Hurrikane – die Wärmekraftmaschinen der Tropen

Sven Titz

Hurrikan Katrina über New Orleans

NOAA

Die Energie und die Zerstörungskraft eines Orkans sind beeindruckend. Doch die Natur ruft noch weitaus kräftigere Windströmungen auf der Erde hervor: die Hurrikane. So heißen die ausgewachsenen Exemplare der tropischen Wirbelstürme im Atlantik und im Ostpazifik.

Ein tropischer Sturm weist Windgeschwindigkeiten zwischen 50 und 120 Kilometern pro Stunde auf. In einem Hurrikan dagegen strömt die Luft schneller als 120 Kilometer pro Stunde. Hierzulande spricht man ab dieser Windgeschwindigkeit von einem Orkan. Sehr viel heftiger werden die Winde an der Nordseeküste nicht. Hurrikane hingegen können Windgeschwindigkeiten von mehr als 250 Kilometern pro Stunde hervorrufen. Auf der fünfteiligen Saffir-Simpson-Skala zur Einstufung der Intensität entspricht das der höchsten Kategorie.

Diese Wirbelstürme heißen nicht überall Hurrikane. Über dem Westpazifik wirbeln „Taifune“ und über dem Indischen Ozean „tropische Zyklone“. Charakteristisch für diese tropischen Wirbelstürme ist, dass sie über warmem Meerwasser entstehen: Sie bilden sich ab einer Wassertemperatur von etwa 26,5 Grad Celsius. In der Umgebung von Europa wird das Meer großflächig nie so warm – darum gibt es hier keine Hurrikane. Die Temperatur ist allerdings nicht die einzige Bedingung für die Entwicklung eines Hurrikans. Drei weitere Faktoren müssen hinzukommen: wenig Wind, Gewitterwolken und der passende Breitengrad.

Weht über dem Meer ein starker Wind, der Passat zum Beispiel, dann können sich nicht einmal die Vorläufer der Hurrikane bilden – Wolkentürme werden einfach weggeblasen. Auch transportiert der Passat manchmal sehr trockene Luft aus Westafrika auf den Atlantik, die ebenfalls nicht förderlich für die Entstehung eines Hurrikans ist. Herrscht aber Flaute oder existiert bereits ein schwacher Windwirbel in der Höhe, dann entsteht womöglich ein tropischer Wirbelsturm. Meteorologen erkennen das auf Satellitenbildern schon früh daran, dass sich über den tropischen Gewässern Gewitterwolken zu Gruppen zusammenballen, zu sogenannten Clustern.

Weltkarte, Kontinente in schwarz. Meeresfläche von violett für kalt um die Pole herum bis zu rot für warm am Äquator eingefärbt. Wärmste Regionen sind indischer und pazifischer Ozean.

Entstehungsgebiete der tropischen Wirbelstürme

Aus Sicht der Thermodynamik sind tropische Wirbelstürme riesige Wärmekraftmaschinen: In den Gewitterwolken des Wirbelsturms steigt warme, feuchte Luft auf. Das verdunstete Wasser kondensiert und die Kondensationswärme treibt die Luft noch stärker nach oben, bis in eine Höhe von ungefähr 15 Kilometern. Dabei verliert sie durch Regen an Feuchtigkeit. Außerhalb des Wirbelsturms sinkt die trockene Luft ab und strömt direkt oder über einen Umweg in sein Zentrum zurück.

Damit sich aus dem ungeordneten Gewittercluster ein Wirbelsturm bildet, muss er sich in einem Abstand von mindestens fünf Breitengraden zum Äquator befinden. Denn nur dann ist die Corioliskraft, die die Luft ablenkt und in Rotation versetzt, groß genug. Diese Kraft entsteht durch die Erddrehung. Wenn man sich vom Nord- oder Südpol entlang eines Längengrads gen Äquator bewegt, dann wird die Rotationsgeschwindigkeit bezüglich der Erdachse immer größer. Darum wird der Wind abgelenkt – auf der Nordhalbkugel nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links. Am Äquator ist die Corioliskraft praktisch Null, am Nord- und Südpol erreicht sie ihre maximale Ausprägung. In einem tropischen Wirbelsturm wirkt aber nicht nur die Corioliskraft auf die Luftmassen ein. Zusätzlich übt der geringe Luftdruck im Zentrum einen Sog nach innen aus, während die Zentrifugalkraft die Luft nach außen treibt. Das Zusammenspiel dieser drei Kräfte bestimmt, wie stark die Luftmassen eines Hurrikans rotieren.

