LOFAR: Tausend Augen sehen mehr

Ulrich Kilian

LOFAR-Station in Tautenburg.

LOFAR ist ein neuartiges, digitales Radioteleskop und wird unter anderem erstmals in der Lage sein, langwellige Radiostrahlung aus der Frühzeit des Universums zu messen.

Radiostrahlung entsteht überall im Kosmos, weshalb die Radioastronomie seit Karl Jansky, der 1931 die ersten Radiowellen einfing, zu einem äußerst wichtigen Zweig der Astronomie wurde. Viele berühmte Entdeckungen sind ihr zu verdanken. Das Zentrum der Milchstraße beispielsweise ist durch den intergalaktischen Staub dem optischen Zugriff entzogen, während Radiostrahlung dank ihrer größeren Wellenlänge den Nebel durchdringt.

Europakarte mit bereits finanzierten (rot) und geplanten (gelb) LOFAR-Stationen, Stand 2010.

Das LOFAR-Netzwerk

Hier liegt aber auch ein Problem: Größere Wellenlänge bedeutet schlechtere Auflösung. Das Gegenmittel heißt größere Antennen, weshalb Radioastronomen ihre Teleskope zu Interferometern zusammenschalten, um schärfere Bilder zu bekommen. Trotzdem konzentrierte sich die Radioastronomie in den letzten Jahrzehnten vor allem auf die kurzwellige Radiostrahlung, während der langwellige Bereich kaum erforscht wurde. Diese Lücke schließt nun LOFAR, das Low Frequency Array, ein Radioteleskop der nächsten Generation.

Radioteleskop 2.0

LOFAR setzt sich aus vielen einzelnen, aber vernetzten Sensorfeldern zusammen und ist ein richtig großes Teleskop: Seine Ausdehnung soll sich im Endausbau über ganz Europa erstrecken. Sein Zentrum liegt in den Niederlanden, wo 2006 bei Exloo in der Provinz Drenthe die erste Station ihre Arbeit aufnahm. Bis Ende 2010 werden neben 35 weiteren niederländischen auch acht Stationen in anderen europäischen Ländern dem Netzwerk angehören. Um mit LOFAR eine Winkelauflösung von einer Bogensekunde und weniger zu erreichen, reicht aber selbst ein Teleskop, das so groß ist wie unser Nachbarland und eine effektive Sammelfläche von 30.000 Quadratmetern besitzt, nicht aus.

Deshalb wurde LOFAR über die niederländischen Grenzen ausgedehnt. In Deutschland bildete sich das Netzwerk GLOW (German Long Wavelength), das bis 2012 zehn Stationen errichten möchte. Die erste deutsche LOFAR-Station wurde 2007 in unmittelbarer Nähe des Hundert-Meter-Radioteleskops Effelsberg eröffnet, weitere bereits fast fertiggestellte LOFAR-Standorte sind Garching und Tautenburg im Thüringer Wald. Insgesamt werden die internationalen Stationen weitere 20.000 Quadratmeter Sammelfläche hinzufügen.

Während klassische Radioteleskope die Strahlung in riesigen, beweglichen Parabolschüsseln auffangen, sind die LOFAR-Antennen ganz einfach aufgebaut: schlichte Dipolantennen, die fest am Boden verankert sind. Keine beweglichen Teile, keine Motoren – das bedeutet natürlich auch weniger Wartungsaufwand und geringe Betriebskosten. Jede Station besteht aus zwei etwa sechzig mal sechzig Meter großen Sensorfeldern, auf denen zahlreiche solcher Low-Budget-Antennen für niedrige (30–80 Megahertz) und hohe Frequenzen (120–240 Megahertz) verteilt sind. Den Bereich dazwischen spart man sich, weil hier die störenden UKW-Frequenzen liegen.

Der Superrechner macht das Bild

Das eigentliche „Bild“, das die einzelnen Stationen liefern, entsteht erst im Zentralcomputer in Groningen, einem Superrechner aus der BlueGene-Familie von IBM. Zunächst werden die Daten der zu einem Sensorfeld gehörenden Antennen zu einem Signal zusammengefasst, bevor sie nach Holland geschickt werden. Dort werden die eintreffenden Signale – ein Datenstrom von bis zu 500 Gigabit pro Sekunde! – miteinander verrechnet.

In einer Waldlichtung ist eine Anordnung von 96 schwarzen Platten zu sehen. Im Vordergrund zahlreiche Antennen.

Das Sensorfeld in Effelsberg

Der Zentralrechner legt auch die Blickrichtung und die Größe des Gesichtsfelds fest, indem er die Phasenbeziehung zwischen den Signalen der Antennen einer Station verändert. Acht verschiedene Richtungen am Himmel können dadurch zur selben Zeit beobachtet werden – ein wesentlicher Vorteil gegenüber herkömmlichen Interferometern, die sich auf eine Blickrichtung beschränken müssen. Ein Datenspeicher an jeder Station ermöglicht es, die Rohdaten des gesamten Radiohimmels für einige Sekunden zu speichern, um sie beim Auftreten eines besonderen Ereignisses nachträglich auswerten zu können. Ist das Prinzip des volldigitalen Radioteleskops auch schon länger bekannt, so erlauben doch erst jetzt preiswerte Elektronik, extrem leistungsstarke Computer, schnelle Datenleitungen und gigantische Datenspeicher seine Realisierung.

