3D-Spektrograf MUSE

Maike Pollmann

Diese Aufnahme zeigt das VLT-Hauptteleskop 4 in seiner Kuppel. Das Teleskop selbst befindet sich in der Mitte und das neue MUSE-Instrument links im Bild.

Am Very Large Telescope in der chilenischen Atacamawüste nahmen Astronomen kürzlich das Instrument MUSE in Betrieb, den bisher leistungsfähigsten optischen Spektrografen. Forscher aus Göttingen und Potsdam sind maßgeblich an diesem Projekt beteiligt.

Auf dem 2600 Meter hohen Cerro Paranal in der chilenischen Atacamawüste steht das Very Large Telescope, kurz VLT. Das riesige Observatorium der Europäischen Südsternwarte besteht aus vier Einzelteleskopen mit Spiegeldurchmessern von jeweils 8,2 Metern. Astronomen aus aller Welt kommen hierher, um den Südhimmel vom optischen bis zum infraroten Spektralbereich zu beobachten.

Neben hochauflösenden Kameras verwenden sie dabei auch Spektrografen, die das eintreffende Licht in seine Spektralfarben aufspalten. Auf diese Weise lässt sich die Intensität des Lichts bei verschiedenen Wellenlängen messen. Aus solchen Spektren können Astrophysiker dann viele Eigenschaften der beobachteten Objekte ableiten, beispielsweise ob sie rotieren, welche Temperatur sie besitzen oder aus welchen chemischen Elementen sie bestehen.

Bildgebende Spektroskopie

Herkömmliche Spaltspektrografen haben jedoch einen großen Nachteil: Mit ihnen lassen sich jeweils nur einzelne Punkte oder Linien am Nachthimmel abbilden. Während sich Sterne auf diese Weise noch gut erfassen lassen, müssen Astronomen größere Objekte wie Galaxien oder ausgedehnte Nebel in vielen Durchgängen abscannen und aus den Daten später Linie für Linie ein Bild zusammensetzen.

Dieses Manko überwindet das Konzept der bildgebenden oder 3D-Spektroskopie, bei der Spektren über das gesamte Gesichtsfeld des Teleskops aufgezeichnet werden. Für jeden Bildpunkt einer zweidimensionalen Aufnahme erhält man als dritte Dimension ein Spektrum. Mit nur einer Aufnahme lässt sich ein Himmelsobjekt so in zahlreichen unterschiedlichen Wellenlängen erforschen – und das spart viel Zeit verglichen mit den herkömmlichen Spektroskopieverfahren.

Hintereinander gestapelte Bilder einer Galaxie in verschiedenen WellenlängenMUSE-Aufnahmen von Galaxie NGC 4650A

Video: Galaxie NGC 4650A in verschiedenen Wellenlängen

Für ein neues Instrument am VLT hat ein Konsortium von über hundert Wissenschaftlern und Ingenieuren – darunter auch Forscher des Leibniz-Instituts für Astrophysik in Potsdam sowie des Instituts für Astrophysik der Universität Göttingen – die 3D-Spektroskopie entscheidend weiterentwickelt: Eine einzige Aufnahme des Multi Unit Spectroscopic Explorer, kurz MUSE, umfasst 90 000 Spektren mit Wellenlängen zwischen 465 und 930 Nanometern – daraus lassen sich Bilder in dreitausend verschiedenen Farben vom blauen bis in den infraroten Spektralbereich erzeugen.

Das Blickfeld des Instruments deckt am Himmel einen Raumwinkel von einer Quadratbogenminute ab – Saturn mit seinen Ringen oder Jupiter passen damit ebenso in eine einzelne Aufnahme wie eine ferne Galaxie. „Um so viele Bildpunkte gleichzeitig spektroskopieren zu können, wird das Licht aus dem beobachteten Himmelsfeld durch ein komplexes System aus Linsen und Spiegeln in 24 Einzelbilder zerlegt und in ebenso viele baugleiche Spektrografen eingekoppelt“, erläutert Andreas Kelz, lokaler MUSE-Projektmanager am Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam. Dort wird das Licht dann in seine Farbanteile aufgespalten und auf hochempfindliche Detektoren geleitet.

Algorithmen aus Potsdam

Erst später setzt eine Software die einzelnen Daten dann wieder zusammen. „Die 90 000 Spektren müssen ausgelesen und bearbeitet werden. Dabei müssen der Himmelshintergrund und das Rauschen des Detektors abgezogen werden – und vor allem müssen die Spektren wieder einzelnen Positionen am Himmel zugeordnet werden, um das Gesamtbild zu rekonstruieren“, so Kelz. Seine Kollegen entwickelten die Algorithmen, mit denen sich diese vielschichtigen Aufgaben der Datenreduktion und Bildrekonstruktion erledigen lassen. Außerdem kümmerten sich die Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Astrophysik um die sogenannte Kalibriereinheit von MUSE. „Spektrografen in der Astronomie haben zunächst keinen Maßstab, weshalb man sie erst einmal eichen muss. Und das macht man mit Spektrallampen, bei denen die ausgesandten Wellenlängen bekannt sind“, erklärt Kelz.

