„Der Rest ist Ingenieursarbeit“

Franziska Konitzer

Quantencomputer nutzen als Rechen- und Speichereinheiten sogenannte Qubits. Während klassische Bits nur genau einen von zwei möglichen Zuständen – etwa Eins oder Null – einnehmen können, ermöglichen Qubits auch Überlagerungszustände. Auf diese Weise könnte ein Quantencomputer mit rund vierzig bis fünfzig Qubits jeden klassischen Supercomputer in puncto Rechenleistung übertreffen. Derzeit gelingt die dafür nötige Kontrolle aber nur über wenige Qubits. Für einen größeren Quantencomputer arbeiten Wissenschaftler deshalb an einem modularen Aufbau, bei dem viele kleine zu einem großen Quantencomputer verbunden werden. Im Fachmagazin „Science Advances“ stellen Wissenschaftler nun einen völlig neuen Ansatz für einen derartigen universellen Quantencomputer vor. Welt der Physik sprach mit dem beteiligten Wissenschaftler Christof Wunderlich von der Universität Siegen.

Porträtfoto des Wissenschaftlers

Christof Wunderlich von der Universität Siegen

Welt der Physik: Wie schauen derzeitige Quantencomputer aus?

Christof Wunderlich: Es gibt verschiedene physikalische Systeme, die bewiesen haben, dass sie gut dafür geeignet sind. Dazu gehört ein Ansatz, bei dem man gespeicherte Ionen als Qubits verwendet. Ein voll funktionsfähiger, programmierbarer Quantencomputer wurde bislang mit fünf Ionen realisiert. Es wurden aber auch schon Experimente gemacht, wo man bis zu 14 Ionen in kontrollierter Weise verschränkt hat oder in Quantensimulationen mit bis zu zwanzig Ionen gearbeitet hat. Aber wenn man an einen universellen Quantencomputer denkt, muss man sagen, dass das bislang mit fünf Ionen umgesetzt wurde.

Wie viele Qubits bräuchte man, um einen Quantencomputer richtig einsetzen zu können?

Der Quantencomputer mit fünf Qubits in einer Ionenfalle funktioniert vollständig als Quantencomputer. Aber damit kann man noch nichts lösen, was nicht auch ein klassischer Computer genauso gut oder sogar noch besser hinbekommen könnte.

Ab welcher Größe kann ein Quantencomputer Dinge tun, die ein klassischer Computer nicht mehr schafft?

Die modernsten, größten, schnellsten Supercomputer können rund vierzig Qubits komplett simulieren. Das heißt aber auch, dass man – wenn man über vierzig oder fünfzig nutzbare Qubits hinausgeht – in einen Bereich gelangt, der für klassische Computer nicht mehr zugänglich ist. Dann wird der Quantencomputer, insbesondere für einige hochinteressante wissenschaftliche Problemstellungen, mächtiger als jeder Supercomputer.

Wie kann ein so großer Quantencomputer aussehen?

In unserer Arbeitsgruppe haben wir ein Quantenbyte realisiert: Wir haben also acht Ionen, also acht Qubits, einzeln angesteuert. Wir haben auch schon Quantenrechnungen mit drei Ionen durchgeführt. In diesem Fall sitzen die Ionen alle in einer speziellen Falle und sind dabei so aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Nun könnte man davon ausgehen, dass man einfach mehr Ionen in die Falle lädt, um das System größer zu machen: Man würde diese Kette aus Ionen also einfach immer länger machen, bis man irgendwann hundert Qubits hat. Aber dieser Ansatz bringt viele technische und irgendwann auch grundlegende physikalische Probleme mit sich: Es funktioniert also nicht, einen Quantencomputer einfach auf diese Art und Weise hochzuskalieren.

Welchen Ansatz kann man stattdessen wählen?

Bei den Überlegungen dazu kommt man irgendwann auf einen modularen Aufbau. Auf irgendeine Weise muss man die Ionen zumindest zeitweise in verschiedenen Fallen unterbringen und diese miteinander verbinden.

