Gefährliche Resonanz

Bruno Eckhardt

Synchronisation

Theoretische Berechnungen zeigen, wie das Wechselspiel zwischen einer Brücke und ihren Besuchern bei der Millenniumsbrücke in London zu gefährlichen Schwingungen geführt hat.

Fast wäre es ein gewaltiger Reinfall an der Themse geworden: Im Jahr 2000 wurde nach über hundert Jahren mit der Millennium Bridge zum ersten Mal wieder eine neue Brücke über die Themse eingeweiht. Doch als am Eröffnungstag die Besucher auf die neue Fußgängerbrücke strömten, geriet die Freude am neuen Bauwerk schnell ins Wanken. Denn das elegante Bauwerk begann sichtbar zu schwingen. Die Fußgänger kamen mit einem Schrecken davon, doch die Brücke wurde für fast zwei Jahre gesperrt, bis umfangreiche Nachbesserungen, die nochmal rund ein Drittel der ursprünglichen Baukosten verschlangen, vorgenommen waren.

Photo einer Fußgängerbrücke über den Fluss Themse. Im Hintergrund die St. Paul's Cathedral.

Die Millennium Bridge in London

Die Ursache der Schwingungen blieb lange rätselhaft, zumal sich die Brücke in ihren anderen Eigenschaften so verhielt, wie beim Entwurf vorherberechnet. Auch die Wirkungen von Wind und Wasser waren ausreichend bedacht worden. Den Brückenkonstrukteuren war auch bekannt, dass Menschen in Gleichschritt – wie etwa eine Soldatentruppe – für gefährliche Schwingung bei einer Brücke sorgen können. Die weiteren Untersuchungen ergaben jedoch eine auffällige Abhängigkeit von der Zahl der Leute auf der Brücke: die Schwankungen traten nur auf, wenn genügend viele Personen die Brücke nutzen. Diese Beobachtung lieferte den entscheidenden Hinweis: Bei der Millennium Bridge war nicht ausreichend berücksichtigt, dass eine Brücke durch anfänglich leichte Schwingungen selbst dafür sorgen kann, dass die Menschen in Gleichschritt geraten.

Anhand einer Modellrechnung konnten wir eben dies in einem internationalen Team aus Mathematikern, Physikern und Ingenieuren nachweisen. Die Schwingung der Brücke wird durch unwillkürliche Reaktionen der Fußgänger auf die Bewegung der Brücke angeregt und schaukelt sich hoch. Dabei griffen wir auf Verfahren zurück, die von der theoretischen Beschreibung biologischer Systeme wie Neuronen oder Glühwürmchen bekannt ist.

Diagramm 1 zeigt eine regelmäßige Schwingung, deren Ausschlag mit zunehmender Zeit immer größer wird. Darunter befindet sich ein komplexes farbiges Muster, das mit zunehmender Zeit immer regelmäßiger wird.

Synchronisation von Fußgängern

Zunächst bewegen sich die Fußgänger auf der Brücke ganz unregelmäßig. Bis die ersten zufällig in Gleichschritt fallen und auf diese Weise die Brücke in eine ganz leichte Schwingung versetzen. Diese Schwingung führt nun dazu, dass auch andere Fußgänger ihre Bewegung ändern und zwar so, dass sie die Schwingung verstärken. Sobald die ersten Fußgänger die Schwingung spüren, passen sie – ähnlich wie auf einem Schiff – ohne es selbst zu merken ihre Schritte dieser Bewegung an, verstärken so unbewusst die Schwingung und ziehen weitere Passanten in die synchronisierte Bewegung hinein: die Brücke gerät in selbstorganisierte Schwingungen.

Unsere Modellrechnungen stehen in Übereinstimmung mit Experimenten an der Brücke und liefern Hinweise auf die entscheidenden Parameter: auf der einen Seite sind dies die kaum beeinflussbaren Schrittfrequenzen der Fußgänger und ihre Reaktionszeiten, auf der anderen Seite die Eigenfrequenzen und Dämpfungen der Brücke ebenso wie die Personenzahl. Sie erklären, warum das Phänomen nur bei einer großen Anzahl von Fußgängern auf der Brücke auftritt, und warum es mit einer Erhöhung der Dämpfung unterdrückt werden kann. Damit gehen unsere Untersuchungen den Erfahrungen mit dem unerwarteten Eigenleben der Millennium Bridge auf den Grund und können hoffentlich in Zukunft dabei helfen, existierende und noch zu bauende Brücken sicherer zu machen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/bauphysik/bruecken-resonanz/