Eine Bremse für kreiselnde Moleküle

Max-Planck-Institut für Kernphysik

Moleküle können sich geradlinig durch den Raum bewegen, um die eigene Achse drehen oder innere Schwingungen ausführen. Darum ist kalt nicht gleich kalt: Die Physik kennt unterschiedliche Temperaturen, und zwar eine für jede dieser Bewegungsmöglichkeiten. Ein internationales Forscherteam hat nun einen effizienten Weg gefunden, die Eigendrehung von Molekülionen zu bremsen und ihre „Rotationstemperatur“ fast bis auf den absoluten Nullpunkt abzusenken. Von dem niedrigen Wert ausgehend können die Forscher die Temperatur dann gezielt einstellen, wie sie im Fachmagazin „Nature“ berichten. Die genaue Kontrolle der Molekülrotation ist unter anderem wichtig, um chemische Reaktionen im Weltall leichter auf der Erde untersuchen zu können.

„Wir haben die Rotationstemperatur von Molekülionen in Millisekunden abgekühlt, und zwar stärker, als das bisher möglich war“, sagt José Crespo López-Urrutia vom Max-Planck-Instituts für Kernphysik. Die Forscher konnten die Rotationsbewegung auf 7,5 Kelvin senken, das entspricht minus 265,65 Grad Celsius. „Mit unserer Methode können wir die Rotationstemperatur der Teilchen zwischen etwa sieben und sechzig Kelvin gezielt einstellen, und wir können die Rotationstemperatur der Moleküle in unserer Probe messen“ erklärt Koautor Oscar Versolato, der am Max-Planck-Institut an den Experimenten beteiligt war. Die neue Kühlmethode eignet sich anders als bisher praktizierte Verfahren für viele unterschiedliche Molekülionen.

Mehrere Lagen von Kugeln, die nahezu regelmäßig in der Bildmitte angeordnet sind. Über und unter dem Kugelhaufen verlaufen spiegelglatte Röhren von rechts nach links. Ein waagerechter Strahl aus vereinzelten Kugeln, welche die Heliumatome darstellen, durchdringt den Kugelhaufen von rechts nach links. Auf der linken Seite, wo er aus dem Kugelhaufen heraustritt, sind die Kugeln durch Zusammenstöße mit den Heliumatomen aus ihrer ursprünglichen Position ausgelenkt.

Kühlung rotierender Molekülionen mit Heliumgas

In seinen Experimenten sperrte das Team eine Wolke aus Magnesium- und Magnesiumhydridionen in eine Ionenfalle. In der Falle kühlten die Physiker die Teilchen mit Laserstrahlen so weit herunter, bis sie zu einem regelmäßigen Ionenkristall erstarrten. Um die verbleibende Drehung der Molekülionen zu bremsen und somit die Rotationstemperatur zu erniedrigen, ließ das Team anschließend ein extrem verdünntes, kaltes Heliumgas in die Falle strömen. Die Heliumatome stoßen mit den Magnesiumhydridionen zusammen, die billionenmal pro Sekunde um sich selbst kreiseln. Durch die Stöße bremsen sie die Molekülionen allmählich ab.

„Man kann sich das wie bei den Gezeiten vorstellen“, erklärt Crespo: „Das rotierende Ion polarisiert das neutrale Heliumatom ein wenig, wie der Mond Ebbe und Flut erzeugt.“ Der elektrische Dipol, der so im Heliumatom entsteht, zerrt an dem drehenden Molekülion, sodass dieses ein wenig langsamer wird. Bei manchen Kollisionen geben die Heliumatome Energie aus der geradlinigen Bewegung ab und nehmen dafür bei anderen Rotationsenergie auf. Das nutzen die Physiker aus, um die Kreiselbewegung der Molekülionen anzuheizen: Sie verformen den Ionenkristall mithilfe der Wechselspannung, die an den Elektroden der Falle anliegt. Die Heliumatome nehmen die Bewegungsenergie der wabernden Molekülionen auf, schubsen damit ihrerseits die Kreiselbewegung der Ionen an und heizen so deren Rotationstemperatur.

„Die Rotationsbewegung und mithin den Quantenzustand der Molekülionen so exakt kontrollieren zu können, ist für viele Experimente wichtig“, sagt Crespo. So können Wissenschaftler die chemischen Reaktionen, die im Weltall stattfinden, im Labor nur durchspielen, wenn sie die Reaktionspartner in dieselben Quantenzustände bringen können, in denen sie durch den interstellaren Raum treiben. Auf diese Weise lässt sich quantitativ nachvollziehen, wie Moleküle im All gebildet werden, und letztlich erklären, wie sich interstellare Wolken, die Entstehungsorte von Sternen und Planeten, physikalisch und chemisch entwickeln. Der Geschwindigkeitsregler für rotierende Moleküle könnte aber auch dazu beitragen, die Photosynthese von Pflanzen besser zu verstehen, oder Molekülionen in der Quanteninformationstechnologie gezielt zu steuern.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2014/eine-bremse-fuer-kreiselnde-molekuele/