Die Kopplung von Erdbeben und Vulkanen

Sven Titz

Beobachtungen zeigen, dass sich nach Megabeben an tektonischen Plattengrenzen gehäuft Eruptionen ereignen. Inzwischen können Forscher aufgrund von Simulationen auch sagen, wie diese Kopplung funktioniert.

Im Jahr 1707 ereignete sich ein Erdbeben auf dem japanischen Festland – das stärkste in der Geschichte des Landes. Das sogenannte Hōei-Erdbeben mit einer geschätzten Magnitude von 8,6 verursachte beträchtliche Schäden an Land, löste einen Tsunami aus, und forderte über fünftausend Menschenleben. Nur wenige Tage nach diesem Erdbeben rumorte der Vulkan Fuji in der Nähe von Tokio. Am 6. Dezember 1707 brach er mit verheerender Wirkung aus und begrub weite Teile Japans unter einer Ascheschicht.

Foto: Vulkankegel mit grauer Eruptionswolke.

Ausbruch des Vulkans Karymsky

Etwa dreihundert Jahre später scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Am 11. März 2011 erschütterte ein Beben der Magnitude 9,0 den Meeresgrund vor Japan. Wieder wurde ein verheerender Tsunami ausgelöst, der auch wegen der größeren Energie des Bebens sowie dichterer Besiedelung der Küstenregion rund 19 000 Menschen das Leben kostete. Darüber hinaus führte der Tsunami zur Havarie eines Kernkraftwerks. Das Beben veränderte auch die Topografie des Landes – und zwar nicht nur an der Verwerfung selbst, sondern auch an Vulkanen in einer Entfernung von 100 bis 150 Kilometern.

Neue Messdaten mittels Satellitenradar zeigen, dass im Lauf des Jahres 2011 mehrere Regionen mit aktiven Vulkanen um 5 bis 15 Zentimeter absackten. Japanische Forscher vermuten, das Erdbeben vom 11. März 2011 habe die Spannungsverhältnisse unter der Erdoberfläche verändert. Das habe zum Absinken der Gebiete geführt. Ob es sich um ein Anzeichen für vulkanische Aktivität handelt, ist den Forschern zwar nicht klar; sie halten es aber für höchst empfehlenswert, die Vulkane permanent zu überwachen.

Die Sorgen sind gut begründet. Denn in der Vergangenheit ist es in Regionen, wo eine tektonische Platte unter eine andere abtaucht – den sogenannten Subduktionszonen –, schon mehrere Male passiert, dass ein schweres Erdbeben später Vulkanausbrüche nach sich zog. Zum Beispiel in Chile: Zwei Tage nach dem katastrophalen Beben am 22. Mai 1960 brach der Vulkan Cordón-Caulle aus. In den Monaten nach diesem größten je gemessenen Beben mit einer Magnitude von 9,5 begannen außerdem die Vulkane Planchón-Peteroa, Tupungatito und Calbucu aktiv zu werden.

Auf der Suche nach den Mechanismen

Natürlich könnte es sich in Chile oder auch in Japan prinzipiell um einen Zufall gehandelt haben. Aber Forscher haben ähnliche Beobachtungen auch an anderen Subduktionszonen gemacht – etwa auf den Aleuten in Alaska und auf Kamtschatka, auf den Philippinen und in Indonesien, Mittelamerika sowie in Italien. Darum sind immer mehr Forscher überzeugt, dass starke Erdbeben Vulkane aus einer Ruhephase zu holen vermögen. Diese Vulkane befinden sich zumeist sehr nah am Erdbebenherd, in Ausnahmefällen aber auch Tausende von Kilometern entfernt. Seit einigen Jahren sind Geowissenschaftler nun auf der Suche nach den Mechanismen, die bei derartigen Kopplungen ablaufen könnten.

Infografik/Weltkarte: Über die Erde verteilt sind in bestimmten Zonen lilafarbene Punkte und rote Dreiecke eingetragen, besonders viele rings um den Pazifik.

