Das Universum im Netz

Franziska Konitzer

Ein Observatorium mit geöffneter Kuppel auf einem Berg über den Wolken.

Himmelsdurchmusterungen mit Milliarden von Sternen und Galaxien, tiefe Einblicke in die Frühzeit des Universums oder gewaltige Simulationsrechnungen zur Entstehung von Sternen: Die astronomische und astrophysikalische Forschung erzeugt eine gigantische Flut an Daten über den Kosmos. Das sogenannte virtuelle Observatorium will diese Informationen frei zugänglich machen – nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für die Öffentlichkeit. Diese Daten zu sammeln, zu archivieren und vor allem so aufzubereiten, dass sie jederzeit weltweit über das Internet verfügbar sind, ist eine sehr aufwendige Aufgabe. Dies soll durch internationale Koordination und Kooperation ermöglicht und erleichtert werden. Der deutsche Beitrag zur „International Virtual Observatory Alliance“ wird gegenwärtig vom Bundesforschungsministerium gefördert: Im Rahmen der Verbundforschung entwickelt das German Astrophysical Virtual Observatory, kurz GAVO, neue Datenstandards und Software für den freien Internetzugang zum Universum.

Vor einem schwarzen Hintergrund befinden sich zahlreiche Galaxien. Bei manchen von ihnen ist klar eine Spiralstruktur erkennbar.

Galaxien aus dem Sloan Digital Sky Survey

Für die meisten Menschen ist es eine Routineübung, Informationen im Internet zu suchen, beispielsweise für den nächsten Konzertbesuch. Über das Programm des Konzerts und sein Datum gelangt man zum Veranstaltungsort. Man kann nachsehen, welche anderen Konzerte dort noch gegeben werden und sich über das Orchester informieren. „So etwas möchten wir auch in der Astronomie und Astrophysik erreichen“, sagt Joachim Wambsganß von der Universität Heidelberg. Nur geht es dann eben nicht um eine Veranstaltung, sondern um Sterne und weit entfernte Quasare, um Schwarze Löcher oder eine Himmelsdurchmusterung. Das Ziel dabei ist ambitioniert. „Alle Wissenschaftler auf der Welt sollen Zugang zu möglichst allen astronomischen Daten haben“, so Wambsganß.

Konkret heißt das: Interessiert sich jemand beispielsweise für Sirius, den hellsten Stern am Nachthimmel, kann er gezielt online nach astronomischen Aufnahmen von Sirius suchen und nicht nur erfahren, wo er am Himmel steht und wie weit er entfernt ist, sondern auch sämtliche Zusatzinformationen finden: Wie und in welchem Rahmen wurde er bereits beobachtet, welche Aufnahmen in welchen Wellenlängenbereichen gibt es zu welchen Zeiten von ihm? Darauf könnte der Interessierte dann direkt zugreifen und Verbindungen knüpfen, indem er sich etwa alle Sterne anzeigen lässt, die ähnlich weit entfernt sind wie Sirius, die genauso alt sind, die dieselbe Zusammensetzung aus chemischen Elementen aufweisen oder er könnte sich den Verlauf seiner Helligkeit im Verlauf der Zeit darstellen lassen. Alle Informationen sind so nur ein paar Klicks weit entfernt.

Diesen Plänen verschreibt sich bereits seit rund zwanzig Jahren das Virtual Observatory oder übersetzt das virtuelle Observatorium. Auch Joachim Wambsganß arbeitet daran mit: „Das virtuelle Observatorium ist eine Organisationsstruktur, um das ‚Universum an deinen Fingerspitzen‘ wahr werden zu lassen“.

Die infrage kommenden Daten haben viele Wissenschaftlergruppen über Jahre und Jahrzehnte gesammelt oder erzeugt. Beispielsweise indem sie mit Teleskopen den Nachthimmel fotografieren und vermessen, Spektren oder Zeitreihen aufnehmen oder mit aufwendigen Simulationsrechnungen astrophysikalische Fragestellungen beantworten. Die in Worten und Tabellen formulierten Erkenntnisse aus der Datenanalyse finden sich in speziellen Fachmagazinen und sind somit zumindest für die Fachgemeinde zugänglich. Die zugrunde liegenden Datensätze – die oft noch viel mehr Informationen enthalten – kennen in der Regel aber nur die beteiligten Wissenschaftler.

Eine ovalförmige Karte der Milchstraße. Die Namen prominenter Objekte sind auf der Karte gekennzeichnet.

Himmelskarte aus Gaia-Daten

„Es gibt schon seit einigen Jahren in der Wissenschaft eine Bewegung, die sich Open Data nennt. Nach deren Forderungen gehören wissenschaftliche Daten – insbesondere solche, die mit öffentlichen Geldern erhoben wurden – allen und sollten frei zugänglich sein, zumindest nach einer gewissen Zeit. In diesem Sinne muss ein Umdenken einsetzen: Es muss selbstverständlich werden, Daten zu veröffentlichen”, sagt Wambsganß. „Wissenschaftler fragen sich natürlich, warum sie die selbst erhobenen Daten für alle freigeben sollen. Das ist einerseits mit einem extra Aufwand verbunden, andererseits könnten dadurch ja Kollegen weitere Entdeckungen machen oder gar Fehler in der Analyse entdecken." Um dies dennoch zu erreichen – denn sowohl die Nachnutzung wissenschaftlicher Daten als auch die Überprüfbarkeit der ursprünglichen Ergebnisse sind Bestandteile guter wissenschaftliche Praxis – , müssen „Belohnungssysteme“ geschaffen werden: Wenn veröffentlichte Daten zitierbar gemacht werden, dann erhalten die Wissenschaftler, die die Daten bereit stellen, auch die notwendige Anerkennung.