Infografik. Ein Wolkenwirbel über dem Meer, im Querschnitt. Pfeile über der Meeresoberfläche zum Zentrum hin. Ein Pfeil an der Wolkenoberkante aus dem Zentrum heraus. Das Zentrum: ein senkrecht stehender Schlauch.

Das Innenleben eines tropischen Wirbelsturms

Nach der Entstehung eines Hurrikans tut sich in dessen Zentrum bald ein windstilles, wolkenfreies Gebiet auf: das Auge. Es wird nach außen von einem rotierenden Kreis aus Gewittern begrenzt, in dem die höchsten Windgeschwindigkeiten des Hurrikans auftreten. Rings um das Auge steigt die Luft auf, in seinem Innern aber sinkt sie langsam ab und erwärmt sich durch Verdichtung. Der Durchmesser des Wolkenlochs beträgt zwischen vier und mehr als hundert Kilometern. Handelsübliche Barometer zeigen den Luftdruck nicht mehr an – so niedrig ist er. Der Hurrikan Wilma erreichte im Oktober 2005 beispielsweise einen neuen Rekord für den Atlantik: 882 Hektopascal. Ein starkes Orkantief bei Island kommt typischerweise auf Werte um 950 Hektopascal. Der normale Luftdruck liegt bei 1013 Hektopascal.

Während Hurrikane über das Meer ziehen, schwankt ihre Intensität. Das hat innere und äußere Ursachen. Einer der wichtigsten externen Faktoren ist die Windscherung: Wenn mit der Höhe der Wind stark zunimmt, behindert das die Entwicklung des Wirbelsturms. Denn nicht nur das Einströmen warmer Luft an der Meeresoberfläche ist für ihn wichtig, sondern auch das Ausfließen in einer Höhe von etwa 15 Kilometern. Zu viel externer Wind kann dieses Ausfließen der Luft stören. Auf der Nordhalbkugel dreht sich diese Luftströmung wegen der Corioliskraft im Uhrzeigersinn, also genau entgegengesetzt zu dem Wirbel ganz unten.

Ein weiterer äußerer Faktor ist die Meerestemperatur – und zwar nicht nur die an der Oberfläche. Auch die Wassertemperatur in einer Tiefe von 50 Metern ist wichtig, denn die extremen Hurrikanwinde wühlen das Meer bis in diese Schicht hinein auf. Das meist kühlere Wasser, das so nach oben gelangt, schwächt den Hurrikan ab. In der Hauptsaison aber findet sich zum Beispiel in der Karibik oft lauwarmes Wasser bis in eine Tiefe von 100 Metern und mehr. Beste Bedingungen für Hurrikane.

X: Datum. Y: Anzahl. Die Zahl der Hurrikane steigt im Laufe des Jahres auf 50 im September an und sinkt dann wieder auf 0. Zählt man die tropischen Stürme zu den Hurrikanen hinzu, dann wandern im September etwa 90 Wirbelstürme über den Atlantik

Wann entstehen die Hurrikane im Atlantik?

Die Wirbelstürme können sich aber auch vorübergehend selbst abschwächen. Meist ist ein Prozess dafür verantwortlich, der die Augenwand durch eine neue ersetzt: Die zusammenfallenden Wolken der alten Wand füllen das Zentrum, während sich weiter außen die neue Wand bildet. Derweil sinkt die Windgeschwindigkeit um ein paar Prozent. Nach einigen Stunden öffnet sich das Auge wieder und der Hurrikan gewinnt erneut an Schwung.

Die Zuggeschwindigkeit eines Hurrikans als Ganzes ist recht gering. Meist wird er nicht schneller als ein gut trainierter Radfahrer. Manchmal hält er auch inne oder beschleunigt auf 20 bis 30 Kilometer pro Stunde. Die Gefahr eines Hurrikans geht also nicht von seiner Zuggeschwindigkeit aus, sondern von anderen Begleiterscheinungen. So kann der Wellengang tropischer Wirbelstürme gewaltig sein – im Golf von Mexiko ließen sich mithilfe von Drucksonden am Meeresboden beispielsweise Wogen mit einer Höhe von knapp 30 Metern zwischen Wellental und Wellenkamm messen.

