Einfluss der kosmischen Strahlung auf den Menschen

Bergita Ganse, Felix Spanier

Luftschauer

Die Atmosphäre wirkt zwar wie ein riesiger Schutzschild, doch je weiter wir uns von der Erdoberfläche entfernen, desto mehr energiereiche Partikel aus dem Weltall treffen auf unseren Körper und können dort ernsthaften Schaden anrichten. Besonders für Astronauten wird das zum Problem.

Auf der Erde wie auch im Weltall sind wir jederzeit kosmischer Strahlung ausgesetzt. Auf die Erde treffen hochenergetische Teilchen mit Energien von einigen Megaelektronenvolt bis hin zu 1020 Elektronenvolt. Zum Vergleich: Der bisher größte Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN, nahe Genf, beschleunigt die Teilchen gerade einmal auf einige 1012 Elektronenvolt. Diese Energie entspricht in etwa der Bewegungsenergie einer fliegenden Mücke – allerdings konzentriert auf die Größe eines Protons –, während die Energie eines der energiereichsten Teilchens der kosmischen Strahlung bereits der Energie eines Tennisballs entspricht, der aus einer Höhe von zehn Metern auf den Boden fällt. Von solchen höchstenergetischen Partikeln treffen allerdings nur sehr wenige auf die Erde: etwa ein Teilchen pro Quadratkilometer und Jahrhundert.

Aufgetragen ist die Anzahl der Teilchen in Abhängigkeit ihrer Energie. Je höher die Energie der kosmischen Strahlung, desto weniger Teilchen treffen auf die Erde. Bei einer Energie von 10 hoch 19 Elektronenvolt ist es beispielsweise nur noch ein Teilchen pro Jahr und Quadratkilometer.

Energiespektrum der kosmischen Strahlung

Bei den Teilchen der kosmischen Strahlung handelt es sich vornehmlich um Protonen, Heliumkerne und Elektronen. Gerade bei den höchsten Energien findet man allerdings auch sehr viele Eisenkerne. Neben unserer Sonne werden Sternexplosionen in der Milchstraße und aktive Galaxienkerne außerhalb der Milchstraße als mögliche Quellen gehandelt. Der Ursprung insbesondere der energiereichen Teilchen ist bislang aber noch nicht eindeutig geklärt. Während die Anzahl hochenergetischer Teilchen von fernen Quellen über Jahre hinweg nahezu konstant bleibt, kann die Menge der niederenergetischen Partikel von der Sonne zum Teil sehr stark schwanken. Ursache dafür sind meist Eruptionen auf der Sonnenoberfläche.

Heute wolkig mit Teilchenschauer

Die primäre kosmische Strahlung trifft aus allen Richtungen des Weltalls auf die Erdatmosphäre und wird dort von Sauerstoff- und Stickstoffatomen abgebremst. Hierbei entstehen durch teils komplexe physikalische Prozesse verschiedene Sekundärteilchen, vor allem Neutronen, Protonen und Pionen. Wegen dieser Reaktionen befindet sich in einer Höhe von rund zwanzig Kilometern über der Erdoberfläche die höchste Strahlungsintensität, darunter nimmt diese wieder ab. Die Strahlenexposition hängt aber auch von der geografischen Breite ab, da die kosmische Strahlung nicht gleichmäßig verteilt auf die Erdatmosphäre prasselt: An den geomagnetischen Polen ist die Intensität größer als am Äquator. Verantwortlich dafür ist das Magnetfeld der Erde, das die elektrisch geladenen Teilchen aus ihrer ursprünglichen Bahn ablenkt. In der Erdumlaufbahn befindet sich zudem der Van-Allen-Strahlungsgürtel – ein Ring energiereicher geladener Teilchen, die durch das Erdmagnetfeld gewissermaßen eingefangen werden. Der Strahlungsgürtel erstreckt sich über einen Bereich von etwa 700 bis 6000 Kilometern über der Erdoberfläche und muss wegen der hohen Strahlenbelastung für Astronauten berücksichtigt werden, zum Beispiel bei der Positionierung von Raumstationen.

