Helles Eis und dunkles Wasser – die Eisalbedo-Temperatur-Rückkopplung

Sven Titz

Meereis auf Globus

Wenn im Frühling die Sonne von Tag zu Tag höher steigt, setzt die Wirkung einer positiven Klimarückkopplung ein, die durch das unterschiedliche Reflexionsvermögen von Meereis und Meerwasser hervorgerufen wird. Sie ist einer der Hauptgründe dafür, dass globale Temperaturänderungen in der Arktis immer am stärksten ausfallen.

Die Geschichte von der Rückkopplung zwischen Eisalbedo und Temperatur beginnt – wie so vieles im Klima – bei der Sonne. Sie sendet kurzwellige Strahlung aus, die mit einer flächenbezogenen Leistung von 1.368 Watt pro Quadratmeter auf den gedachten Querschnitt unseres Planeten trifft. Gemittelt über die gesamte Erdoberfläche macht das 342 Watt pro Quadratmeter aus. Von den Sonnenstrahlen wirft die Erde 31 Prozent wieder ins All zurück. In der Sprache der Wissenschaftler hat die Erde damit eine Albedo von 0,31. Der Begriff Albedo steht für das Reflexionsvermögen einer Oberfläche, denn „albus“ ist das lateinische Wort für „weiß“.

Die Bedeutung der Albedo im Klima

Wie viel Strahlung eine Oberfläche reflektiert, ist unterschiedlich. Die Albedo kann theoretisch einen Wert zwischen 0 (keine Reflexion) und 1 (komplette Reflexion) annehmen. Wasser zum Beispiel weist eine Albedo von 0,1 auf, während strahlend weißes Eis – mit einem Wert von 0,8 – wesentlich mehr Sonnenlicht zurückwirft. Die veränderlichen Wolken haben eine Albedo von ungefähr 0,5. Alle Oberflächen zusammen bilden das Reflexionsvermögen der Erde, welches sich auf das Klima auswirkt.

Nimmt die Albedo der Erde zu, steht weniger Energie für das Klimasystem zur Verfügung und der Planet kühlt sich ab, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Dabei müssen sich einfallende Sonnenstrahlung, reflektierte Sonnenstrahlung und ausgesendete Wärmestrahlung genau ausgleichen. Sinkt die Erdalbedo, wird es wärmer. Die veränderliche Albedo des Planeten könnte daher zu früheren Klimaschwankungen beigetragen haben, die sich wiederum durch Schmelz- oder Gefrierprozesse auf die Albedo auswirkten.

Die Rückkopplung

Foto. Eisschollen, die auf dem Meer treiben.

Eisschollen in der Arktis

Besonders starke Auswirkungen hat der Wandel der Albedo in den Polargebieten. Sie ändert sich dort mit den Jahreszeiten erheblich. Dabei kann man einen Effekt beobachten, der als Eisalbedo-Temperatur-Rückkopplung bezeichnet wird. Wenn im Nordfrühling die Tage länger werden und die Sonne immer stärker einheizt, schmilzt das Meereis in Teilen des Arktischen Ozeans. Die Albedo sinkt dort in kurzer Zeit von 0,8 (Eis) auf 0,1 (Wasser). In der Folge nimmt die Meeresoberfläche sehr viel mehr Sonnenlicht auf als zuvor das Eis. Dieser Wandel verstärkt die Erwärmung und die Eisschmelze beschleunigt sich. Das sind die Kennzeichen einer positiven Rückkopplung.

Aufgrund der Eisalbedo-Temperatur-Rückkopplung werden alle Temperaturänderungen – seien sie nun auf natürliche oder auf menschengemachte Ursachen zurückzuführen – zu den Polen hin verstärkt. „Polar amplification“ nennen das die Klimaforscher (polare Verstärkung). In der Antarktis ist der Effekt noch schwach. Doch im Norden entfaltet die Eisalbedo-Temperatur-Rückkopplung eine enorme Wirkung. Die Erwärmung in der Arktis fiel in den letzten 50 Jahren doppelt so stark aus wie im globalen Mittel. Für die Berichte des UNO-Klimarats zum Treibhausproblem führten Wissenschaftler Simulationen durch, die ergaben, dass die Erwärmung in der Arktis auch in Zukunft doppelt so stark ausfallen könnte wie in den mittleren Breiten.

Infografik. Blick auf die Nordhalbkugel. Das Meereis in der Arktis ist weiß dargestellt. Vor der kanadischen und vor der sibirischen Küste ist das Eis geschmolzen, die zentrale Arktis rund um den Nordpol ist aber eisbedeckt.

Meereisminimum

Eng verwandt mit der Eisalbedo-Temperatur-Rückkopplung ist ein Effekt, der sich auf den arktischen Landflächen beobachten lässt, etwa in Sibirien und Alaska. Wenn dort im Frühling der Schnee schmilzt, sinkt die Albedo – sofern es sich bei der Landschaft um Tundra handelt – von ungefähr 0,8 auf 0,2. Dieser Albedo-Sprung ist zwar etwas kleiner als der von Meereis zu Meerwasser; er ist aber immer noch groß genug, um zu einer stark beschleunigten Aufheizung der Landflächen zu führen. Umgekehrt führt der erste Schneefall im Herbst dazu, dass die Lufttemperatur schneller sinkt, als es ohne die weiße Oberfläche der Fall wäre.

Wenn die Eisalbedo-Temperatur-Rückkopplung die einzige Rückkopplung im Klima wäre, würde eine Temperaturänderung, sobald sie einmal angefangen hat, geradezu davongaloppieren. Die Erde wäre schon längst vereist oder zu einem Planeten ganz ohne Eis und Schnee geworden. Doch es gibt auch dämpfende, negative Rückkopplungen. Eine davon tritt ebenfalls in der Arktis auf und hat mit der Luftfeuchtigkeit zu tun. Sobald im Frühling das Meereis verschwunden und der Schnee an Land getaut ist, nimmt die Verdunstungsrate schnell zu. Die Luft wird feuchter und es bilden sich Wolken – vor allem niedrige, die an ihrer Oberseite viel Sonnenlicht reflektieren. Diese negative Rückkopplung dämpft die Erwärmung in der Arktis ein wenig.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/klimaforschung/eisalbedo/