Der Griff nach den Sternen

Thomas Vogt

JET-Kammer

Wenn es gelingt, das kontrollierte Schmelzen von Atomkernen auf der Erde zu realisieren und die freiwerdende Energie einzufangen, wird eine völlig neue Energiequelle erschlossen.

Heute träumen Wissenschaftler davon, das „Sonnenfeuer“ auf die Erde zu holen – das heißt, das Verschmelzen von Atomkernen auch auf der Erde zu realisieren und die dabei freigesetze Energie einzufangen. Wenn das gelingt, dann wird der Menschheit eine völlig neue Energiequelle erschlossen: Das bisher kaum genutzte „Brennmaterial“ Wasserstoff könnte die wachsende Weltbevölkerung für zehntausende von Jahren mit Strom versorgen.

Doch die Entwicklung eines Fusionsreaktors gestaltet sich schwierig, und ein moderner Prometheus ist nicht in Sicht. Die Hoffnung der Physiker aus den 50er Jahren, das Fusionsfeuer binnen eines Jahrzehnts zu entfachen, löste sich in Rauch auf. Auch fünfzig Jahre nach den ersten Fusionsexperimenten ist der Griff nach den Sternen noch nicht gelungen.

In der Zwischenzeit hat die Fusions-Community jedoch hart gearbeitet. Fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit hat sie während der letzten zehn Jahre die physikalischen Grundlagen für das Gelingen der kontrollierten Kernfusion geschaffen. Hinter diesem abstrakten Resumée verbirgt sich ein enormer Fortschritt.

100 Millionen Grad

Das Innere der Magnetspule, eine mehrere Meter hohe Mittelsäule, darum herum ein Tunnel mit rundem Querschnitt. Alle Wände mit unterschiedlich großen Metallplatten bedeckt, im Hintergrund ein kleiner Mensch in gelbem Schutzanzug.

Blick ins Innere der weltweit größten Fusionsmaschine

„Temperaturen von unvorstellbaren 100 Millionen Grad, wie sie für die Kernfusion nötig sind, erzeugen wir mit modernen Heizmethoden mittlerweile spielend“, sagt der Physiker und „Heizer“ Dr. Jef Ongena. Dazu entwickelten die Forscher über Jahre ein ganzes Arsenal moderner „Feuerschürinstrumente“.

Außerdem erreichen die derzeit besten Fusionsmaschinen der Welt bereits den magischen „break-even-point“, wenn auch nur für sehr kurze Zeit. Das ist jener Punkt, an dem durch die Verschmelzung von Atomkernen genausoviel Energie entsteht, wie die „Heizer“ hineinstecken. Seit den 70er Jahren haben sich die Fusionsforscher langsam aber sicher an diesen Punkt des Energiegleichgewichts herangearbeitet. Das europäische Fusionsexperiment JET hat sie dann an das magische Zwischenziel katapultiert. JET ist der Fusionsforscher größtes Kind aus der Familie der Fusionsmaschinen (Bild 1). Die Abkürzung steht für Joint European Torus und bezeichnet ein europäisches Gemeinschaftsgerät vom Tokamak-Typ.

Doch wo liegt nun das Problem, wenn die Fusionsforscher so fleißig waren? „Wir müssen es noch schaffen, den break-even-point dauerhaft zu überschreiten, also einen Energieüberschuss über Wochen und Monate zu produzieren, wie es für einen Fusionsreaktor nötig ist“, sagt Professor Samm, Direktor am Institut für Plasmaphysik in Jülich. „Für einen späteren Reaktor muss auch noch eine Reihe technischer Probleme gelöst werden, was aber grundsätzlich als machbar gilt.“

Brennmaterial Wasserstoff

Wie nun hat man sich das Verbrennen von Wasserstoff vorzustellen? Vereinfacht ausgedrückt wird ein dünnes Wasserstoffgas, bestehend aus den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium, auf Temperaturen von rund 100 Millionen Grad gebracht. Bei derart hohen Temperaturen befindet sich Wasserstoff im Plasma-Zustand. Das bedeutet, daß nicht mehr je ein Elektron um einen Atomkern kreist, wie das bei Wasserstoff der Normalfall ist. Vielmehr bewegen sich Elektronen und Atomkerne voneinander getrennt in der Brennkammer – und das mit beinahe Lichtgeschwindigkeit.

