Dunkle Energie

Rainer Kayser

Auf der Grafik sind viele Galaxien vor dunklem Hintergrund zu sehen. Darüber sind Gitterlinien gelegt und einige Abstände zwischen Galaxien eingezeichnet.

NASA's Goddard Space Flight Center Conceptual Image Lab

Eine rätselhafte Kraft scheint das Universum immer schneller auseinanderzutreiben. Dabei sollte die Schwerkraft der im Weltall enthaltenen Materie die Expansion des Raumes eigentlich abbremsen. Für das unerwartete Phänomen machen Astronominnen und Astronomen sogenannte Dunkle Energie verantwortlich. Was sich physikalisch dahinter verbirgt, weiß bisher niemand.

Raum und Zeit entstanden vor 15 bis 20 Milliarden Jahren im Urknall. Seither dehnt sich der Kosmos aus. Durch die Anziehungskraft der Materie sollte sich die Expansion des Weltalls allerdings mit der Zeit verlangsamen. So stellten sich die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Geschichte des Universums noch vor einem Vierteljahrhundert vor. Um ihre These zu untermauern, blickten sie auf ferne Galaxien und untersuchten, wie weit diese von uns entfernt sind und wie schnell sie sich scheinbar von uns fortbewegen. Aus den Messdaten ließ sich neben der Expansionsrate auch das Alter des Kosmos abschätzen. Doch die ersten Ergebnisse waren ernüchternd: Das Universum hätte demnach jünger sein müssen als manche Sterne – und das war natürlich nicht möglich.

Die Expansionsgeschichte des Universums ist in der Grafik in Form eines becherförmigen Gebildes dargestellt: Der Urknall bildet den Boden, von links nach rechts formen sich aus nebelartigen Strukturen allmählich Galaxien, die am Becherrand dem heute beobachteten Universum entsprechen.

Entwicklung des Universums vom Urknall bis heute

Ende der 1990er-Jahre kam schließlich eine neue Methode zum Einsatz, um die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls zu bestimmen – mithilfe von explodierenden Sternen, sogenannten Supernovae. Deren Entfernung lässt sich deutlich präziser vermessen als die von Galaxien. Die von zwei Gruppen unabhängig voneinander kartierten Sternexplosionen sorgten für eine Sensation. Die Expansion des Weltalls verlangsamte sich demnach nämlich nicht wie bisher angenommen, sondern beschleunigte sich offenbar. Die Leiter der beiden Teams – Saul Perlmutter und Brian Schmidt sowie Adam Riess – erhielten 2011 gemeinsam den Physiknobelpreis für diese Entdeckung.

Mehr dunkel als hell

Physikerinnen und Physiker postulierten daraufhin eine zusätzliche Energieform, die der Schwerkraft entgegenwirkt und die Expansion des Kosmos beschleunigt. Der Astrophysiker Michael Turner prägte für dieses mysteriöse Phänomen den Begriff „Dunkle Energie“. Daten des Weltraumobservatoriums Planck legen nahe, dass 68,3 Prozent des gesamten Energie- und Materiebudgets im Universum auf diese geheimnisvolle Energieform entfallen. Die nicht weniger rätselhafte Dunkle Materie – eine unsichtbare und bisher unbekannte Materieform – folgt mit 26,8 Prozent. Und lediglich 4,9 Prozent bestehen aus „normaler“ Materie.

Ein dreiteiliges Tortendiagramm

Materie- und Energieverteilung im Universum

Planeten, Sterne, Galaxien und alles andere, was wir im Weltall sehen, machen also nur einen Bruchteil des Universums aus. Es ist die geheimnisvolle Dunkle Energie, die den Kosmos dominiert. Überraschenderweise ließ sich eine solche zusätzliche Energieform problemlos in die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie integrieren, denn es gab bereits einen Platz dafür. Anfang des 20. Jahrhunderts – als Albert Einstein seine Theorie entwickelte – galt das Universum als statisch. Es sollte sich also weder zusammenziehen noch expandieren. Erst durch eine Korrektur in Form eines zusätzlichen Terms, kosmologische Konstante genannt, lieferten seine Gleichungen ein unveränderliches Universum.

