Quantenmechanischer Test des Äquivalenzprinzips

Anna Heise

Dennis Schlippert promoviert an der Leibniz Universität Hannover und untersuchte mit seinen Kollegen in einem quantenmechanischen Experiment den freien Fall von zwei chemischen Elementen. Sie überprüften, ob die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein – die den freien Fall beschreibt – uneingeschränkt gültig ist oder angepasst werden muss. Für Welt der Physik beantwortete der Wissenschaftler einige Fragen zu diesem Experiment.

Welt der Physik: Was ist die „Universalität des freien Falls“?

Dennis Schlippert: Die Universalität des freien Falls besagt, dass alle Körper – unabhängig von ihren Eigenschaften wie Zusammensetzung und Masse – in einem Gravitationsfeld unter denselben Ausgangsbedingungen gleich beschleunigt werden. Diese Universalität ist äquivalent mit der Gleichheit der trägen und der schweren Masse. Wie von Einstein postuliert, sind Beschleunigungen und Gravitation damit lokal nicht voneinander zu unterscheiden.

Rechts neben dem Versuchsaufbau lehnt Dennis Schlippert. Er hat kurze, blonde Haare, trägt ein graublaues Shirt und lächelt freundlich.

Dennis Schlippert von der Universität Hannover

Bisher hat sich dieses Prinzip gut bewährt, warum sollte es nicht gelten? Gibt es Hinweise darauf?

Die moderne Physik steht vor dem Dilemma, dass ihre zwei zentralen Theorien – Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, welche unser Verständnis von Gravitation liefert, und die Quantenmechanik, welche die Physik kleinster Teilchen beschreibt – nicht konsistent sind. Es existieren nun verschiedene Theorien, welche eine Verletzung der Universalität des freien Falls erlauben. Im Gegenzug liefern sie aber eine Vereinigung der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik mit dem Ziel, eine „große vereinheitlichte Theorie“ zu formulieren.

Es gab bereits mehrere Experimente, die die Universalität des freien Falls untersucht haben, inwieweit unterscheidet sich Ihr Experiment davon?

Im Gegensatz zu klassischen Experimenten arbeiten wir im Atominterferometer mithilfe quantenmechanischer Wellenpakete als Probemassen. Ein weiterer großer Unterschied liegt in der Wahl der chemischen Elemente. Die besten klassischen Laborexperimente auf diesem Feld sind sogenannte Torsionswaagen – diese verwenden nichtmagnetische, elektrisch leitende Festkörper als Testmassen, zum Beispiel Beryllium und Titan. Im Gegensatz dazu stehen im Bereich der kalten Atome eine Reihe Alkali- und Erdalkalimetalle sowie viele weitere Spezies mit idealer Isotopenreinheit zur Verfügung. Es existieren bereits andere atominterferometrische Tests der Universalität des freien Falls. Diese verglichen jedoch bisher Isotope einer Spezies mit folglich relativ kleinem Massen- und Kompositionsunterschied oder nutzten Atominterferometer mit klassischen Instrumenten zur Bestimmung der Schwerebeschleunigung.

Sie haben in Ihrem Experiment die Elemente Rubidium und Kalium miteinander verglichen. Warum haben Sie diese Elemente gewählt?

Auf einem Tisch mit einer schwarzen Oberfläche, auf der sich zahlreiche Löcher für otische Aubauten befindet steht das Experiment. Im Zentrum ist eine reflektierende Linse zusehen, daumherum Kabel und technische Geräte.

Atominterferometer

Rubidium ist in etwa doppelt so schwer wie Kalium und damit schon intuitiv eine gute Wahl. Außerdem ist Rubidium vermutlich das am besten erforschte Alkaliatom, da man seinen atomaren Übergang mit einem Laser sehr gut anregen kann und es eine einfache atomare Struktur hat. Weiterhin liefern die Spezies einen besonderen technischen Vorteil: Die Laserwellenlängen, die zu ihrer Manipulation benötigt werden, liegen nur wenige Nanometer voneinander entfernt. Dies ermöglicht große experimentelle Vereinfachungen, da große Teile der optischen Aufbauten gemeinsam für beide Elemente verwendet werden können.