Auf der Erdoberfläche überwiegt zwar die natürliche Hintergrundstrahlung durch das Gestein, da die kosmische Strahlung von der Atmosphäre abgeschirmt wird. Durch die Raumfahrt und den Luftverkehr werden Menschen ihr inzwischen jedoch vermehrt ausgesetzt. Generell gilt: Je weiter man sich von der Erdoberfläche entfernt, desto stärker wird der Einfluss der kosmischen Strahlung. Ihre Wirkung kann sich dabei von der natürlichen Radioaktivität zum Teil deutlich unterscheiden. Einerseits liegt das daran, dass die kosmische Strahlung viel energiereicher ist. Andererseits nimmt man kosmische Strahlung weder über die Nahrung noch durch die Atemluft auf.

Entstehung eines Luftschauers: Ein hochenergetisches Teilchen trifft auf die Atmosphäre. Es entsteht ein Schauer zahlreicher Sekundärteilchen.

Teilchenschauer

Schaden richtet die Strahlung an, indem sie Atome und Moleküle in unseren Körpern ionisiert: Durch die eingebrachte Energie kann zum Beispiel ein Elektron den Atom- oder Molekülverband verlassen und es bleibt ein positiv geladenes Ion zurück. Vorgänge dieser Art können chemische oder biochemische Reaktionen in den betroffenen Zellen auslösen und auf diese Weise – insbesondere im Erbgut – zu Schäden führen. Aufgrund ihrer Eindringtiefe haben die verschiedenen Strahlungsarten unterschiedliche Zielorgane. Alpha-Teilchen (Heliumkerne) werden in Materie schnell abgebremst. Die Eindringtiefe in den menschlichen Körper beträgt wenige Mikrometer, somit ist von Schäden primär die Haut betroffen. Die Eindringtiefe von Beta-Teilchen (Elektronen) hängt von der Energie ab und beträgt etwa 0,5 Zentimeter pro Megaelektronenvolt. Gammastrahlen dringen dagegen in alle Organsysteme des Körpers ein und können hier Schäden verursachen. Ein Maß für die Strahlenbelastung des Menschen ist die effektive Dosis. Sie berücksichtigt sowohl die unterschiedliche biologische Wirksamkeit der verschiedenen Strahlungsarten als auch die Sensitivität der verschiedenen Organe und Gewebe gegenüber ionisierender Strahlung. Die Einheit für die biologisch gewichtete Strahlendosis ist das Sievert (siehe blaue Box).

In einer Raumstation im All liegt die effektive Strahlendosis bei rund 200 Millisievert pro Jahr, während die Strahlenbelastung durch kosmische Strahlung auf der Erde nur rund 0,3 Millisievert pro Jahr (auf Meeresniveau) beträgt. Im Vergleich zur gesamten effektiven Dosis aus natürlichen Strahlungsquellen, die sich in Deutschland je nach Aufenthaltsort auf ein bis sechs Millisievert pro Jahr summiert, macht die kosmische Strahlung also nur einen Bruchteil aus. Während eines Raumspaziergangs haben Astronauten die jährliche Strahlungsdosis auf der Erde bereits nach einem Tag erfahren. Bei der Planung von Langzeitmissionen sind strahlungsbedingte Gesundheitsschäden also ein zu berücksichtigender Faktor. Ein besonderes Problem für die Raumfahrt stellen solare Eruptionen dar, die bisher nicht sicher vorhergesagt werden können. Während dieser Ereignisse kann die Strahlendosis um ein Vielfaches ansteigen und damit kurz- und langfristige gesundheitliche Probleme hervorrufen.

Wirkung auf das Erbgut

Kosmische Strahlung bedeutet eine chronische Belastung für den Organismus. Treffen die energiereichen Partikel oder die energiereiche elektromagnetische Strahlung auf den Körper und dringen in ihn ein, kann die Absorption der Energie dort eine Kette von Reaktionen in Gang setzen. Ändert sich zum Beispiel der energetische Zustand eines Moleküls, insbesondere der DNS als Träger der Erbinformation, führt dies womöglich zum Tod einer Zelle oder zu Zellmutationen. Aber auch indirekt können ionisierende Teilchen oder Sekundärelektronen großen Schaden anrichten: Treffen sie beispielsweise auf ein Wassermolekül im Körper und zerstören dieses, bilden sich unter Umständen sogenannte Radikale – Atome oder Moleküle, die besonders reaktionsfreudig sind. Radikale sind ebenfalls in der Lage, Zellen zu schädigen und so Krankheiten zu verursachen, darunter auch Krebs. Die biologischen Effekte ionisierender Strahlung zeigen eine erhebliche Zeitspanne zwischen den primären, direkten physikalischen Wechselwirkungen (sofort) und spät auftretenden Tumoren (einige Jahre) bis hin zu genetischen Veränderungen in folgenden Generationen (viele Jahre).

