„Eine universelle Sprache“

Katharina Luckner

Das Bild zeigt eine Kugel aus Silizium.

PTB

Im Jahr 1875 beschlossen 17 Staaten die Meterkonvention und legten damit den Grundstein für das Internationale Einheitensystem. Am 20. Mai 2019 – dem Tag des Messens – wird das Einheitensystem reformiert: Alle sieben Basiseinheiten werden künftig über Konstanten definiert. Warum diese Neudefinition notwendig war und was sie für die Allgemeinheit und die Wissenschaften bedeutet, erklärt Jens Simon von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Was ist das Internationale Einheitensystem?

Jens Simon: Das Internationale Einheitensystem hat im Grunde eine lange Tradition, mit Anfängen in der französischen Revolution. Nach der Revolution sollte das damalige chaotische System aus Längen- und Gewichtseinheiten durch ein einheitliches System ersetzt werden. Mit der Meterkonvention von 1875 und der ersten Generalversammlung 1889 wurden das Urmeter und das Urkilogramm als weltweit einheitliche Maße festgelegt. Die Basiseinheiten werden nun am 20. Mai abermals neu definiert, nachdem sich bereits im November 2018 alle Mitgliedstaaten der Meterkonvention trafen, um dem Beschluss einstimmig zuzustimmen.

Ansicht des Konferenzsaals bei der Generalkonferenz im November 2018.

Generalkonferenz 2018

Warum ist eine Neudefinition überhaupt notwendig?

In dem alten System gab es einige Probleme, etwa bei den elektrischen Einheiten. Das Ampere – die Einheit der elektrischen Stromstärke – ist beispielsweise auf Grundlage von einigen idealisierten Annahmen definiert. Auch das Kilogramm bereitet Probleme. Denn jedes Mitglied der Meterkonvention nutzt eine Kopie des Urkilogramms. Regelmäßig kommen Delegierte der Staaten mit diesen Kopien in Paris zusammen, um ihre Kopien mit dem Urkilogramm zu vergleichen. Und dabei wurde festgestellt, dass die Kopien in der Tendenz schwerer werden.

Was genau ändert sich zum 20. Mai?

Durch die Neudefinition der Basiseinheiten ändern sich auch alle anderen Einheiten, denn diese werden von den Basiseinheiten abgeleitet. Dafür werden ab dem 20. Mai alle Basiseinheiten über Konstanten definiert, deren Werte man dafür zunächst sehr präzise messen und festlegen muss. Nehmen wir das Kilogramm als Beispiel: Im Moment ist es über eine Referenzmasse definiert – das Urkilogramm in Sèvres bei Paris. Nach der Umstellung wird es über das Planck‘sche Wirkungsquantum – das Verhältnis der Energie zur Frequenz eines Lichtteilchens – definiert. Diese Herangehensweise ist aber nicht neu. Im Jahr 1983 wurde bereits das Meter offiziell als die Strecke, die das Licht in einem bestimmten Bruchteil einer Sekunde zurücklegt, neu definiert. Dafür haben Forscher den Wert der Lichtgeschwindigkeit festgelegt.

Welche Konstanten dienen künftig noch als Basis für das neue Einheitensystem?

Insgesamt werden künftig die Basiseinheiten mithilfe von sieben Konstanten definiert. Dazu gehören die schon genannten, also die Lichtgeschwindigkeit und das Planck‘sche Wirkungsquantum. Aber auch die Elementarladung – die Ladung eines Elektrons – und die Boltzmannkonstante, die Temperatur und Energie miteinander verknüpft. Diese Konstanten spielen eine entscheidende Rolle in den grundlegenden Theorien der Physik und können damit als Naturkonstanten bezeichnet werden. Eine weitere Konstante für das neue Einheitensystem ist die Avogadro-Konstante, die die Teilchenzahl pro Stoffmenge angibt und damit in der Chemie eine große Rolle spielt. Und dann ist da noch ein Parameter zur Definition der Sekunde, nämlich die Frequenz für den sogenannten „Uhrenübergang“ im Cäsiumatom. In der offiziellen Sprache des Internationalen Einheitensystems werden alle diese Konstanten zusammenfassend als „definierende Konstanten“ bezeichnet.

Optische Strontium-Atomuhr der PTB. Das Bild zeigt einen komplexen Aufbau aus Metal, in dessen Inneren ein violettes Licht leuchtet.

Optische Strontium-Atomuhr der PTB

Damit die neuen Definitionen funktionieren, müssen die Werte der Konstanten festgelegt werden. Wie ist man dabei vorgegangen?