Aufgrund ihrer „hektischen“ Bewegung, die von der hohen Temperatur verursacht wird, stoßen im Plasma bisweilen Atomkerne mit Atomkernen zusammen. Bei diesem Aufprall kommt es wegen der hohen Geschwindigkeit der Teilchen „ganz automatisch“ zur Verschmelzung der beiden Kollisionspartner: Ein neues Atom wird geboren, nämlich ein Heliumatom. Des weiteren entstehen ein Neutron und – gewaltige Mengen Energie: 1 Kilogramm Wasserstoff entspricht 10.000 Tonnen Steinkohle.

So ungewöhnlich diese Art der Energiegewinnung anmuten mag und so schwer sie auch auf der Erde zu realisieren ist – im Weltall ist sie gang und gäbe. Mehr als 90 Prozent der Materie im Weltraum befinden sich im Plasmazustand. Auch unsere Sonne bezieht ihre Energie aus Fusionsprozessen. Diese Vorgänge genau zu verstehen und auf der Erde in Form eines Kraftwerks anzuwenden, ist Ziel der Fusionsforschung. Denn nur die Kernfusion ist eine Energiequelle von „kosmischer“ Dauer. Sie sollte der Politik als eine Option zur Bewältigung der Energieprobleme in ferner Zukunft an die Hand gegeben werden – für eine Zeit, in der die fossilen Brennstoffe knapp werden. Damit ist auch der Zeitrahmen abgesteckt, innerhalb dessen ein Fusionskraftwerk realisiert werden könnte: 50 Jahre und mehr, je nachdem, wie viel Geld die Politiker in die Fusionsforschung stecken.

Die „Sonne im Kleinen“

Seitenansicht des rund vier Meter hohen Textor-94: Die teilweise geöffnete Außenwand zeigt das Äußere des inneren Ringes. Davor ein messender Forscher im weißen Overall.

Das Fusionsexperiment TEXTOR-94 in Jülich ist ein kleiner Tokamak

Doch wie können die Physiker so sicher sein, dass ihre „Sonne im Kleinen“ funktionieren wird? „Die Datenbasis, die die verschiedenen Experimentiergruppen über viele Jahre hinweg geschaffen haben, ist sehr gut“, erläutert Samm. Dabei habe sich die Technik des magnetischen Einschlusses von Plasmen bewährt. Die Vielzahl dieser sogenannten Tokamak-Experimente, deren Brennkammer der Form eines riesigen Autoreifens ähnelt, lässt eine sichere Dimensionierung jener Maschine zu, die einen Überschuss an Energie liefern soll.

Die Gewinnung verlässlicher Daten ist denn auch ein Grund dafür, dass in Deutschland und Europa mehrere Fusionsexperimente betrieben werden. Sie sind in Deutschland im Helmholz-Gesellschaftsverbund Kernfusion und auf europäischer Ebene über die europäische Atomgemeinschaft EURATOM gemeinschaftlich organisiert. Das Jülicher Forschungsgerät „TEXTOR-94“ ist ein Tokamak kleinerer Dimension (Bild 2). Sein innerer Aufbau ist unter anderem darauf abgestimmt, die Wechselwirkungen zwischen Plasma und Brennkammerwand zu klären.

Das nächstgrößere Kind der deutschen Tokamak-Familie steht im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München. Es trägt den Namen „ASDEX Upgrade“ und hat entscheidende Daten für die Dimensionierung von ITER (“International Thermonuclear Experimental Reactor“) geliefert. ITER sollte erstmals einen deutlichen Netto-Energiegewinn liefern. Aus Kostengründen berät die Weltgemeinschaft der Fusionsexperten jedoch momentan mit den Politikern eine preiswertere Lösung. „Immerhin würde auch diese kleinere Maschine bereits zehnmal mehr Energie liefern, als an Heizleistung aufgewendet würde“, erläutert Professor Samm den nächsten Schritt in Richtung Fusionsreaktor.

Samm setzt ganz auf internationale Kooperation, wie sie rund um den Jülicher Tokamak bereits bestens funktioniert. Vor über zehn Jahren holten die Physiker aus Jülich ihre belgischen Kollegen ins Boot; seit zwei Jahren sind auch die Niederländer mit von der Partie. Letztere haben dafür sogar ihr nationales Fusionsexperiment aufgegeben. „Aber das Beste ist, dass wir durch diese Kooperation die Forschung am Jülicher TEXTOR-94 qualitativ deutlich verbessert haben“, freut sich Professor Samm. So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Jülicher Modell bereits Schule macht: JET in England soll demnächst ebenfalls von einer internationalen Wissenschaftler-Crew geführt werden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/energie/fusionsenergie/forschungsbedingungen/