Nur wenige Jahre später verwarf Einstein die kosmologische Konstante allerdings wieder und bezeichnete sie als „größte Eselei“ seines Lebens. In den 1920er-Jahren hatten Himmelsbeobachtungen nämlich gezeigt, dass der Kosmos kein statisches Gebilde sein kann, sondern sich offenbar ausdehnt. Daraufhin strich man die kosmologische Konstante aus den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie – und erhielt auf diese Weise ein stetig expandierendes Universum, exakt wie damals beobachtet. Durch eine kleine Korrektur lässt sich mit den Gleichungen aber auch eine beschleunigte Expansion beschreiben. Und so wurde die kosmologische Konstante in leicht abgewandelter Form wieder eingeführt.

Rätselhafte Energieform

In seiner jetzigen Form stellt die kosmologische Konstante eine Energiedichte dar, die sich homogen über das gesamte Universum verteilt und deren Wert sich im Lauf der Zeit nicht verändert. Was sich physikalisch dahinter verbirgt – was also den Kosmos immer schneller auseinandertreiben lässt –, ist bislang vollkommen unklar. Eine von vielen Forscherinnen und Forschern favorisierte Idee ist es, die Dunkle Energie mit der Vakuumenergie des Raumes zu identifizieren. Denn gemäß der Quantenfeldtheorie gibt es keinen leeren Raum: Selbst im Vakuum entstehen ständig Teilchen und verschwinden kurz darauf wieder. Tatsächlich ließen sich solche Vakuumfluktuationen bereits nachweisen und auch zeigen, dass sie Kräfte hervorrufen können. Das Problem: Der theoretisch berechnete Wert einer solchen Vakuumenergie weicht um etwa 120 Größenordnungen von dem Wert ab, den experimentelle Daten nahelegen. Eine plausible Erklärung für diese Diskrepanz fehlt bislang.

Die Aufnahme zeigt unzählige Galaxien, die sich in Form, Farbe und Größe unterscheiden, vor dunklem Hintergrund.

Ultra Deep Field des Weltraumteleskops Hubble

Nicht zuletzt aus diesem Grund verfolgen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch alternative Ideen. Zwar stimmt die gemessene Expansionsgeschwindigkeit des Universums mit einer stetigen Dunklen Energie überein. Und auch die großräumigen Strukturen im Weltall, die von der kosmologischen Konstante abhängen, passen bis jetzt ins Bild. Dennoch fragen sich manche Physikerinnen und Physiker, ob die kosmologische Konstante tatsächlich konstant ist oder ob sich ihr Wert vielleicht mit der Zeit verändert. Das Ergebnis wäre eine dynamische Dunkle Energie, für die eine noch unbekannte fundamentale Wechselwirkung verantwortlich sein könnte: eine fünfte Grundkraft, Quintessenz genannt. Aber auch andere Vorschläge werden diskutiert, wie etwa eine abgeänderte Gravitationstheorie, die ganz ohne mysteriöse Energieformen auskommt.

Derzeit ist die Dunkle Energie also vor allem eine große Spielwiese für Theoretikerinnen und Theoretiker. Doch letztlich lässt sich die Frage nach ihrer physikalischen Natur wohl nur durch Beobachtungen beantworten. Und so gibt es zahlreiche Projekte, in denen Astrophysikerinnen und Astrophysiker das Universum genauestens vermessen – sowohl mit erdgebundenen Teleskopen als auch mit Weltraumobservatorien. Zwischen 2013 und 2019 durchmusterten sie beispielsweise im Rahmen des Dark Energy Survey über ein Achtel des gesamten Nachthimmels. Große Hoffnungen ruhen auch auf der kürzlich gestarteten Weltraummission Euclid der europäischen Weltraumagentur ESA, die mehr als ein Drittel des gesamten Himmels unter die Lupe nehmen soll. Aus dem Abgleich der gesammelten Daten mit theoretischen Modellen lassen sich bestimmte Annahmen bestätigen oder aber ausschließen. So hoffen Forscherinnen und Forscher, dem Rätsel der Dunklen Energie allmählich auf die Spur zu kommen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/dunkle-energie/

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