Grafik, die mögliche Schäden an der DNA darstellt, wie zum Beispiel Basenschäden oder Doppelstrangbruch.

Strahlenschäden der DNS

Betrachtet man die Moleküle innerhalb einer Zelle, sind die Schäden der Enzyme, Proteine, RNA-Moleküle oder der Biomembranen durch ionisierende Strahlung weniger ausschlaggebend als Strahlenschäden der DNA, die unterschiedlicher Art sein können. Hierzu zählen beispielsweise Einzel- oder Doppelstrangbrüche, Basenschäden oder -verlust sowie fehlerhafte Vernetzungen der Basenpaare. Auch Chromosomenschäden sind möglich: Wird ein DNA-Strang unterbrochen, kann dies zum Verlust eines Chromosomenfragments führen und damit zu einem Verlust von Erbgutinformationen. Zudem kann ein durch ionisierte Strahlung hervorgerufenes Vernetzen der Basenpaare zu falschen Verbindungen innerhalb eines Chromosoms oder auch zur Verbindung von zwei Chromosomen führen.

Jeder lebende Organismus besitzt die Fähigkeit, Strahlenschäden bis zu einem gewissen Grad zu reparieren oder zu kompensieren. Auf molekularer Ebene können Einzelstrangbrüche oder einzelne Basenschäden besser repariert werden als Doppelstrangbrüche oder Mehrfachschäden. Es kann allerdings auch zu einer Fehlreparatur kommen, durch die womöglich Gene aktiviert werden, die vorher inaktiv waren. Im günstigsten Fall führt dies zum Zelltod, im ungünstigsten Fall verändert sich die Zelle genetisch und es bildet sich eine Tumorzelle mit unkontrollierter Zellteilung.

Gewebe und Zellen, die sich schnell teilen, sind besonderes strahlensensibel, während solche mit einer geringen Teilungsrate weniger strahlenempfindlich sind. Aber auch die Phase des Zellzyklus und äußere Faktoren wie Temperatur und Sauerstoffpartialdruck spielen eine wesentliche Rolle bei der Strahlensensibilität einer Zelle. Die blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks stellen aufgrund hoher Teilungsraten eines der empfindlichsten Gewebe gegenüber Strahlung dar. Werden diese Zellen beschädigt, kann die Bildung von Blutzellen gestört werden, wodurch der Körper anfälliger für Infekte wird oder zu Blutungen neigt. Zu den teilungsaktiven Geweben gehören ebenfalls die Schleimhaut des Verdauungstrakts und die Haut. Ob sich letztlich ein Tumor ausbildet, hängt aber von vielen Faktoren ab – etwa von der Wachstumsrate der Zellen in diesem Gewebe, von der Zellart sowie davon, welches Gen betroffen ist. So bilden sich Tumoren in langsam wachsenden Geweben, zum Beispiel in der Prostata, zum Teil nicht zu klinischer Relevanz aus.

DNA-Schäden von Spermien oder Eizellen können auch in kommenden Generationen zu genetischen Veränderungen führen. In den Hoden sind besonders die Spermien produzierenden Stammzellen empfindlich, die Spermien selbst recht resistent. Bei Frauen sind bereits bei der Geburt alle Eizellen vorhanden. Schäden daran akkumulieren im Laufe der Zeit. Auch eine befruchtete Eizelle kann im Mutterleib durch ionisierende Strahlung geschädigt werden. Die Folgeschäden sind dabei umso größer, je weniger weit die Entwicklung fortgeschritten ist. Ein Schaden in den ersten zwei Wochen führt häufig zum Absterben des Embryos.

Strahlendosen in Raumschiff und Flugzeug

Je höher die Strahlendosis, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ionisierende Strahlung die Zellen im Körper schädigt. Insbesondere bei Langzeitraumflügen steigt deshalb die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken. Bei Astronauten konnten tatsächlich erhöhte Mutationsraten von Zellen nachgewiesen werden, für Flugpersonal ist die Datenlage dagegen kontrovers. Es werden ebenfalls weitere Risiken wie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit am grauen Star, einer Trübung der Augenlinse, zu erkranken und ein erhöhtes Arterioskleroserisiko (Arterienwandveränderungen) diskutiert. Aufgrund der geringen Fallzahlen bei Astronauten ist eine genaue Einschätzung der Risiken derzeit aber nur bedingt möglich.

