Akkretionsscheibe um Stern in anderer Galaxie entdeckt

Anne-Dorette Ziems

Blauer Wirbel im All, von dem aus nach oben und unten eine Art Funkenfontäne sprießt

ESO/M. Kornmesser

Die Große Magellansche Wolke ist eine unserer Nachbargalaxien. Sie ist etwa 160 000 Lichtjahre von uns entfernt, was auf kosmischen Skalen ziemlich nah ist. Das ermöglicht es Forschenden, einzelne Sterne in dieser Galaxie zu beobachten. Eine Forschungsgruppe hat dort jetzt eine Scheibe aus Gas und Staub um einen Stern entdeckt – erstmalig außerhalb der Milchstraße. Im Fachmagazin „Nature“ berichten sie, wie sich dieses System namens HH 1177 von Sternen vergleichbarer Größe in unserer Heimatgalaxie unterscheidet.

Junge Sterne ziehen während ihrer Entstehung mehr und mehr Materie aus ihrer Umgebung. Dabei bildet sich eine sogenannte Akkretionsscheibe aus Staub und Gas um den Stern. Sie rotiert mit dem Stern um seine Achse und transportiert Materie ins Zentrum zum Stern, der sich die Materie dann einverleibt und so wächst. Charakteristisch für eine Akkretionsscheibe ist außerdem ein Jet: ein Strom aus Gas, der entsteht, wenn der Stern senkrecht zur Akkretionsscheibe Materie ausstößt.

Zahllose weiße Teleskopschüsseln in der Wüste vor blauem Himmel

Radioteleskop ALMA

Auf einen solchen Jet waren Forschende in vorherigen Beobachtungen in HH 1177 bereits gestoßen – und konnten das System als massereichen jungen Stern identifizieren. Deshalb haben Anna McLeod von der Durham University und ihr Team bewusst dort nach einer Akkretionsscheibe Ausschau gehalten. Mit dem Radioteleskop ALMA wurden sie fündig: Zwar ist der Stern zu weit entfernt, um die Scheibe direkt aufzulösen. Doch sie konnten indirekt zeigen, dass um den Stern eine Scheibe rotiert. Denn je näher sich das Gas in der Scheibe am Zentrum befindet, desto schneller rotiert es – und dieser Geschwindigkeitsunterschied zeigt sich in der elektromagnetischen Strahlung, die ALMA detektiert. Das liegt am Doppler-Effekt: Die Frequenz der Lichtteilchen, die das Gas aussendet, hängt davon ab, wie schnell sich das Gas zu uns hin oder von uns wegbewegt – so wie sich die Frequenz der Sirene eines Rettungswagens ändert, wenn er an uns vorbeifährt.

Ungewöhnlich sichtbare und stabile Scheibe

In vielerlei Hinsicht ähnelt die neu entdeckte Akkretionsscheibe denen um massereiche junge Sterne in unserer Milchstraße. Doch zwei Dinge stechen heraus: Erstens ist der Stern sichtbar. Die bekannten massereichen jungen Sterne in der Milchstraße sind dagegen alle von der Molekülwolke verdeckt, aus der sie entstanden sind. Zweitens scheint die Scheibe zumindest im inneren Teil stabiler zu sein und der Stern somit gleichmäßig Materie aufzunehmen. McLeod und ihr Team gehen davon aus, dass beides an der Umgebung des Sterns liegt. HH 1177 ist aus einer staubarmen Wolke entstanden, die wenig Elemente enthält, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium.

In Zukunft wollen die Forschenden weitere Sterne in unterschiedlicher Umgebung untersuchen. So könnten sie Aufschluss über die allgemeine Sternentstehung und Entwicklung von massereichen Sternen und ihrer Akkretionsscheiben gewinnen – und vielleicht weitere Scheiben in anderen Galaxien entdecken.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2023/sternentstehung-akkretionsscheibe-um-stern-in-anderer-galaxie-entdeckt/