Das Pierre-Auger-Observatorium

Johannes Blümer

Einer der Auger-Tanks

Das Pierre-Auger-Observatorium hat die Untersuchung der höchstenergetischen kosmischen Strahlung zum Ziel. Das Observatorium wird aus je einer 3000 Quadratkilometer großen Detektoranlage auf der Nord- und Südhalbkugel bestehen. Die erste Anlage in der argentinischen Pampa-Steppe wurde im November 2005 offiziell eingeweiht. Mehr als 250 Wissenschaftler aus 15 Ländern, darunter Deutschland, Italien, Frankreich, USA, Großbritannien und Argentinien, beteiligen sich am Bau und Betrieb des Observatoriums.

In der kosmischen Strahlung existieren Teilchen mit ultrahohen Energien oberhalb von 1020 Elektronenvolt. Ihre Entdeckung war eine große Überraschung. Sowohl die Art der Teilchen als auch ihre Quellen sind bislang unverstanden. Extragalaktische Objekte wie aktive Galaxien werden ebenso diskutiert wie neue physikalische Erscheinungen. Sogenannte Top-Down-Szenarien gehen beispielsweise davon aus, dass die beobachteten Teilchen in der Umgebung der Milchstraße bereits mit hoher Energie beim Zerfall unbekannter Teilchen (möglicherweise der Dunklen Materie) entstehen. Der Nachweis der Teilchen ist sehr aufwändig, weil sie sehr selten sind: Bei diesen Energien erwartet man ungefähr ein Teilchen pro Quadratkilometer und Jahrhundert. Daher sind riesige Detektorflächen nötig, um ausreichend viele dieser Teilchen zu finden. Dies geschieht indirekt über die von ihnen in der Erdatmosphäre ausgelösten Kaskaden von Sekundärteilchen, den Luftschauern.
Höchstenergetische Luftschauer enthalten viele Milliarden Sekundärteilchen, die am Erdboden eine Fläche von mehr als fünfzig Quadratkilometer überdecken können.

Schauerdetektoren und Fluoreszenzteleskope

Darstellung eines Luftschauers, der von den Fluoreszenzteleskopen im Stereomodus beobachtet wurde und dessen Teilchen in 17 Tanks des Oberflächenfelds nachgewiesen wurden. Die Schauerachse ist als rote Linie zusammen mit der entsprechenden Projektion auf die von den Teleskopkameras aufgenommenen Bilder dargestellt.

Darstellung eines Luftschauers

Das Pierre-Auger-Observatorium ist die weltweit größte Anlage für die Messung von kosmischer Strahlung der höchsten Energien. Erstmals wird bei ihm auch eine Hybridtechnik angewandt: Oberflächendetektoren messen die Sekundärteilchen, und große Teleskope registrieren Fluoreszenzlicht, das die Sekundärteilchen in der Atmosphäre über dem Schauerfeld erzeugen. Diese simultane Nachweismethode reduziert erheblich die systematischen Unsicherheiten der Messung insbesondere in der Energiebestimmung der Primärteilchen. Das Pierre-Auger-Observatorium mit je einem Detektorfeld auf der Süd- und zukünftig auch auf der Nordhalbkugel wird die erste Anlage dieser Art sein, die den gesamten Himmel beobachtet.

Skizze des inneren Aufbaus eines Tscherenkow-Tanks: Ein mit Wasser gefüllter Zylinder mit den drei Photomultipliern, einer Solarzellenfläche sowie dem GPS-Empfänger und der Antenne.