Andere Experimente liefern eine höhere Genauigkeit, welche Vorteile bietet Ihr Experiment?

Beim Testen der verschiedenen Verletzungsszenarien genügt es nicht, nur ein sehr gutes Experiment mit einer Testmassenkombination zu konstruieren: Erst durch die Überprüfung verschiedenster Testmassenpaare kann eine Theorie erfolgreich beschränkt werden. Insbesondere genügt bei einer signifikant unterschiedlichen Kombination wie unserer bereits eine schlechtere Genauigkeit, um Verletzungen ausschließen zu können.

Welche Ergebnisse konnten Sie bereits erzielen?

Mit unserem Apparat waren wir in der Lage, die Freifallbeschleunigung von Kalium-39 und Rubidium-87 bei einer Genauigkeit im Bereich von eins zu zehn Millionen zu vergleichen. Für die Zukunft sehen wir im bestehenden System die Möglichkeit, die Messung auf eine Genauigkeit im Bereich von eins zu einer Milliarde zu verbessern.

Was sind die nächsten Schritte, um eine eventuelle Verletzung der Universalität des freien Falls nachzuweisen?

Alle existierenden Tests streben natürlich stets nach höherer Genauigkeit. Im Bereich der atominterferometrischen Tests gibt es neben der bereits erwähnten Perspektive im bestehenden System eine Reihe von Ansätzen, um die Empfindlichkeit zu steigern. Da die Messzeit während des freien Falls einen quadratischen Einfluss auf die Empfindlichkeit übt, werden Experimente auf immer größere Längenskalen ausgedehnt. So gibt es zum Beispiel eine zehn Meter lange Fallröhre in den USA – auch hier in Hannover wird zurzeit ein solches Experiment geplant. Um die freien Entwicklungszeiten weiter in die Höhe zu treiben, sind wir in verschiedenen Projekten involviert, die Atominterferometer in die Schwerelosigkeit bringen. In diesem Rahmen werden bereits Experimente am Fallturm in Bremen durchgeführt und in naher Zukunft wird ein Experiment auf einer Wissenschaftsrakete für einige Minuten in Schwerelosigkeit operieren. Wir sind außerdem Teil von Kooperationen, die die Machbarkeit von Atominterferometern auf Satellitenmissionen erforschen.

Angenommen, es ließe sich tatsächlich eine Verletzung nachweisen, was würde daraus folgen?

Würde eine Verletzung nachgewiesen und durch mehrere Experimente bestätigt werden, würde dies vermutlich ein Tor für Tests neuer Theorien öffnen. Es gibt heute schon viele Ansätze, zum Beispiel im Gebiet der Stringtheorie, die über die Einsteinschen Arbeiten hinausgehen.

 

In frühen Experimenten erreichten Galileo Galilei und Isaac Newton Genauigkeiten von bis zu 10-3, als sie die Äquivalenz von schwerer und träger Masse untersuchten. Die Ergebnisse wurde immer präziser – heute erreicht man mit Experimenten im Weltraum Genauigkeiten von bis zu 10-15. Eine Auswahl an Experimenten zum Test des Äquivalenzprinzips:

Pendelexperimente: Galileo, 1638; Newton, 1689; Bessel, 1832

Drehwaage: Eötvös, 1909

Show-Experiment: Apollo 15, Dave Scott, 1970

Lunar Laser Ranging: Shapirp, 1976

Hubble-Weltraumteleskop: Adelsberger, 1999

Gravity Probe A/B/C: NASA, seit 1976

MICROSCOPE: CNES, vorraussichtlich 2016

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/albert-einstein-und-die-relativitaetstheorie/interview-schlippert/