Zug der Zukunft

Jan Oliver Löfken

Windkanal

Mit Tempo 300 braust heute der ICE 3 auf Hochgeschwindigkeitsstrecken quer durch Deutschland. Der Energieverbrauch des Schnellzugs entspricht pro Fahrgast weniger als drei Litern Treibstoff auf 100 Kilometer. Trotz dieser hohen Effizienz befindet sich der Schienenverkehr in harter Konkurrenz zu Flugzeug und Auto. Neue Konzepte sollen den Zugverkehr noch energieeffizienter, klimafreundlicher und sicherer machen.

Ein futuristischer Zug saust durch eine karge Landschaft. Er hat getönte Fenster und sportliche Streifen an der Seite.

Der Personenzug der nächsten Generation

Neun Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben sich daher zum Ziel gesetzt, den Energiebedarf von Schnellzügen zu halbieren. Mit neuen Konzepten zur Aerodynamik, zu Fahrwerken und Reisekomfort arbeiten sie seit 2008 am Zug der Zukunft, dem Next Generation Train (NGT). „In den kommenden 15 Jahren wird das Verkehrsaufkommen weiter stark anwachsen“, sagt Joachim Winter, Leiter des NGT-Projekts am DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart. Die Schiene hat dabei die Chance, ihren Anteil gegenüber Luft und Straße nicht nur zu halten, sondern auch auszubauen.

Tempo 400 bei hohem Reisekomfort

Dafür strebt das NGT-Projekt an, nicht nur den Energieverbrauch pro Passagier zu minimieren, sondern auch die zugelassene Spitzengeschwindigkeit auf 400 km/h zu erhöhen. Gleichzeitig sollen die Passagiere bequem reisen und in Ruhe arbeiten und lesen können. Geräuschentwicklung und Rüttelbewegungen müssen trotz des hohen Tempos möglichst minimiert werden. Die Basis für all diese verschiedenen Ziele ist eine kosteneffiziente, modulare Bauweise der zukünftigen Triebzüge.

Tischartige Stahlplatte in einem kahlen Windkanal. Als Computergrafik ist eine Zugsilhouette eingefügt. Sie wird von schmalen Bändern umschlängelt, die Luftbewegungen zeigen sollen. Der Zug steht dabei schräg zur Windrichtung.

Modell des Next Generation Train im Windkanal

Die ersten Designstudien konnten die DLR-Forscher bereits präsentieren: So werden im NGT die Fahrgäste auf zwei Ebenen ihren Sitzplatz finden – ähnlich wie heute schon bei den deutlich langsameren Regionalzügen. Die derzeit gebräuchlichen Fahrgestelle mit starren Achsen könnten einem Radsatz weichen, der mit „intelligenter“ Mechanik und Elektronik ausgestattet ist. Die Einzelräder sollen dann in den Wagenkasten integriert und über leistungsstarke Radnabenmotoren angetrieben werden. „Vor allem brauchen wir für den NGT einen konsequent neuen aerodynamischen Entwurf“, sagt Winter. Diese Aufgabe fordert in erster Linie das Team um Sigfried Loose vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen heraus. Mit einem der modernsten Windkanäle Europas und aufwendigen Strömungssimulationen nähern sich die Wissenschaftler den Grenzen des Machbaren. Das Ziel: hohe dynamische Stabilität und Fahrsicherheit bei gleichzeitig geringer Lärmbelastung im Innern des Zuges. Eine wichtige Rolle spielt dabei die 2010 in Betrieb genommene Göttinger Tunnelversuchsanlage. „Hier können wir reale Zugmodelle bei Tempo 360 und Seitenwind untersuchen. So etwas gibt es weltweit bisher nirgendwo sonst“, sagt Aerodynamiker Loose.

Schnellzug mit Spoilern

Weißes Modell eines Schnellzuges auf einer langen Bahn, die durch mehrere Räume führt. Im Hintergrund die Durchbrüche durch die Wände.

Tunnelversuchsanlage für Schnellzugmodelle

Da der NGT aus Effizienzgründen konsequent im Leichtbau entstehen soll, wird es zudem schwieriger, ihn bei hohen Geschwindigkeiten auf der Schiene zu halten. Die Auftriebskräfte könnten auf rasanter Fahrt so stark werden, dass der Zug ohne geeignete Maßnahmen die Boden- oder genauer die Schienenhaftung verliert. „Die Bodenhaftung könnten wir beispielsweise mit aktiven, verstellbaren Spoilern verbessern“, verdeutlicht Loose. Trotz des geballten Fachwissens in den am NGT-Projekt beteiligten Instituten, werden die DLR-Forscher allein keinen Zug der Zukunft bauen können. Aber ihre Expertise von Aerodynamik und Leichtbau, Fahrwerken und Materialverschleiß an den Rädern bis hin zum Energiemanagement steht bei den Zugbauern der Industrie hoch im Kurs. „Wir haben derzeit einen Kooperationsvertrag mit Bombardier“, sagt Loose. Doch auch andere Hersteller wie Siemens oder Alstom können auf die DLR-Ergebnisse zugreifen. Je nach Fortschritt der aktuellen Arbeiten und Engagement von Industrie und Bahngesellschaften könnten schon im kommenden Jahrzehnt europäische Hochgeschwindigkeitszüge auf bis zu Tempo 400 im Linienverkehr beschleunigen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/verkehr/zug-der-zukunft/