Innerer Aufbau eines Tscherenkow-Tanks

Das südliche Auger-Observatorium in der Provinz Mendoza, Argentinien, wurde im November 2005 eingeweiht. Es besteht aus insgesamt 1600 Wasser-Tscherenkow-Detektoren, die im Abstand von 1,5 Kilometern zueinander aufgestellt sind. Jeder Wassertank hat eine Grundfläche von zehn Quadratmetern und ist mit zwölf Tonnen ultrareinem Wasser gefüllt. Energetische Teilchen eines Luftschauers lösen im Wasser kurze Lichtblitze, sogenanntes Tscherenkow-Licht, aus. Drei empfindliche Photomultiplier registrieren diese Emissionen in jedem Tank. Diese Detektortanks sind autonome Stationen mit solarer Energieversorgung, wobei die Kommunikation mit der Datenerfassungszentrale über Mikrowellen erfolgt. Luftschauer werden an der räumlich und zeitlich koinzidenten Messung von Teilchen in mehreren Tanks erkannt. Die Identifikation von Signalen verschiedener Detektoren, die zu einem Ereignis gehören, erfolgt über eine von GPS-Signalen gesteuerte Uhr an jedem Detektor. Die Schauerdetektoren decken eine Fläche von 3000 Quadratkilometern ab, was mehr als der Ausdehnung des Saarlandes entspricht. Sie sollen mehr als zehn Jahre lang Daten sammeln.

Karte von Argentinien, in der die Lage der Detektoren eingezeichnet ist. Rote Punkte markieren die Wassertanks, blaue Linien kennzeichnen das Gesichtsfeld der einzelnen Fluoreszenzteleskope.

Lageplan der Detektoren

In vier Gebäuden am Rand des Detektorfelds beobachten jeweils sechs Fluoreszenzteleskope in klaren dunklen Nächten (entsprechend 10 bis 15 Prozent der Messzeit) den Himmel über dem Detektorfeld. Diese Teleskope sind elektronische Schmidt-Kameras mit einer Öffnung von etwa drei Quadratmetern, einer Korrekturlinse und einem 14 Quadratmeter großen sphärischen Spiegel. Dieses Design erlaubt ein Gesichtsfeld von dreißig mal dreißig Quadratgrad pro Teleskop bei hinreichend guter optischer Abbildungsqualität. In der Fokalebene registrieren 440 Photomultiplier die Fluoreszenz-Leuchtspur der Luftschauer mit einer Zeitauflösung von hundert Nanosekunden (Milliardstel Sekunden). Das entspricht etwa der Aufgabe, eine dreißig Kilometer entfernte Vierzig-Watt-Glühbirne aufzunehmen, die fast mit Lichtgeschwindigkeit durch die Atmosphäre fliegt. Während die Tanks die Teilchenverteilung von Luftschauern auf der Erdoberfläche messen, lässt sich anhand der Leuchtspur die Entwicklung der Teilchenzahl entlang der Schauerbahn durch die Atmosphäre rekonstruieren. Die Ergebnisse der Fluoreszenzteleskope dienen unter anderem zur Energiekalibration des Experiments. Außerdem hängen die Form der Schauerentwicklung und die Höhe des Maximums in der Atmosphäre von der Masse des Primärteilchens ab. Von Eisenkernen induzierte Schauer beginnen in größerer Höhe als protoninduzierte Schauer.

Weißer Zylinder in einer spärlich bewachsenen Steppe. Im Hintergrund auf einer Anhöhe ein Gebäude mit einem antennenähnlichen Mast.

Einer der 1600 Oberflächendetektoren

Um aus der gemessenen Fluoreszenzemission die Energie des Schauers möglichst genau ermitteln zu können, ist es notwendig, die aktuelle meteorologische Situation zu kennen. Deshalb überwachen LIDAR-Systeme den Himmel, zudem lässt man ab und zu Wetterballons aufsteigen.

Bereits in der Aufbauphase des Observatoriums wurden kontinuierlich Daten genommen. Die Beobachtung von Schauern mit mehreren Teleskopen und die simultane Messung der Teilchen in den Wassertanks demonstrieren eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit des Auger-Observatoriums. Zu den ersten wissenschaftlichen Ergebnissen gehören ein Energiespektrum der beobachteten Ereignisse, die Durchmusterung des Südhimmels nach Punktquellen und eine obere Grenze für den Anteil von Photonen in der ultra-hochenergetischen kosmischen Strahlung. Eine in verschiedenen Modellen vorhergesagte Punktquelle in der Nähe des galaktischen Zentrums konnte nicht bestätigt werden. Diese Daten beruhen jedoch bisher noch auf sehr wenig Beobachtungszeit, so dass die „integrierte Apertur“ nur etwa gleich groß ist wie bei den Experimenten der vorigen Generation.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/kosmische-strahlung/detektoren/pierre-auger-observatorium/