„Magnetische Monopole für die Spintronik“

Dirk Eidemüller

Mithilfe von sogenanntem Spin-Eis wollen Wissenschaftler ungewöhnliches magnetisches Verhalten erforschen. Ein Forscherteam hat nun ein Modellsystem entwickelt, mit dem sich solche magnetischen Strukturen besonders einfach untersuchen lassen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Alan Farhan von der Advanced Light Source in Berkeley über die neuen Ergebnisse und ihren möglichen Nutzen für neuartige Speichermedien.

Porträt von Alan Farhan

Alan Farhan

Welt der Physik: Sie haben mit Ihren Kollegen ein neues Modellsystem erzeugt, ein sogenanntes Spin-Eis. Worum handelt es sich dabei?

Alan Farhan: Ein Spin-Eis ist ein besonderes System, bei dem sich die winzigen Magnetnadeln in einem Material – die Spins – in einer bestimmten Ordnung ausrichten. Man hat diese Konfiguration „Eis“ genannt, weil sie sich ähnlich wie die Ionen in den Wassermolekülen orientieren, wenn Wasser zu Eis gefriert. Nun tritt eine solche Ordnung aber nicht in beliebigen Materialien auf, sondern nur in einer besonderen Materialklasse – den sogenannten Pyrochloren. Dort bilden die magnetischen Momente auf natürliche Weise ein Spin-Eis.

Bei dem von Ihnen erzeugten Spin-Eis handelt es sich aber nicht um ein natürliches, sondern um ein künstliches. Wo liegt der Unterschied?

Der Nachteil von natürlichem Spin-Eis auf Basis von Pyrochloren besteht darin, dass es sehr kompliziert ist, die Dynamik dieser Systeme zu bestimmen. Im Innern des Materials gibt es all die winzigen Elementarmagnete, die miteinander wechselwirken, teilweise auf sehr schnellen Zeitskalen. Die Idee ist deshalb schon länger, ein solches Spin-Eis mithilfe größerer Strukturen künstlich herzustellen.

Wie ist das möglich?

Dazu schreibt man gewissermaßen ein Muster aus kleinen magnetisierbaren Bereichen auf die Oberfläche eines unmagnetischen Materials. Diese Bereiche sind entweder vertikal oder horizontal angeordnet und können in die eine oder in die andere Richtung magnetisiert sein. Die einen zeigen mit ihrem Nordpol also entweder nach oben oder unten und die anderen nach links oder rechts. Um die Wechselwirkung zwischen den Magneten richtig einzustellen, mussten wir auch die dritte Dimension nutzen: Manche Magnete ragten etwas höher aus der Oberfläche hinaus als die anderen.

Die Illustration zeigt rechteckige Formen, die horizontal und vertikal angeordnet sind. Dazwischen befinden sich Kreise, von denen teilweise Linien ausgehen.

Spin-Eis

Welche Vorteile liefert einem dieses künstliche Spin-Eis?

Im Gegensatz zum natürlichen Spin-Eis lässt sich unser System sehr viel einfacher untersuchen. Die magnetischen Bereiche klappen ab einer bestimmten Temperatur hin und her und beeinflussen sich gegenseitig. Diese Dynamik können wir mithilfe von Elektronenmikroskopie sichtbar machen. Anders als beispielsweise in einem gewöhnlichen Magneten – also einem Ferromagneten – handelt es sich bei einem Spin-Eis um ein sogenanntes „frustriertes“ Material: Wenn sich irgendwo ein Spin umdreht, führt das dazu, dass sich ein anderer Spin von diesem wegdrehen möchte, was wiederum einen anderen beeinflusst und so weiter. Das führt zu einer komplexen Dynamik, die wir mit unserem neuen System untersuchen wollen.

In diesem Modell haben Sie magnetische Monopole gefunden. Was kann man sich darunter vorstellen?

Eigentlich haben Magnete immer einen Süd- und einen Nordpol, es kann also nie ein isolierter Süd- oder Nordpol auftreten. In unserem Spin-Eis finden wir aber an vielen Stellen getrennt voneinander Süd- und Nordpole, die kreuz und quer über das Substrat wandern und sich in der Summe aufheben. Die magnetischen Eigenschaften von solchen Monopolen lassen sich künftig vielleicht für die Spintronik nutzbar machen. Dabei geht es um neuartige Speichermedien, die sich etwa durch hohe Schnelligkeit und geringen Energieverbrauch auszeichnen.

Wie groß ist der Anteil an magnetischen Monopolen in dem untersuchten Material?

Im Augenblick ist er ziemlich hoch und liegt bei rund 14 bis 22 Prozent. Um ein „reineres“ Spin-Eis zu erhalten, müssen wir die thermischen Fluktuationen verringern und die Temperatur weiter erniedrigen, von aktuell rund minus siebzig Grad Celsius runter bis auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt. Dort erwarten wir interessante thermodynamische Effekte. Dafür müssen wir unser System aber auch weiter verkleinern, denn sonst frieren die großen Spins einfach fest und die Dynamik geht verloren. Doch ein kleineres System ist schwieriger zu messen und bei dem jetzigen arbeiten wir schon mit Strukturen, die nur wenige Dutzend Nanometer groß sind.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2019/magnetische-monopole-fuer-die-spintronik/