Warum wird dieser Aufwand betrieben? Mehrere interessante wissenschaftliche Fragestellungen (langwellig heißt nicht langweilig) soll LOFAR in sechs sogenannten Key Science Projects angehen. Aus Deutschland sind daran die astronomischen Institute an den Universitäten Bochum, Bonn, Köln und Hamburg sowie der Jacobs University in Bremen beteiligt, ebenso die Max-Planck-Institute für Astrophysik in Garching und für Radioastronomie in Bonn, das Astrophysikalische Institut Potsdam (AIP) und die Thüringer Landessternwarte in Tautenburg. Koordiniert wird das Projekt vom niederländischen Institut für Radioastronomie, ASTRON.

Ein Hauptinteresse liegt auf dem frühen Universum, rund eine Milliarde Jahre nach dem Urknall. Damals – in der Epoche der Reionisation – heizten die ersten Sterne ihre Umgebung auf und ionisierten das bis dahin neutrale Gas. Zeuge dieser Strukturbildung ist die Radiostrahlung des neutralen Wasserstoffs bei einer Wellenlänge von 21 Zentimetern, die allerdings auf ihrem langen Weg durchs expandierende Universum zu Wellenlängen zwischen zwei und vier Metern rotverschoben wird. Das ist genau das Metier von LOFAR, das nach diesen Signalen suchen wird. Bemerkbar machen sollten sie sich als Fluktuationen des schwachen Hintergrunds. Diese Messungen sind von erheblicher Bedeutung, um die heutigen kosmologischen Modelle testen und verbessern zu können. Die langwellige Radioastronomie ist dazu optimal geeignet.

Die Bilder zeigen den Quasars 3C 196 bei Wellenlängen von vier bis zehn Metern – also im Radiobereich. Stammen die Daten aussschließlich von den niederländischen         LOFAR-Stationen, reicht die Auflösung für die Identifikation von Substrukturen nicht aus. Zu sehen ist nur ein verschwommener, heller Punkt. Tragen auch die deutschen         LOFAR-Stationen bei, ist die Auflösung des Bildes rund zehnmal höher und zeigt zum ersten Mal eine Reihe von Details in diesem Wellenlängenbereich. Wie im vergrößerten Ausschnitt des zentralen Bildbereichs auf der rechten Seite dargestellt.

Radiobilder eines Quasars

Weitere Schlüsselprojekte befassen sich mit einer Radiodurchmusterung des Nordhimmels sowie mit der Suche nach Ereignissen, die plötzlich und nur für kurze Zeit am Himmel aufblitzen. Dazu zählen beispielsweise die schon länger bekannten Radioausbrüche von schwarzen Löchern und Supernovae, aber auch ganz junge Phänomene wie die bizarren Radiowellen von transienten Pulsaren, die sich nur für einige Tausendstel Sekunden bemerkbar machen, bevor sie sich wieder minuten- oder sogar monatelang in Schweigen hüllen.

Deutsche Schlüsselprojekte

Zwei Schlüsselprojekte wurden von deutschen Wissenschaftlern angestoßen. Das MPI für Radioastronomie in Bonn leitet ein Projekt, das sich mit kosmischen Magnetfeldern beschäftigt. Magnetfelder sind aus der Milchstraße und vielen anderen Galaxien bekannt (wenn auch wenig verstanden). Im Rahmen von LOFAR soll aber erstmals der Nachweis schwacher intergalaktischer Magnetfelder geführt werden. Die Empfindlichkeit anderer Radioteleskope reicht dafür nicht aus. Das AIP widmet sich Radioausbrüchen der Sonne und will diese genauer als je zuvor vermessen. Da mit LOFAR Bilder im Sekundenrhythmus (inklusive „Schwenken“ des Teleskops) aufgenommen werden können, ist es möglich, jeden Ausbruch genau zu verfolgen.

Und schließlich hoffen alle beteiligten Wissenschaftler auf Überraschungen: neue Himmelsobjekte, unerwartete Phänomene, irritierende Daten. Ein Teleskop wie LOFAR gab es bisher nicht, da darf man sich also berechtigte Hoffnung auf Neues machen. Gleichzeitig denken die Astronomen aber schon an die nächste Teleskop-Generation: Das in Südafrika oder Australien geplante „Square Kilometre Array“ (SKA) mit einer Sammelfläche von einem Quadratkilometer basiert auf den Erfahrungen mit LOFAR. Damit wird man noch tiefer ins Universum vorstoßen können.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/lofar/