tumortherapie mit schweren Ionen, deren Entwicklung vor 35 Jahren in der Biophysik der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt begann.

Die Schwerionentherapie ist eine neue Form der Krebsbestrahlung und bietet bei strahlungsresistenten Tumorformen größere Heilungschancen. Gegenüber herkömmlicher Röntgenbehandlung arbeitet sie präziser und schonender: Der Ionenstrahl aus dem Beschleuniger hat eine feste Reichweite mit einem Dosis-Maximum am Ende der Reichweite, das durch Energievariation in der Tiefe verschoben werden kann. Zwar gibt auch ein Kohlenstoffstrahl den größten Teil seiner Energie unterwegs – also auf dem Weg zum Tumor – ab, aber mit einer geringeren Energiedichte, die weniger irreparable Schäden erzeugt. Erst am Ende der Reichweite nimmt die Energiedichte und damit die Schadensdichte soweit zu, dass mindestens ein irreparabler Schaden pro Zellkern erzeugt wird. So können die Kohlenstoff-Ionenstrahlen punktgenau Tumorzellen tief im Körperinneren zerstören, während sie die darüber liegenden Schichten gesunden Gewebes kaum schädigen. Für die leichteren Ionen ist die biologische Wirkungssteigerung im Tumor geringer, für Ionen schwerer als Kohlenstoff wird bereits das vor dem Tumor liegende Normalgewebe stark geschädigt.

Vergleich der Bestrahlungspläne von Kohlenstoffionen- und ProtonenbestrahlungTumortherapie mit Schwerionen-Bestrahlung

Galerie: Tumortherapie mit Schwerionen-Bestrahlung

Ein weiterer Vorteil der Kohlenstoff-Ionenstrahlen ist die geringe Aufstreuung im Gewebe, die den Strahl auch bei großen Eindringtiefen nur um ein bis zwei Millimeter verbreitert. Mit einer präzisen Steuerung eignet sich der Kohlenstoff-Ionenstrahl besonders für die Krebsbehandlung in oder nahe an wichtigen Organen, etwa im Hirn oder an der Schädelbasis – oder für Tumoren, die von empfindlichem Gewebe umgeben sind, etwa Weichteilsarkome und Prostatakarzinome. Mithilfe dreidimensionaler Bilder lassen sich Patienten bei der Schwerionentherapie robotergestützt positionieren. Theoretische Lösungen, um auch Atembewegungen zu berücksichtigen, sind im Test.

Ein Beschleunigersystem, das von Patient zu Patient zwischen Protonen und Kohlenstoff-Ionen umschalten kann, nahm im Herbst 2009 am Uniklinikum Heidelberg seinen klinischen Betrieb auf. Die Beschleuniger des Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) wurden von der GSI aufgebaut, die Bestrahlungsplanung und die Medizintechnik von Siemens nach der Darmstädter Vorlage neu entwickelt und europaweit zertifiziert.

Weltweit neu an dieser Anlage sind:

  • die biologie-basierte Bestrahlungsplanung
  • die aktive Strahlsteuerung mit dem Rasterscan-System
  • die aktive Energievariation und der schnelle Wechsel der Ionenstrahlen im Beschleuniger
  • eine drehbare Strahlführung (Gantry), mit der die Patienten aus allen Richtungen bestrahlt werden können

An der Anlage wurden bereits mehrere hundert Patienten behandelt. Nach Erreichen des Kapazitätsmaximums sollen etwa eintausend Patienten pro Jahr bestrahlt werden. Außerdem ist ein breites Spektrum strahlenbiologischer und klinischer Forschung geplant.

Lesen Sie im zweiten Teil über die physikalischen Grundlagen der Schwerionenbestrahlung und die Entwicklung dieser Therapieform.

 

Weiterführende Literatur

Amaldi U., Kraft G.: Recent applications of Synchrotrons in cancer therapy with Carbon Ions. europhysics news,. Vol. 36, No. 4, pp.114-118, 2005

Schulz-Ertner D. et al.: Results of Carbon Ion Radiotherapy in 152 Patients. Int. J. Radiation Onc. Biol. Phys., Vol. 58, No. 2, pp. 631-640, 2004

Nikoghosyan A., Schulz-Ertner D., et al.: Evaluation of Therapeutic Potential of Heavy Ion Therapy for Patients with locally advanced Prostate Cancer. Int. J. Radiation Onc. Biol. Phys., Vol. 58, No. 1, pp. 89-97, 2004

Kraft G.: Tumor Therapy with Heavy Charged Particles. Progress in Part. and Nucl. Phys., Vol. 45, Suppl. 2, pp. S473-S544, 2000

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/tumortherapie/