„Das gibt es weltweit noch nicht“

Katharina Luckner

Das Bild zeigt einen blauen Zylinder mit einem aufgesetzten silbernen Kegel, das SAXS-Gerät.

Lehrstuhl für Kristallographie und Strukturphysik/Universität Erlangen-Nürnberg

Um beispielsweise Arzneimittel zu entwickeln, müssen Forscher nanometergroße Strukturen untersuchen. Solche winzig kleinen Partikel lassen sich mit Lichtmikroskopen nicht mehr auflösen, sodass Wissenschaftler auf andere Methoden zurückgreifen: Bislang schicken sie entweder Neutronen oder Röntgenstrahlen durch ihre Probe, um so mehr über deren inneren Aufbau zu erfahren. Physiker haben nun ein portables Messgerät entwickelt, mit dem sich Proben nun erstmals gleichzeitig mit Neutronen und Röntgenstrahlen analysieren lassen. Wie das Gerät funktioniert und wie Forscher es künftig am Institut Laue-Langevin in Grenoble nutzen wollen, erklärt Tobias Unruh von der Universität Erlangen-Nürnberg im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Auf welche winzig kleinen Partikel haben Sie es abgesehen?

Tobias Unruh: Wir haben es in unserer Forschung oft mit Partikeln zu tun, die teilweise aus organischer und teilweise aus anorganischer Materie bestehen – also aus Strukturen mit und ohne Kohlenstoffverbindungen. Und diese Partikel möchten wir im Detail analysieren. Doch wir können Strukturen dieser Größenordnungen – typischerweise von einigen Nanometern – nicht mit Lichtmikroskopen untersuchen, da deren Auflösung nicht ausreicht. Mit Elektronenmikroskopen bekämen wir zwar die passende Auflösung, allerdings müssten wir auch sehr stark in die Probe eingreifen. Um aber ein System in seinem natürlichen Zustand anzuschauen, nutzen wir die sogenannte Neutronen- und Röntgenkleinwinkelstreuung.

Das Bild zeigt den Wissenschaftler und Interviewpartner Tobias Unruh

Tobias Unruh

Wie funktionieren die Röntgen- beziehungsweise Neutronenkleinwinkelstreuung?

Für die Röntgenkleinwinkelstreuung nutzen wir Röntgenstrahlung mit einer festen Wellenlänge und für die Neutronenkleinwinkelstreuung nutzen wir Neutronen – die elektrisch ungeladenen Bestandteile der Atomkerne – mit einer bestimmten Energie. Die Neutronen werden an einer Neutronenquelle erzeugt, wie zum Beispiel am Institut Laue-Langevin. Den Röntgen- oder Neutronenstrahl richten wir dann auf eine Probe, an der die einzelnen Lichtteilchen beziehungsweise Neutronen gestreut werden. Indem wir das Streumuster der abgelenkten Teilchen hinter der Probe detektieren, können wir auf die Struktur der Probe rückschließen. Und wie der Name schon sagt, werden die Teilchen an Objekten dieser Größe in kleinen Winkeln gestreut.

Worin unterscheiden sich die Experimente mit Röntgenstrahlung und Neutronen?

Röntgenstrahlen und Neutronen werden an verschiedenen Strukturen gestreut – Röntgenstrahlen an Elektronen und Neutronen am Atomkern. Dadurch ergeben sich bei Röntgenstrahlen und Neutronen unterschiedliche Streumuster, abhängig von der Zusammensetzung der Probe. Die Röntgenstrahlen werden besonders stark an schweren Elementen gestreut, weil diese viele Elektronen haben. Die Neutronen werden relativ dazu an eher leichten Elementen gestreut. So lässt sich mit Röntgenstrahlung beispielsweise die Größe und Form anorganischer Partikel sehr genau bestimmen, während die Neutronen stärker die organische Hülle solcher Partikel sichtbar machen können.

Man analysiert Proben schon lange mithilfe der Neutronen- und der Röntgenkleinwinkelstreuung – bisher allerdings separat. Warum kombinieren Sie nun beide Methoden?