 Jemand hält das 3D-Druck Modell eines Quantencomputermoduls in den Händen.

Modul eines Quantencomputers im 3D-Modell

Wie kann man die verschiedenen Ionenfallen miteinander verbinden?

Um Quantenlogik im Quantencomputer zu implementieren, braucht man immer bedingte Quantengatter. Das heißt, dass ein Qubit irgendetwas in Abhängigkeit vom Zustand eines anderen Qubits tun muss. Man muss sie also irgendwie wechselwirken lassen. Es gibt bereits einen Vorschlag, bei dem man dafür Photonen verwendet: Man überträgt die Quanteninformation, die auf einem Ion sitzt, auf ein Photon und verschickt dann das Photon. Dann hat man also einen kleinen Quantencomputer, der über die Emission und Absorption von Photonen mit anderen kleinen Quantencomputern kommuniziert. Allerdings ist die Rate, mit der Information ausgetauscht werden kann – also wie schnell Photonen erzeugt und von anderen Modulen empfangen werden können –, noch stark verbesserungswürdig.

Wie sieht Ihr neuer Ansatz aus?

Wir versuchen, die Modularität auf andere Art und Weise zu erreichen. Dabei ist der Photonenaustausch gar nicht notwendig – stattdessen schieben wir die Ionen selbst ein bisschen hin und her. Dann können wir mehrere Module aneinandersetzen und verschieben die Ionen über die Modulgrenzen hinaus. Wir erzielen die Wechselwirkung also dadurch, dass tatsächlich die Ionen, die die Quanteninformationen tragen, selbst verschoben werden. Der fundamentale Unterschied zwischen dieser Blaupause und früheren Vorschlägen ist, dass man vollständig auf Laserlicht verzichten kann, was die Kommunikation zwischen den Modulen betrifft. Das Laserlicht ist nur noch dazu da, um die Ionen zu präparieren und am Schluss auszulesen. Aber alle kohärenten quantenlogischen Operationen erfordern kein Laserlicht mehr, sie werden stattdessen mit Mikrowellenstrahlung ausgeführt. Von einem technischen Standpunkt vereinfacht dies das Ganze dramatisch, und es hilft auch, einige physikalische Probleme zu überwinden. Das ist ein ganz neuer Ansatz, der hier verfolgt wird.

Gibt es prinzipiell eine Grenze, wie groß ein derartig realisierter Quantencomputer sein kann?

Nein, es gibt prinzipiell kein grundsätzliches Limit. Man kann das beliebig skalieren, es hängt nur davon ab, wie groß man das Labor bauen kann. Es spielen also nur praktische Erwägungen eine Rolle, aber prinzipiell lässt diese Blaupause eine Skalierung zu einer beliebigen Anzahl von Qubits zu.

Was sind die Herausforderungen, wenn man diesen Quantencomputer tatsächlich bauen will?

Eine computergenerierte Grafik zeigt mehrere nebeneinander liegende Module.

Schema eines Quantencomputers

Die einzelnen Zutaten gibt es schon. Man hat gezeigt, dass diese bedingten Quantengatter tatsächlich gut funktionieren. Und wir können auch die Ionen präparieren, sie auslesen und sie auch verschieben. Die große Herausforderung liegt jetzt eher im technischen Bereich: Es geht darum, diese siliziumbasierten Strukturen, die wir vorschlagen, tatsächlich umzusetzen. Wir haben aber eine komplette Blaupause geliefert. Vom Standpunkt der Physik scheint alles gelöst zu sein, der Rest ist inspirierte Ingenieursarbeit.

Wie lange dauert es Ihrer Meinung nach, bis die Blaupause erfolgreich umgesetzt wird?

Das ist eine schwierige Frage. Aber ich würde schätzen, dass man innerhalb von fünf Jahren vermutlich zumindest ein skalierbares Modul eines solchen Quantencomputers demonstrieren kann, das dann zwischen dreißig und vierzig Ionen enthält. Ich denke, dass diese Zeitskala für die Demonstration eines Moduls realistisch ist.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/nachrichten/2017/der-rest-ist-ingenieursarbeit/