Auf gelegentliche Flüge in Flugzeugen muss man aufgrund der kosmischen Strahlung aber sicherlich nicht verzichten, denn die effektive Dosis ist hier auf das Jahr gerechnet immer noch sehr gering und liegt mit wenigen Mikrosievert unterhalb des bedenklichen Bereiches. So erhöht ein Kurzstreckenflug die durchschnittliche jährliche effektive Dosis durch natürliche Strahlenexposition nur um weniger als ein Prozent, ein Langstreckenflug um etwa fünf Prozent. Je nach Flugroute, -dauer und -höhe sowie der aktuellen Sonnenaktivität schwankt die Strahlenexposition. Selbst für Schwangere wird das gesundheitliche Risiko beim Fliegen nach heutigem Wissen als gering beurteilt. Eindeutige Zahlen gibt es hierzu jedoch nicht. Einen Raumflug sollte man allerdings lieber auf einen Zeitpunkt nach der Schwangerschaft verschieben.

Vier Fotos einer menschengroßen Puppe mit verschiedener Schutzkleidung.

Das Matroshka-Experiment

Um das Strahlenrisiko im Weltall besser abschätzen zu können, messen Forscher die Strahlungsdosen dort zum Beispiel mithilfe des Matroshka-Experiments. Eine mit Sensoren ausgestattete, siebzig Kilogramm schwere Spezialpuppe erfasst hierbei die Strahlenbelastung innerhalb und außerhalb der internationalen Raumstation ISS. Im Rahmen des Projekts untersuchen die Wissenschaftler auch, wie der Mensch am besten gegenüber der kosmischen Strahlung abgeschirmt werden kann. Diese Frage spielt insbesondere bei längeren Weltraummissionen eine entscheidende Rolle, wie beispielsweise bei Flügen zum Mars, und muss in Zukunft beim Bau von Raumschiffen und gerade bei der Realisierung von visionären Ideen wie „Generationenschiffen“ berücksichtigt werden. Hier stellt die Strahlung jedoch nur einen von diversen bisher schwer zu kontrollierenden Risikofaktoren dar, die unter anderem durch die mangelnde Gravitation oder die Enge und Monotonie an Bord bedingt sind. Dazu zählen Probleme wie massiver Knochen- und Muskelabbau, psychische Erkrankungen, Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und bei Ernährungsfragen, um nur einige zu nennen.

 

Die Einheit für die Strahlendosis heißt Gray, abgekürzt Gy. Ein Gray entspricht der Energie von einem Joule, die von einem Kilogramm Körpergewicht aufgenommen wird. Eine akute Exposition von mehr als vier Gray ist für den Menschen in der Regel tödlich.

Da die verschiedenen Strahlungsarten unterschiedlich stark ionisieren, wird jeder von ihnen ein Strahlungsgewichtungsfaktor zugeordnet. Bei Röntgen-, Gamma- und Betastrahlung liegt der Faktor bei eins, Alphastrahlung erreicht einen Faktor von zwanzig, bei Neutronenstrahlung liegt er je nach Energie zwischen fünf und zwanzig. Multipliziert man die Strahlendosis in Gray mit dem Gewichtungsfaktor der Strahlungsart, erhält man die Organdosis, angegeben in Sievert (Sv). In manchen Fällen wird auch der Begriff Äquivalentdosis verwendet. Im Gegensatz zur Organdosis geht die Äquivalentdosis aber nicht auf die tatsächlich absorbierte Energiedosis eines Organs oder Körperteils zurück, sondern rechnet mit einem Mittelwert für ein Weichteilgewebe mit festgelegten Eigenschaften.

Bei einer Organdosis von etwa 0,2 Sv erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Erbgutschäden und das Krebsrisiko. Der Wert entspricht etwa der hundertfachen Strahlenbelastung, die in Deutschland pro Jahr durchschnittlich gemessen wird.

Weitere Gewichtungsfaktoren sind für die Organe im menschlichen Körper festgelegt, da zum Beispiel viele der inneren Organe wesentlich empfindlicher für Strahlung sind als die Haut. Daraus ergibt sich die effektive Dosis, die ebenfalls in Sv angegeben wird.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/einfluesse-auf-den-menschen/kosmische-strahlung/