Kosmische Teilchenbeschleuniger

Rainer Kayser und Redaktion

Blasenähnliche Struktur im All, in deren Innerem zwei Lichtblitze hin ausgerichtet sind.

Science Communication Lab for MPIK/H.E.S.S.

Ständig prasseln hochenergetische Teilchen aus dem Weltall auf die Erdatmosphäre ein – doch woher stammen sie? Die Antwort auf diese Frage scheint nun ein gutes Stück näher: Ein großer Teil dieser kosmischen Strahlung stammt offenbar von so genannten Mikroquasaren. Das sind enge Doppelsysteme aus einem Schwarzen Loch oder Neutronenstern und einem großen, aufgeblähten Stern. Darauf deuten Beobachtungen des etwa 18 000 Lichtjahre entfernten Mikroquasars SS 433 mit der Teleskop-Anlage H.E.S.S. in Namibia, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachjournal „Science“ berichten.

Quasare sind supermassereiche Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien, die durch einfallendes Gas aus der Umgebung hell leuchten. Das Gas fällt dabei nicht direkt hinein, sondern bildet eine heiße rotierende Scheibe um das Schwarze Loch. Wenn die Materie aus dieser Scheibe weiter auf das Schwarze Loch zuströmt, lenken starke Magnetfelder des Objekts einen Teil der Materie um und bündeln sie in „Jets“: Strahlen aus hochenergetischen Teilchen, die Zehntausende von Lichtjahren ins All hinausreichen. Ende der 1970er Jahre stießen Astronominnen und Astronomen in der Milchstraße auf eine Art Miniaturausgabe eines solchen Objekts: den Mikroquasar SS 433, bestehend aus einem kompakten Objekt – vermutlich ein Schwarzes Loch – und einem Stern. Um das System strömt ebenfalls Gas und es strahlt auch Jets aus Materie ins All – die allerdings nur einige hundert Lichtjahre weit reichen.

Parabolantennen im Nachthimmel

Das H.E.S.S.-Observatorium

Diese Jets haben nun Laura Olivera-Nieto vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und ihre Kolleginnen und Kollegen einer internationalen Kollaboration mit den fünf Spezialteleskopen des H.E.S.S.-Observatoriums ins Visier genommen. Die Instrumente nehmen Tscherenkowstrahlung auf, die entsteht, wenn hochenergetische Strahlung – die selbst vom Erdboden aus nicht nachweisbar ist – in die Atmosphäre eintritt. Wie sich zeigte, entsteht in den Jets von SS 433 Gammastrahlung mit Energien von über einem Teraelektronenvolt – das ist mehr als das Tausendfache der Energie von Gammastrahlung, wie sie etwa in der Medizin Anwendung findet. Diese Strahlung müsse durch energiereiche Elektronen mit über 200 Teraelektronenvolt erzeugt werden, so die Forschenden.

Wie kommen die Elektronen zu ihrer hohen Energie?

In den Materiestrahlen, die von dem kompakten Objekt in SS 433 ausgehen, ist die Bewegungsenergie der Elektronen mit knapp 20 Kiloelektronenvolt jedoch millionenfach geringer. Woher also kommt die hohe Energie der Teilchen? Um diese Frage zu klären, analysierte das Team, wie die Gammastrahlung räumlich verteilt ist und welche Energien wo vertreten sind. Das brachte sie zur Lösung: Offenbar stoßen die Materiestrahlen etwa 80 bis 100 Lichtjahre vom Schwarzen Loch entfernt auf dichteres Gas. Dort bilden sich Stoßwellen, die mit hoher Geschwindigkeit in das Gas vordringen.

In solchen Stoßwellen können elektrisch geladene Teilchen – wie etwa Elektronen – enorme Mengen an Energie aufnehmen und dann die beobachtete Gammastrahlung produzieren. Das gilt allerdings nicht nur für Elektronen: Die Jets enthalten auch Protonen und schwerere Atomkerne, die ebenfalls in den Stoßwellen viel Energie aufnehmen können. Damit kommen Mikroquasare wie SS 433 als Quelle der hochenergetischen Teilchen der kosmischen Strahlung infrage, über deren Ursprung Forschende schon lange rätseln.

Die Messungen an SS 433 zeigen jedoch nur generell, dass die auf der Erde beobachtete kosmische Strahlung von Mikroquasaren stammen kann – von SS 433 selbst stammt sie nicht, wie das Team betont. Denn mit einem Alter von etwa 10 000 Jahren sei der Mikroquasar zu jung – die in den Jets beschleunigten Teilchen können die Erde noch gar nicht erreicht haben. Doch inzwischen sind zahlreiche ähnliche Objekte bekannt: so zum Beispiel der 1500 Lichtjahre entfernte Mikroquasar V4641 Sagittarii. Er ist der Erde am nächsten und kommt als Quelle der energiereichen Teilchen infrage. Darum sollen nun dieser und andere Mikroquasare näher untersucht werden.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2024/hochenergetische-strahlung-kosmische-teilchenbeschleuniger/