Messung der Gravitationskonstante mit kalten Atomen

Rainer Kayser

Eine graue Zeichnung auf Weiß. Links und rechts hängen zwei Kugeln an einem viereckigen Gerüst. Darüber befindet sich ein größeres Gerüst, an dessen Seiten je zwei Öffnungen mit Einschüben sind.

Die Gravitation ist die wichtigste Kraft im Kosmos – aber über ihre genaue Stärke herrscht noch keine Einigkeit. Das könnte sich schon bald ändern: Ein Forscherteam hat ein neues, von den bisherigen Methoden unabhängiges Verfahren entwickelt, um die Gravitationskonstante G zu messen. Mithilfe lasergekühlter Atome in einem Quanteninterferometer erhielten die Wissenschaftler einen Wert von 6,67191 × 10-11m3kg-1s-2, der damit etwas kleiner ist als der derzeitige Standardwert 6,67384 × 10-11m3kg-1s-2. Bei einer weiteren Verbesserung könne das neue Verfahren eine Erklärung für die Diskrepanz früherer Messungen liefern, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“.

Komplexer Versuchsaufbau, in der Mitte eine senkrechte Röhre, die mittig von metallischen Zylindern eingefasst ist.

Atominterferometer als Gravitationswaage

„Eine Verbesserung der Genauigkeit von G ist nicht nur von metrologischem Interesse“, betonen Guglielmo Tino von der Universität Florenz und seine Kollegen. „Der genaue Wert ist wichtig, weil G in Teilchen- und Astrophysik, in der Kosmologie und sogar in geophysikalischen Modellen eine Schlüsselrolle spielt.“ Doch die Ergebnisse der bislang rund dreihundert Experimente, mit denen Physiker in aller Welt die Konstante zu bestimmen versucht haben, bewegen sich nicht auf einen immer genaueren Wert zu. Im Gegenteil: Sie weichen zum Teil deutlich stärker voneinander ab, als es die Messfehler erwarten lassen.

Die meisten der Experimente basieren auf dem Prinzip der Torsionswaage oder des Torsionspendels, bei der die Bewegung einer Testmasse unter dem Einfluss der Anziehungskraft einer zweiten, größeren Masse untersucht wird. Tino und seine Kollegen verwenden nun erstmals keine makroskopische Testmasse, sondern einzelne Atome. Mithilfe eines Lasers kühlen sie Rubidiumatome fast bis auf den absoluten Nullpunkt ab. Bei einer derart niedrigen Temperatur verhalten sich die Atome nicht länger wie Teilchen, sondern nach den Gesetzen der Quantenmechanik wie Wellen. Tino und sein Team nutzen die Welleneigenschaften, um die Energiezustände von Atomen oberhalb und unterhalb einer Masse – insgesamt 516 Kilogramm Wolfram – in einem Atominterferometer mit hoher Genauigkeit zu vermessen. Denn das Gravitationsfeld der Masse verändert die Phasenbeziehung zwischen bestimmten Energiezuständen im Atom. Und aus dieser Verschiebung lässt sich auf die Gravitationskonstante schließen.

Die mangelnde Konvergenz der früheren Messungen deutet darauf hin, dass die Experimentatoren systematische Fehler übersehen oder unterschätzen. „Ein vom Konzept her anderes Experiment wie das unsere kann dabei helfen, diese systematischen Fehler aufzuspüren“, so Tino und seine Kollegen. Innerhalb von sechs Jahren gelang es dem Team, die Genauigkeit des neuen Verfahrens um das Zehnfache zu verbessern. Jetzt konnten sie mit klassischen Torsionsversuchen gleichziehen. Eine weitere Verbesserung um einen Faktor zehn sei erreichbar, so die Forscher – und damit rücke eine „vertrauenswürdiger Wert von G“ in greifbare Nähe.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2014/messung-gravitationskonstante/