Die gerade beschriebenen Unterschiede zwischen der Streuung von Neutronen- und Röntgenstrahlung bedeuten, dass sich der organische Teil – der viel Wasserstoff enthält – gut mit Neutronen betrachten lässt und der anorganische Teil sehr gut mit Röntgenstrahlung. Man braucht also oft beide Methoden, um ein vollständiges Bild von der Entstehung oder dem Aufbau eines Materials zu erhalten. Bisher müssen die Messungen nacheinander und an verschiedenen Orten durchgeführt werden. Doch die Probe kann sich verändern, wenn wir sie bewegen. Daher ist es extrem problematisch, eine Probe an zwei Orten zu unterschiedlichen Zeiten zu messen – mit unserem neu entwickelten Gerät lässt sich dieses Problem jetzt endlich lösen.

Das Bild zeigt das neue Instrument, an dem noch Ketten für den Kran befestigt sind, mit dem es in die Probenumgebung gebracht wurde. Hinter der Spitze des Instruments ist das große rote Detektorrohr zu sehen.

Experimenteller Aufbau

Was ist das für ein Gerät?

Es handelt sich um ein portables Gerät für die Röntgenkleinwinkelstreuung, das wir in Erlangen gebaut haben. Inzwischen wurde das Gerät an das Institut Laue-Langevin in Grenoble transportiert, wo es dann mit einem Kran in die Probenumgebung zur Neutronenkleinwinkelstreuung gebracht werden soll. Anschließend werden wir den Röntgen- und den Neutronenstrahl so justieren, dass sich die beiden an einem Punkt treffen. Und dort wird die Probe positioniert, sodass man gleichzeitig beide Streumuster messen kann.

Wann werden die ersten Messungen starten?

Das Gerät selbst ist soweit fertig und wir haben schon die ersten Messungen durchgeführt. In den vergangenen Wochen haben wir noch an der Software für den finalen Betrieb gefeilt. Am 13. Mai wurde das fertige Gerät dann zur Neutronenquelle gebracht. Momentan befindet sich das Institut Laue-Langevin in der Abschaltpause. Das heißt, wir können problemlos aufbauen. Mit dem voraussichtlichen Anlaufen des Reaktors am 11. Juni werden wir dann die ersten Neutronen nutzen, um die neue Messmethode auszuprobieren. Dabei wird uns das tolle Team unserer Kooperationspartner am Institut Laue-Langevin kräftig unterstützen.

Was lässt sich mit der neuen Messmethode erforschen, wenn alles fertig aufgebaut ist?

Das reicht von biologischen Fragestellungen über pharmazeutische Anwendungen bis zur Materialforschung: Dünne Filme, Gele oder Dispersionen sind Systeme, die häufig Nanostrukturen beinhalten. Zu den Anwendungsgebieten zählen damit beispielsweise auch die Entwicklung neuer Tinten für Tintenstrahldrucker oder neuer Werkstoffe für 3D-Drucker. Besonders interessant sind für uns die Eigenschaften von Stoffen, in denen sich anorganische und organische Partikel verbinden. So werden in der Solarzellenforschung anorganische Materialien mit organischen Farbstoffmolekülen kombiniert. Wir möchten dann herausfinden, wie sich diese Farbstoffmoleküle auf den anorganischen Nanopartikeln anlagern und sich auf der Oberfläche der Partikel orientieren. Mit dem neuen Gerät eröffnet sich jetzt die Möglichkeit, solche zusammengesetzten Stoffe besonders gut untersuchen zu können.


Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „Bau eines SAXS-Instruments am D22 für simultane SANS-SAXS-Messungen“ im Zeitraum von Juli 2016 bis Dezember 2020 mit rund 1,5 Millionen Euro.

Fördersumme: 1 488 240  Euro

Förderzeitraum: 01.07.2016 bis 31.12.2020

Förderkennzeichen: 05K16WE1

Beteiligte Institutionen: Universität Erlangen-Nürnberg

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/erforschung-kondensierter-materie/das-gibt-es-weltweit-noch-nicht/