Laut Wambsganß sind gerade in der Astronomie die Voraussetzungen für ein internationales Open-Data-Projekt sehr gut. „Wir benutzen alle dieselben Geräte“, berichtet er. „So fahren Astronomen aus der ganzen Welt nach Chile, um dort mit den Großteleskopen der Europäischen Südsternwarte ihre Beobachtungen zu machen. Deshalb hat man schon vor vielen Jahren erreicht, dass an nahezu allen Teleskopen der Welt dieselben Datenformate verwendet werden.“ Darüber hinaus ist die astronomische Gemeinschaft recht klein. Selbst in den forschungsstarken Industrieländern gibt es jeweils meist nur einige Hundert Astronomen und Astrophysiker. Das erleichtert die Kommunikation erheblich. „Dazu kommt, dass unsere Daten keinen kommerziellen Wert haben und nicht schutzbedürftig sind“, so Wambsganß. „Sie können damit weder ein Patent anmelden noch die finanzielle Situation oder den Gesundheitszustand eines Menschen erfahren.“

Teilweise ist dieses Umdenken hin zu Open Data in vollem Gang: Neben Wissenschaftlern, die ihre eigenen Daten dem virtuellen Observatorium zur Verfügung stellen, sind es vor allem auch riesige Beobachtungsprojekte, die ihre Daten öffentlich machen – beispielsweise die Himmelsdurchmusterung mit dem Weltraumteleskop Gaia der Europäischen Weltraumagentur ESA. Deren erste große Datenveröffentlichung im September vergangenen Jahres enthält hochgenaue Positionen von über einer Milliarde Sternen. Zukünftig wollen die beteiligten Forscher auch noch die Entfernungen und Eigenbewegungen veröffentlichen. Und auch die derzeit größte Himmelsdurchmusterung, der Sloan Digital Sky Survey, ist mit dabei, genau wie das Großteleskopsystem Pan-STARRS, das von Hawaii aus den gesamten dort sichtbaren Nachthimmel bis zu viermal im Monat aufnimmt. Allein bei Pan-STARRS kommen so pro Nacht einige Terabyte an Daten zusammen.

Vor einem schwarzen Hintergrund befinden sich viele bunte Punkte, die ein zufälliges Muster ergeben.

Kartenausschnitt des Universums

Die Pflege des virtuellen Observatoriums ist eine Mammutaufgabe. Alle verfügbaren Daten müssen so gesammelt, archiviert und standardisiert aufbereitet werden, dass sie von jedem Schreibtisch oder Laptop auf der Welt über das Internet frei zugänglich und durchsuchbar sind. „Es reicht bei Weitem nicht, wenn einzelne Wissenschaftler sich darum kümmern“, so Wambsganß. Im Fall des virtuellen Observatoriums ist es die IVOA, kurz für International Virtual Observatory Alliance, die den Auf- und Ausbau der Datenplattform organisiert und koordiniert. „Diese Gruppe erhält aber selbst keine finanzielle Förderung“, erklärt Wambsganß. „Zur Unterstützung dieser Aktivitäten ist in jedem Land eine nationale Förderung notwendig, deshalb muss es auch eine nationale Organisationsstruktur geben.“ In Deutschland handelt es sich dabei um das German Astrophysical Virtual Observatory, kurz GAVO, das den nationalen Beitrag zum internationalen virtuellen Observatorium leistet.

„Zum einen ist es wichtig, sich international auf Standards zu einigen, damit es eine gemeinsame Grundlage für die Archivierung und den Zugang zu den Daten gibt“, sagt Wambsganß. Hierfür entwickeln die Forscher Datenstandards und Softwaretools – beteiligt sind gegenwärtig die Universität Heidelberg sowie das Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam, auch die Universitäten Tübingen und Bonn haben in früheren Phasen mitgewirkt. Neben der Pflege des virtuellen Observatoriums sind aber auch Kommunikation und Weiterbildung der Astronomen wichtige Bestandteile des Projekts. „Es ist sehr wichtig, die nationale Gemeinschaft über diese Entwicklungen zu informieren und in der Nutzung zu schulen“, erklärt Wambsganß. „GAVO bietet an, den Wissenschaftlern an jedem astronomischen Institut in Deutschland diese neuen Methoden vorzustellen – und ihnen beizubringen, wie sie diese nutzen können.“ Darüber hinaus steht das virtuelle Observatorium auch Privatpersonen offen. „Im Grunde kann das jeder nutzen“, so Wambsganß.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/das-universum-im-netz/