Weltkarte von Erdbeben und Vulkanen

Thomas Walter vom Helmholtz-Zentrum Potsdam macht aufgrund von dreidimensionalen Modellrechnungen gleich mehrere Mechanismen dafür verantwortlich, dass Erdbeben Vulkane aktivieren können. Diese Mechanismen können einzeln wirken, oder aber gemeinsam, was den Effekt noch verstärkt. Zum einen breiten sich von den Epizentren eine Reihe von Wellen in der Erdkruste aus. Sie zählen prinzipiell zu den gleichen seismischen Wellen, die auch die Schäden an der Erdoberfläche hervorrufen. Die vorübergehenden Deformationen schütteln aber auch die Magmareservoire unter Vulkanen durch. Dabei kann es vorkommen, dass Flüssigkeiten oder Gase, die bis zu dem Zeitpunkt im heißen Gesteinsbrei gelöst waren, aus der Lösung heraustreten. Darüber hinaus werden Brüche gebildet oder reaktiviert sowie flüssige und gasförmige Stoffe in Bewegung versetzt. All das kann Druckveränderungen verursachen, die schließlich zum Ausbruch des Vulkans führen.

Zweitens verändern Megabeben wie in Japan und Chile die statischen Verhältnisse in der Umgebung der Subduktionszone. Durch die Verschiebung während des Bebens wird die elastisch verformbare Erdkruste in manchen Gebieten gestaucht, in anderen aber auseinandergezogen. Walter und Kollegen erkannten, dass die vulkanische Aktivität vor allem in Regionen ansteigt, in denen das Volumen zunimmt, die Erdkruste also gestreckt wird.

Positiver Rückkopplungseffekt

Auf den ersten Blick erscheint die Diagnose etwas widersinnig. Warum sollte sich gerade in Regionen, in denen die Magmareservoire von Vulkanen plötzlich mehr Raum zur Verfügung haben, eine Eruption entwickeln? Walter räumt ein, dass der Gedanke der Intuition widerspricht. Es gebe aber plausible Ansätze für eine Erklärung.

Wieder spielen Fluide, also flüssige und gasförmige Stoffe, eine Schlüsselrolle. Dehnt sich das Volumen einer Magmakammer aus, können zum Beispiel Kohlendioxid und andere Fluide aus der Lösung austreten. Durch die Druckentlastung beim weiteren Aufstieg kann etwa eine Flüssigkeit zu Gas werden. Dieses vermag sich noch leichter auszudehnen. Auf diese Weise kann ein positiver Rückkopplungseffekt schließlich eine Eruption auslösen.

Infografik: Querschnitt durch die Erdkruste. An einer schrägen Linie verschieben sich die Erdplatten – das ist die sogenannte Subduktion. Pfeile markieren diese Verschiebung. Die dadurch hervorgerufene Dehnung und Stauchung der Erdkruste an verschiedenen Stellen ist farblich markiert. Über einer Dehnungszone sind rauchende Vulkane eingezeichnet.

Aktivierung von Vulkanen an einer Subduktionszone

Es gibt noch weitere Prozesse, die eine Rolle beim Zusammenhang zwischen Erdbeben und Vulkanaktivität spielen könnten. Durch die Erschütterungen und Deformationen, die ein Beben auslöst, mischen sich womöglich verschiedene Sorten Magma. Das kann ebenfalls bewirken, dass in den Magmen eine Übersättigung an Gasen erreicht wird. Und letztlich ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Erdbeben die vulkanischen Kanäle zwischen den Magmareservoiren und der Oberfläche verbreitert. Ob alle diese Mechanismen einzeln oder in ihrer Gesamtheit wirken, ist noch nicht geklärt. Offen ist ebenfalls, warum Geysire und Schlammvulkane – bei denen sind keine Magmen im Spiel – ähnlich durch Erdbeben aktiviert werden wie Vulkane.

Was bedeutet die Kopplung mit Erdbeben für die Abschätzung der Gefahr, die von Vulkanen ausgeht? Bei Megabeben erstreckt sich die Volumenexpansion über eine Distanz von teils mehr als zweitausend Kilometern. Walter nimmt an, dass die Gefährdung durch Vulkane in so einer Region nach einem Megabeben neu ausgewertet werden muss. Denn Vergleichsstudien zeigen, dass noch Jahre nach einem Starkbeben eine erhöhte Vulkanaktivität zu erwarten ist. Kurz: Die Häufigkeit und die Gefährdung durch Vulkanismus schwanken mit der Zeit – und sind eng mit Erdbeben verbunden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/erdinneres/kopplung-von-erdbeben-und-vulkanen/