Gewitter können radioaktive Isotope erzeugen

Rainer Kayser

Helle Gewitterblitze sind vor einem dunklen Wolkenhimmel zu sehen.

Bereits 1925 spekulierte der Physiker Charles Wilson, dass Blitze in der Atmosphäre radioaktive Isotope erzeugen können. Diese These haben Wissenschaftler nun bestätigt: Bei einem Gewitter registrierten sie unmittelbar nach Blitzen eine Strahlung, die durch die paarweise Vernichtung von Elektronen und deren Antiteilchen – den Positronen – entsteht. Die beobachteten Positronen stammen aus dem Zerfall instabiler Atome, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“, die in von Blitzen ausgelösten Kernreaktionen entstehen. Gewitter könnten daher eine nicht zu vernachlässigende Quelle von Isotopen sein.

„Blitze sind natürliche Teilchenbeschleuniger“, erläutern Teruaki Enoto von der Universität Kyoto und seine Kollegen. Denn Blitze lösen ganze Kaskaden von hochenergetischen Elektronen aus. Werden diese Teilchen in der Atmosphäre abgebremst, senden sie Gammastrahlung aus. Und die Energie dieser Gammastrahlung reicht aus, um nukleare Reaktionen in der Atmosphäre auszulösen. So kann die von Blitzen produzierte Gammastrahlung ein Neutron aus dem stabilen Isotop Stickstoff-14 herauslösen. Das dadurch entstehende Isotop Stickstoff-13 ist extrem instabil und zerfällt sofort unter Freisetzung eines Positrons in das stabilere Kohlenstoff-13. Bisherige Versuche, diese Reaktionen zu beobachten, hatten sich auf den Nachweis der bei der ersten Reaktion erzeugten Neutronen konzentriert. Doch sie blieben erfolglos – oder erlaubten nicht, zwischen Reaktionen durch Blitze oder durch die kosmische Höhenstrahlung zu unterscheiden. Enoto und sein Team beschritten jetzt einen anderen Weg: Sie beobachteten bei einem Gewitter am 6. Februar dieses Jahres in Japan ausschließlich die Gammastrahlung.

Nach jedem Blitz registrierten die Forscher zunächst einen weniger als eine Millisekunde andauernden Ausbruch an hochenergetischer Gammastrahlung. Dabei handelt es sich um die Bremsstrahlung der vom Blitz erzeugten Elektronenkaskade. Doch daran schloss sich ein etwa eine Minute dauerndes Aufleuchten bei einer Energie von 511 Kiloelektronenvolt an. Und das ist genau die Energie von Gammaquanten, die bei der Paarvernichtung von Elektronen und Positronen entstehen. Diese Strahlung zeigt den Zerfall der sekundär durch die Gammastrahlung erzeugten radioaktiven Isotope an.

Weitere Untersuchungen müssten nun zeigen, so Enoto und seine Kollegen, welche Isotope bei Gewittern genau entstehen können. Diese Frage ist insbesondere für Archäologen von Bedeutung. Denn bislang gehen Archäologen bei der Altersbestimmung über den Zerfall radioaktiver Isotope davon aus, dass diese ausschließlich durch die kosmische Höhenstrahlung entstehen. In einigen Regionen könnte jedoch beispielsweise die Produktion von Kohlenstoff-14 durch Gewitter von der gleichen Größenordnung sein wie jene durch die kosmische Strahlung – und so die Altersbestimmung entsprechend verfälschen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2017/gewitter-koennen-radioaktive-isotope-erzeugen/