Spannendes Zusammentreffen an der Grenze

Wiebke Rögener-Schwarz

Mit Rastertunnelmikroskopen können Korrosionsprozesse auf molekularer Ebene beobachtet werden. Chemische und physikalische Prozesse an den Oberflächen von Metallen und Halbleitern lassen sich damit genau untersuchen und darauf für neue Anwendungen gezielt beeinflussen.

Jeder rostige Schiffsrumpf macht es deutlich: Eine metallische Oberfläche, die in eine leitende Flüssigkeit – etwa in Salzwasser – taucht, verändert sich. Was geschieht dabei auf molekularer Ebene? Lassen sich Vorgänge wie die Korrosion gezielt beeinflussen? Mit der „Rastertunnelmikroskopie im Elektrolyten“, machen Jülicher Wissenschaftler solche Strukturen und Prozesse an Grenzflächen sichtbar.

„Interessant wird es in der Wissenschaft immer dann, wenn Unterschiedliches aufeinander trifft und sich gegenseitig beeinflusst.“ Das gilt für Thomas Wandlowski auf allen Ebenen. So ist er froh, am Institut für Grenzflächenforschung und Vakuumphysik (IGV) eine multinationale Arbeitsgruppe zu leiten. „Das ist sowohl wissenschaftlich anregend als auch menschlich sehr angenehm“, betont Wandlowski. Mit seiner Arbeit hat er sich ebenfalls dem Austausch über Grenzen hinweg, den Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Komponenten verschrieben – allerdings in Größenordnungen, die noch vor wenigen Jahren nicht einmal mikroskopischen Methoden zugänglich waren. Den Chemiker interessiert, wie sich unterschiedliche leitende Materialien verändern, wenn sie miteinander reagieren.

Mit dem Rastertunnelmikroskop lassen sich zwar seit Beginn der achtziger Jahre molekulare Strukturen abbilden. Doch das setzte zunächst voraus, dass nur eine hochreine Materialoberfläche und eine fein zugespitzte Tunnelspitze im Spiel waren. Sind beide im Hochvakuum nur wenige Atomdurchmesser voneinander entfernt und liegt zwischen ihnen eine Spannung, fließt ein sogenannter Tunnelstrom. Er verändert sich, je nach dem, ob sich die Spitze über einem Atom oder über einem elektronenarmen Zwischenraum befindet. So wird die atomare Struktur als eine Landschaft von „Elektronenbergen und -tälern“ sichtbar.

Im realen Leben aber trifft man bekanntlich nur selten auf hochreine Materialien im Vakuum. Rostige Autowracks oder grün überzogene Kupferdächer zeigen, was alltäglich an Oberflächen geschieht: Sie reagieren beispielsweise mit dem Luftsauerstoff oder mit Wasser und verändern sich dadurch. Einige Partner geben Elektronen ab – sie werden oxidiert, andere nehmen die negativ geladenen Teilchen auf – sie werden reduziert. Neue Verbindungen entstehen, Metalle korrodieren. Doch was genau geht im molekularen Bereich vor sich, wenn Metalle und organische Verbindungen, Wasser und Salze aufeinandertreffen? Wandlowskis Team untersucht Metalloberflächen, die mit einer Lösung geladener Teilchen – Ionen – in Berührung kommen. „Rastertunnelmikroskopie im Elektrolyten“ heißt diese Methode, die bisher nur wenige Arbeitsgruppen auf der Welt erfolgreich meistern. Sie macht es möglich, die Strukturen und Prozesse an der Grenzfläche von Metall und Flüssigkeit auf der Ebene einzelner Atome zu verfolgen.

Die Abbildung zeigt, wie ein solcher Versuch vor sich geht: Über einer gereinigten Proben-Oberfläche, beispielsweise aus Gold oder Kupfer, befindet sich eine leitfähige Lösung, ein Elektrolyt. Darin fährt eine dünne Metallsonde in bis zu 0,01 Nanometer kleinen Schritten über der Probe hin und her. Zwischen diesen beiden Polen fließt der Tunnelstrom durch die Flüssigkeit. Über zwei weitere Elektroden kontrollieren die Forscher die elektrischen Bedingungen. Die Tunnelspitze wird mit Ausnahme der äußersten Spitze mit einer nichtleitenden Substanz beschichtet, um möglichst ungestört die Vorgänge an der Probenoberfläche messen zu können.

Und dort tut sich einiges. So ändert sich die Struktur einer in verdünnte Schwefelsäure getauchten Goldoberfläche bei unterschiedlichen elektrischen Spannungen. Eine einkristalline Gold-Elektrode wird zunächst durch Erhitzen präpariert. Die Atome der Oberfläche sind dann in einer hexagonalen Struktur, also wie in einer Bienenwabe, angeordnet. Diese „Wabe“ ist riffelförmig strukturiert, so liegen die Atome noch dichter gepackt. Diese Struktur ist im Elektrolyten bei niedrigen Spannungen stabil. Mit steigender Spannung aber wird sie zu einer flachen, quadratischen Anordnung. Dadurch finden nicht mehr alle Atome in einer Ebene Platz. Es entstehen kleine Inseln auf der Oberfläche.

Geheimnis Korrosion

Solche Mikrostrukturen sind für Korrosionsprozesse bedeutsam. Denn glatte Oberflächen sind stabiler als solche, die viele Stufen enthalten. „Das ist der Grund dafür, dass wir beispielsweise Eisen noch nicht mit atomarer Auflösung mit der elektrochemischen Rastertunnelmikroskopie untersuchen können“, erläutert Thomas Wandlowski. „Die Oberfläche ist rau und nicht ausreichend stabil für unsere gegenwärtige Versuchstechnologie.“ Es wird daher meist mit Silber-, Gold- oder Kupferproben experimentiert. „Das sind künstliche Systeme“, so Wandlowski. „Doch werden dabei prinzipielle Vorgänge untersucht, die durchaus praktische Bedeutung erlangen könnten. Denn wenn man genau versteht, wie ein Metall korrodiert und was dabei an seiner Oberfläche passiert, kann man auch neue Wege finden, Korrosion zu verhindern.“

Für die Wechselwirkung mit gelösten organischen Molekülen sind Oberflächenstrukturen ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Wandlowskis Arbeitsgruppe untersucht beispielsweise ein aus zwei Ringen bestehendes Molekül, ein so genanntes Bipyridin. Es bindet über seine beiden Stickstoffatome an eine Goldoberfläche und bildet dabei unterschiedliche Muster. Diese sind einerseits von der Struktur des Metallsubstrats anhängig, andererseits von den elektrochemischen Versuchsbedingungen. „Auch das ist zwar reine Grundlagenforschung“, stellt Thomas Wandlowski klar. „Doch wenn wir wissen, wie sich Moleküle unter welchen Bedingungen auf einer Oberfläche ausrichten, lernen wir auch, solche Prozesse zu steuern. Damit schaffen wir die Voraussetzungen für neuartige elektronische Bauteile, für winzige Schalter etwa, die theoretisch aus einem einzigen Molekül bestehen könnten, das seine Orientierung auf einer Oberfläche ändert.“ Noch ist das Zukunftsmusik. Doch mit solchen Experimenten kommen wir Stück für Stück näher.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/fluessigkeiten-und-schmelzen/grenzflaechenphysik/