Um die Konstanten so präzise wie möglich zu bestimmen, waren viele Experimente notwendig, die teilweise jahrzehntelang dauerten. Um beispielsweise das Planck‘sche Wirkungsquantum zu bestimmen, wurden zwei verschiedene Experimente durchgeführt – das Wattwaagen-Experiment und das Avogadro-Projekt mit Siliziumkugeln. Das sind komplexe Experimente, die man nur mit vielen Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen durchführen kann. Den Wert einer Konstanten haben wir dann mithilfe des Mittelwerts aller Experimente festgelegt. Wir haben bereits alle Messergebnisse im Sommer 2017 veröffentlicht.

Inwiefern ist das neue System besser als das alte System?

Das neue System ist mindestens genauso gut wie das alte oder sogar besser – wissenschaftlich lässt sich das über die Messunsicherheiten der Werte ausdrücken. Die Unsicherheiten der Naturkonstanten dürfen also nicht größer als die der alten Einheiten sein. Das experimentell umzusetzen, ist den beteiligten Wissenschaftlern nun gelungen. Damit haben Metrologen jetzt erstmalig ein einheitliches, konsistentes System geschaffen – eine Art universelle Sprache. Da sich die Naturkonstanten nicht verändern, im Gegensatz zum Urkilogramm, ist das neue System beständig. Mithilfe der präzise bestimmten Werte wird man nun mit einer Genauigkeit messen können, die vorher nicht möglich war.

Und welche Auswirkungen gibt es für den Alltag?

Hoffentlich keine, denn wir haben die Naturkonstanten deshalb so präzise gemessen, damit das neue System nahtlos an das alte anschließt. Denn ein Kilogramm soll auf der Haushaltswaage am 20. Mai noch den gleichen Wert haben wie zuvor am 19. Mai. Für den Alltag ändert sich also nichts. Doch die Definition der Einheiten ist nun sehr abstrakt und ein wenig komplizierter für die Vorstellungskraft als etwa ein Urkilogramm wie es im Tresor bei Paris liegt.


Alte Definition

  

Neue Definition

Eine Sekunde ist gleich der Dauer von 9 192 631 770 Schwingungen der Strahlung, die der Energie des Übergangs zwischen den zwei Hyperfeinstrukturniveaus des ungestörten Grundzustands von Atomen des Caesiumisotops 133Cs entspricht.

Eine Sekunde ist gleich der Dauer von 9 192 631 770 Schwingungen der Strahlung, die der Energie des Übergangs zwischen den zwei Hyperfeinstrukturniveaus des ungestörten Grundzustands von Atomen des Caesiumisotops 133Cs entspricht.

Das Meter ist die Länge der Strecke, die Licht im Vakuum innerhalb einer 299 792 458-tel Sekunde zurücklegt.

Das Meter ist die Länge der Strecke, die Licht im Vakuum innerhalb einer 299 792 458-tel Sekunde zurücklegt.

Das Kilogramm ist gleich der Masse des Internationalen Kilogrammprototyps.

Die Einheit Kilogramm wird mit der Wirkung (Einheit: kg m² s–1) verknüpft, einer physikalischen Größe in der theoretischen Physik. Zusammen mit der Definition für die Sekunde und den Meter ergibt sich die Definition für das Kilogramm als Funktion des Planck’schen Wirkungsquantums h.

Das Ampere ist die Stärke eines konstanten elektrischen Stromes, der – durch zwei parallele, geradlinige, unendlich lange und im Vakuum im Abstand von einem Meter voneinander angeordnete Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigem Querschnitt fließend – zwischen diesen Leitern je einem Meter Leiterlänge die Kraft 2 · 10–7 Newton hervorrufen würde.

Ein Ampere entspricht dem Stromfluss von 1/ (1,602 176 634 ∙ 10–19) Elementarladungen (Elektronen) pro Sekunde.

Das Kelvin ist der 273,16-te Teil der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunktes des Wassers, der bei 0,01 °C liegt.

Ein Kelvin entspricht einer Änderung der thermodynamischen Temperatur, die mit einer Änderung der thermischen Energie (kT) um 1,380 649 ∙ 10−23 J einhergeht.

Das Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das aus ebenso vielen Einzelteilchen besteht, wie Atome in zwölf Gramm des Kohlenstoffisotops 12C enthalten sind.

Ein Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das 6,022 140 76 ∙ 1023 eines bestimmten Einzelteilchens enthält.

Die Candela ist die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die einfarbige Strahlung der Frequenz 540 · 1012 Hz aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung ein 683-tel Watt pro Steradiant beträgt.

Die Candela ist die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die einfarbige Strahlung der Frequenz 540 · 1012 Hz aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung ein 683-tel Watt pro Steradiant beträgt.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/das-internationale-einheitensystem/neudefinition/