Viele Kabel und Schläuche ragen aus dem Instrument heraus.

MUSE am VLT

Das Team aus Göttingen entwickelte das mechanische Design und baute die Instrumentenstruktur, in die später alle Komponenten von MUSE eingesetzt wurden, sowie einen Teil der komplexen Strahlführungsoptik. Nachdem die Mitglieder des Konsortiums – unter Leitung des Centre de Recherche Astrophysique de Lyon in Frankreich – das über sieben Tonnen schwere Instrument in Europa zusammengesetzt hatten, verschifften sie es nach Chile und montierten es schließlich an Yepun, einem der vier Hauptteleskope des VLT. Anfang 2014 startete nach knapp zehnjähriger Planungs- und Bauzeit zunächst ein umfangreiches Testprogramm, im Herbst 2014 begann der reguläre Beobachtungsbetrieb.

„Eigentlich würde man bei einem so komplexen Instrument die eine oder andere Kinderkrankheit erwarten. Stattdessen konnte die hohe Leistungsfähigkeit von MUSE bereits in den ersten Nächten eindrucksvoll demonstriert werden“, erinnert sich Kelz. Und die bemerkenswerten Eigenschaften des neuen Instruments am VLT haben sich schnell herumgesprochen: Bereits im ersten Semester wurde MUSE so oft nachgefragt wie kaum ein anderes Instrument am Berg – es bewerben sich sehr viel mehr Astronomen um Beobachtungszeit als es Nächte gibt. Vor allem die hohe Effizienz des Gerätes begeistert die Forscher. Denn dank spezieller Beschichtungen gehen trotz der Vielzahl an Spiegeln, die das Licht durch MUSE lenken, vergleichsweise wenig Photonen verloren.

Archäologie im galaktischen Stil

Diese Eigenschaft macht es möglich, weit entfernte Galaxien im Universum aufzuspüren und zu erforschen. „Viele dieser Galaxien sind selbst auf den Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble nicht mehr zu erkennen, können aber in den spektroskopischen Daten von MUSE aufgefunden werden“, sagt Kelz. Das Licht dieser Sternsysteme ist seit mehr als zehn Milliarden Jahren unterwegs zu uns und ermöglicht somit einen Einblick in die früheste Phase der Galaxienentstehung und -entwicklung. So können Astronomen mithilfe der Spektren beispielsweise herausfinden, wie weit die Galaxien tatsächlich entfernt sind oder welche Gase darin leuchten.

Schwarzer Hintergrund, darauf viele helle Punkte.

MUSE-Aufnahme des Kugelsternhaufens NGC 6397

Aber auch Galaxien in der kosmischen Nachbarschaft stehen auf der Beobachtungsliste: Mit den Aufnahmen von MUSE lassen sich die einzelnen Komponenten genau analysieren – von aktiven Galaxienkernen über Sternentstehungsgebiete in den Spiralarmen bis hin zu Gaswolken in den Außenbereichen. „Sozusagen Archäologie und Evolutionsforschung im galaktischen Stil“, fasst Kelz zusammen. Diese Erkenntnisse werden den Astronomen letztlich auch Rückschlüsse auf unsere Galaxis erlauben. Andere Forschergruppen wollen mit MUSE dagegen direkt in die Milchstraße blicken und unter anderem die Eigenschaften von Sternentstehungsregionen, die Atmosphären von Braunen Zwergen sowie von Planeten und Trabanten in unserem Sonnensystem untersuchen.

Gelegenheit für diese und weitere Beobachtungen wird es in den kommenden zehn Jahren – der geplanten Betriebszeit von MUSE – geben, vorausgesetzt, man ergattert ein paar Stunden der begehrten Beobachtungszeit. In dieser Hinsicht genießen die Mitglieder des MUSE-Konsortiums ein besonderes Privileg: Als Kompensation für ihre Entwicklungsarbeit erhalten die Wissenschaftler für ihre astronomischen Forschungen insgesamt rund 250 Beobachtungsnächte am VLT.

Die Astronomen aus Göttingen und Potsdam wollen in ihrer Zeit unter anderem kompakte Sternenhaufen unter die Lupe nehmen: Anhand der Spektren von mehreren Tausend Sternen bestimmt das Team, wie sich diese durch den Haufen bewegen. „Das erlaubt Rückschlüsse auf das Gravitationsfeld im Inneren des Sternenhaufens und auf die Frage, ob es ein mittelgroßes Schwarzes Loch beherbergt“, erläutert Kelz. Bislang ließen sich diese Klasse von Schwarzen Löchern – mit mehreren Hundert bis einigen Tausend Sonnenmassen – noch nicht eindeutig nachweisen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/3d-spektrograf-muse/