Galaktische La Ola-Welle

Anne-Dorette Ziems

Eine weiße, eine magenta-farbene und eine grüne Welle im Zentrum des Bilds, die ineinander verflochten sind. Auf der Weißen Welle liegen blaue Punkte. Etwas neben den Wellen befindet sich ein gelber Punkt. Im Hintergrund die  Milchstraße.

R. Konietzka, A. Goodman, WorldWide Telescope

Unser Sonnensystem ist umgeben von Sternentstehungsgebieten. Einige von ihnen sind Teil der größten zusammenhängenden Gasstruktur, die wir in unserer Milchstraße kennen: der sogenannten Radcliffe-Welle. Forschende haben diese gigantische Gaswelle jetzt genauer untersucht. Wie sie im Fachmagazin „Nature“ berichten, sieht die Radcliffe-Welle nicht nur aus wie eine Welle, sondern bewegt sich auch wie eine.

Die Radcliffe-Welle ist eine gigantische Welle aus Staub und Gas in unserer Milchstraße, in der sich diverse Sternhaufen befinden. Gigantisch bedeutet in dem Fall rund 9000 Lichtjahre lang – fast ein Zehntel des Durchmessers unserer Heimatgalaxie. Dabei befindet sich die Welle nach Maßstäben des Weltraums ziemlich nah an unserem Sonnensystem: An ihrem uns nächsten Punkt ist die Welle nur 500 Lichtjahre von der Sonne entfernt. Zum Vergleich: Das Zentrum der Milchstraße liegt in etwa 26 000 Lichtjahren Entfernung.

Ein Team vom namensgebenden Harvard Radcliffe Institute hat die Radcliffe-Welle im Jahr 2020 mit dem Weltraumteleskop Gaia entdeckt. Aus dessen Daten erstellt die ESA eine dreidimensionale Karte von Sternen der Milchstraße und darüber hinaus und vermisst dabei die Position, Bewegung, Helligkeit, Temperatur und Zusammensetzung von mehr als einer Milliarde Sternen. Damals konnten die Forschenden lediglich zeigen, dass die Radcliffe-Welle existiert. Die Messungen waren nicht gut genug, um mehr über sie herauszufinden.

Schwerkraft lässt die Welle schwingen

Das hat sich jetzt geändert: Mit der Veröffentlichung eines neuen Datensatzes des Weltraumteleskops Gaia konnte das Team um Ralf Konietzka von der Harvard University verfolgen, wie sich die jungen Sternhaufen in der Radcliffe-Welle im Raum bewegen. Dabei fanden die Forschenden heraus, dass die Radcliffe-Welle sich bewegt – genauer gesagt, schwingt. Sie ist eine sogenannte Wanderwelle: Das sind Wellen, die sich zwischen zwei Punkten bewegen, so wie eine La Ola-Welle im Stadion.

Die Forschenden nehmen an, dass die Gravitation die einzige Kraft ist, die auf die Radcliffe-Welle wirkt. Deswegen haben sie sich auch gefragt, wie viel Dunkle Materie zu dieser Gravitation beiträgt – und den Anteil berechnet. Immerhin besteht das Universum nach dem Standardmodell der Kosmologie nur zu fünf Prozent aus regulärer Materie. Etwa 25 Prozent sind Dunkle Materie und rund 70 Prozent Dunkle Energie. Deswegen sind die Forschenden davon ausgegangen, dass die Bewegung der Radcliffe-Welle von der gemeinsamen Gravitation regulärer und Dunkler Materie beeinflusst wird. Laut Konietzka kam allerdings heraus, dass „reguläre“ Materie ausreicht, um die Bewegung der Radcliffe-Welle zu erklären und keine signifikante Menge an Dunkler Materie beteiligt ist.

Jetzt, wo sie wissen, wie sich die Radcliffe-Welle aktuell verhält, wollen die Forschenden die nächste, vermutlich noch herausforderndere Fragestellung angehen: Wie ist die Radcliffe-Welle entstanden? Dazu gibt es bereits einige Theorien, die von Supernovae bis hin zu einer Kollision mit einer Zwerggalaxie reichen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2024/milchstrasse-galaktische-la-ola-welle/