An der Küste führt jedoch weniger der Wellengang zu den größten Verwüstungen, sondern die Sturmflut. Sie entsteht dadurch, dass der Wirbelsturm ungeheure Wassermassen vor sich hertreibt – und zwar auf seiner rechten Flanke, wo sich Zuggeschwindigkeit und Rotationsgeschwindigkeit addieren. Je nach Intensität des Hurrikans und je nach Küstenform kann die Sturmflut mehr als sechs Meter hoch werden. Der geringe Luftdruck im Innern der Windwirbel trägt hingegen kaum zu den Überschwemmungen bei: Dieser „Unterdruck“ kann den Meeresspiegel höchstens um einen Meter anheben.

Sobald der Wirbelsturm die Küste überquert hat, geht ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Puste aus: Weil der Energienachschub aus dem warmen Meer fehlt, flaut der Wind binnen weniger Stunden ab und die Wolken lösen sich allmählich auf. Vorher jedoch gehen gewaltige Regenmengen nieder. Sie summieren sich oft zu Hunderten von Litern pro Quadratmeter auf und sorgen für Überflutungen, die alle übrigen Schäden übertreffen.


Werden Hurrikane stärker?

Eine so aktive Wirbelsturmsaison wie 2017 wurde im Atlantik zuletzt im Jahr 2005 beobachtet. Zehn Hurrikane folgten hintereinander. Besonders zerstörerisch wirkte sich Hurrikan „Harvey“ aus. Er brachte der US-Golfküste im August extreme Niederschlagsmengen: Stellenweise fielen pro Quadratmeter tausend Liter Regen – und das innerhalb weniger Tage. Solche Ereignisse lösen oft die Frage aus, ob der menschengemachte Klimawandel die tropischen Wirbelstürme stärker oder häufiger auftreten lässt. Fundierte Antworten finden sich im ersten Band des großen Berichts, den der Intergovernmental Panel on Climate Change oder kurz IPCC im Jahr 2013 vorlegte.

Ein erstes Indiz liefern Beobachtungen im Nordatlantik. Seit Beginn der Satellitenmessungen in den 1960er-Jahren sind dort die stärksten Hurrikane häufiger und kräftiger geworden. Ob der Mensch diesen Wandel hervorgerufen hat, diskutieren Wissenschaftler aber noch. In anderen Ozeanen sind die Beobachtungsreihen oft nicht lang oder genau genug, als dass sich schon klare Aussagen zu den bisherigen Veränderungen tropischer Wirbelstürme treffen ließen. Generell ist die Suche nach einem Zusammenhang zwischen dem menschengemachten Klimawandel und dem Verhalten tropischer Wirbelstürme ziemlich schwierig. Einer der Gründe besteht darin, dass auch natürliche Zyklen die Aktivität der Wirbelstürme beeinflussen. Das sind vor allem Schwankungen der Ozeantemperaturen.

Besonders anspruchsvoll ist es, einen Zusammenhang zwischen klimatischen Trends und einem einzelnen Wirbelsturm festzustellen. Dennoch haben Forscher den Versuch unternommen. Erste Untersuchungen von „Harvey“ deuten zum Beispiel darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer so großen Regenmenge möglicherweise durch die menschengemachte Erwärmung der Atmosphäre um ein paar Prozent vergrößert wurde, da wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann.

Vorausschauende Aussagen über die Entwicklung der tropischen Wirbelstürme in den nächsten Jahrzehnten sind gemäß IPCC noch sehr ungewiss. Wahrscheinlich, so heißt es im Klimabericht, nimmt die Anzahl global leicht ab oder bleibt gleich. Dafür könnte die maximal erreichbare Intensität der tropischen Wirbelstürme um ein paar Prozent steigen. Das betrifft die Windstärke ebenso wie die Regenintensität. Wie sich die Wirbelstürme in einzelnen Regionen verändern werden, ist noch schwerer zu sagen.

Anmerkung der Redaktion: Die erste Version dieses Artikels erschien 2006 auf Welt der Physik. Im Februar 2018 haben wir den Text überarbeitet und aktualisiert.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/wetter/hurrikane/