Supraleitende Hochfrequenzkavitäten

David Vogel

Beschleunigungsanimation

Mit Poliermaschinen, 3D-Aufnahmen und höchster Akribie trimmen Forscher im ILC-HiGrade-Labor die Herzstücke zukünftiger Linearbeschleuniger auf optimale Beschleunigungsleistung.

Hochenergiephysiker haben viele Ideen für neue Teilchenbeschleuniger, um die fundamentalen Bausteine der Materie und deren Wechselwirkungen noch genauer zu erforschen. Nur wenige dieser Zukunftsprojekte sind bereits im Entwurfsstadium – eines von ihnen ist beispielsweise der International Linear Collider. Für diesen Linearbeschleuniger, in dem später Elektronen und Positronen mit hohen Energien zusammenstoßen sollen, stellten die Planer im Juni 2013 eine ausführliche Bauanleitung vor.

Zentrales Element des Beschleunigers sind neunzellige Röhren aus dem Metall Niob – die sogenannten Kavitäten oder Hohlraumresonatoren. Darin schwingen starke elektromagnetische Felder, die mehr als eine Milliarde Mal in der Sekunde ihr Vorzeichen wechseln und ihre Energie auf die entlang der Röhrenachse fliegenden Teilchen übertragen. Bei der Betriebstemperatur von zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt leitet Niob elektrischen Strom fast verlustfrei. Im Vergleich zu normalleitenden Materialien wird die Hochfrequenzleistung hunderttausendmal effizienter genutzt und viel mehr Teilchen erreichen die gewünschte Energie. So lässt sich eine höhere Kollisionsrate der beschleunigten Teilchen erzielen – beste Voraussetzungen also für neue Entdeckungen in der Teilchenphysik.

ILC-HiGrade-Labor

Tiefziehen der Zellen

Aliaksandr Navitski vom Forschungszentrum DESY in Hamburg optimiert die Beschleunigerkavitäten gemeinsam mit internationalen Partnern. Im hauseigenen ILC-HiGrade-Labor werden die Kavitäten genau inspiziert, um winzige Schäden am Material aufzuspüren und auszubessern. Denn nachdem die Niobbleche in Form gebogen und miteinander zu Kavitäten verschweißt werden, ist die Oberfläche rau und unrein: Kratzer, herausragende Spitzen und Einschlüsse fremder Stoffe bewirken, dass die Supraleitung stellenweise verloren geht oder andere Störeffekte auftreten. „Die beschädigte Schicht an der inneren Oberfläche erhöht die Verluste“, erklärt Navitski, „deshalb muss man sie abtragen.“

Um die Oberfläche von den Störstellen zu befreien, entwickelten die Forscher mehrere Polierverfahren. Etablierte Verfahren setzen auf die ätzende Wirkung von Säuren. Doch Navitski möchte gerne darauf verzichten: „Wir wollen so weit wie möglich auf ein mechanisches Polierverfahren mit einfachen, umweltfreundlichen Materialien umstellen.“ Dazu befüllen er und seine Kollegen die Kavitäten mit Scheuermedien und drehen diese mitunter mehr als vierzig Stunden lang mit einer Zentrifuge. Zunächst reiben murmelgroße Würfel aus Keramik, Kunststoff oder Holz, dann immer feinere Körner und zuletzt feine Siliziumoxidpulver mit einer Korngröße von vierzig Nanometern am Niob – so oft und so lange, bis die Oberfläche spiegelglatt ist.

Hohe Akribie

Zwei Menschen beobachten eine Metallröhre, die auf einem Labortisch befestigt ist. Längs der  Röhrenachse verläuft eine Stange.

Inspektion der Innenfläche

Nicht jede polierte Niobröhre genügt den Ansprüchen der Forscher. „Für den International Linear Collider brauchen wir etwa 16 000 Kavitäten und wollen im Mittel Beschleunigungsfeldstärken von 35 Megavolt pro Meter erreichen“, so Navitski. „Derzeit sind wir mit standardmäßig knapp unter 30 Megavolt pro Meter auf einem guten Weg.“ Zeigt eine Röhre einmal nicht Höchstleistung, so sind meist punktuelle Fehler dafür verantwortlich, die die Behandlung überstanden haben. Diese können Navitski und sein Team mit einem speziell entwickelten Kamerasystem und Silikonabdrücken submikrometergenau dreidimensional abbilden und sie anschließend gezielt abschleifen.

Vor den Forschern liegt also viel Fleißarbeit. Denn mit den aufwendigen Verfahren wird es einige Zeit in Anspruch nehmen, bis alle Module für den zukünftigen Beschleuniger perfekt sind. Doch die Akribie scheint sich zu lohnen. Brian Foster, Professor an der Universität Hamburg und am DESY, hat die Technologie in den letzten zehn Jahren maßgeblich vorangetrieben. „In über dreißig Jahren an Forschungs- und Entwicklungsarbeit haben wir große Fortschritte an den supraleitenden Hohlraumresonatoren aus Niob erzielt“, kommentiert Foster, „dennoch ist die Technologie noch nicht ausgereizt.“

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/supraleitende-hochfrequenzkavitaeten/