Spektroskopie von Sonnenneutrinos mit Borexino und LENA

Lothar Oberauer

Borexino-Kugel von innen

Neutrinos, die uns aus dem Innern der Sonne erreichen, gaben die ersten experimentellen Hinweise darauf, dass diese Teilchen eine Masse besitzen. Mit Borexino wird es erstmals möglich sein, niederenergetische Neutrinos von der Sonne energieaufgelöst und in Echtzeit zu untersuchen. Der Nachweis erfolgt in einer Flüssigkeit, in der die Neutrinos schwache Lichtblitze auslösen.

Im Zentralbereich der Sonne wird Energie durch das Verschmelzen von Wasserstoff zu Helium freigesetzt. Bei diesen Fusionsprozessen werden auch Elektron-Neutrinos emittiert. Da Neutrinos mit Materie nur sehr schwach wechselwirken, können sie die Sonnenmaterie ungehindert passieren. Auf der Erdoberfläche treffen etwa sechzig Milliarden solare Neutrinos pro Quadratzentimeter und Sekunde auf, dennoch sind sehr große, gegen kosmische Strahlung abgeschirmte Detektoren nötig, um sie nachzuweisen. Typische Nachweisraten liegen bei einigen Ereignissen pro Tag in hundert bis tausend Tonnen Detektormaterial. Durch das Studium solarer Neutrinos erfahren wir sowohl etwas über den Aufbau der Sonne als auch über die Eigenschaften dieser Teilchen.

Modellbau des Borexino-Experiments. Zum Größenvergleich daneben ein Puppenhaus. Das Experiment ist etwa eineinhalb mal so groß wie das Haus.

Modell des Borexino-Experiments

Borexino weist Neutrinos mit Hilfe eines Flüssigszintillator nach. Dringen Neutrinos in die Flüssigkeit ein, so können sie in seltenen Fällen an Elektronen gestreut werden. Dabei entstehen Lichtblitze, die von Photosensoren registriert werden. Diese Nachweismethode hat zwei Vorteile: Sie funktioniert für alle Neutrinoarten (Flavors), und sie ist auch für Neutrinos mit geringer Energie empfindlich, da es keine Energieschwelle für die Neutrino-Elektron-Streuung gibt. Nachteilig daran ist, dass man ein Neutrinosignal von Untergrundereignissen, die durch radioaktive Zerfälle hervorgerufen werden, nicht unterscheiden kann. Es ist daher notwendig, den Detektor aus Materialien von höchster Reinheit aufzubauen und diesen sehr gut gegen radioaktive Strahlung von außen abzuschirmen.

Ziel von Borexino ist der erstmalige direkte und energieaufgelöste Nachweis von solaren Neutrinos mit Energien unterhalb von einem Megaelektronenvolt (MeV). Diese stammen zum Großteil aus einem Zweig des Fusionsnetzwerkes, an dem Beryllium-7 beteiligt ist. Das Besondere an den hierbei entstehenden Neutrinos ist, dass sie monoenergetisch sind (Energie von 863 keV). Sie sind für Modelle des Sonneninneren sehr wichtig. Bisher ist nur der hochenergetische Teil des solaren Neutrinospektrums oberhalb von 5 MeV für Spektroskopie zugänglich (Super-Kamiokande, SNO). Die niederenergetischen Neutrinos ließen sich bisher nur mit Hilfe radiochemischer Experimente (Chlor-Experiment, GALLEX, GNO, SAGE) nachweisen. Hierbei musste die Messung jedoch über mehrere Wochen integriert werden, und eine Energieauflösung war nicht möglich.

Detektoraufbau nach dem „Zwiebelschalenprinzip“

Radialsymmetrische Anordnung von zahlreichen Photomultipliern auf einer Kugelinnenfläche.

Blick ins Innere der Stahlkugel

Das Borexino-Experiment entsteht im Gran-Sasso-Untergrundlabor in den italienischen Abruzzen. Dort verringert das darüber liegende Gebirge den Fluss an kosmischer Strahlung auf etwa ein Millionstel. Der Aufbau des Detektors erfolgt nach dem „Zwiebelschalenprinzip“: Von außen nach innen werden in konzentrischen Schichten immer reinere Materialien zur Abschirmung verwendet, um so im Zentrum des Detektors möglichst wenig störenden Untergrund zu haben.

Das aktive Detektorvolumen besteht aus 300 Kubikmetern hochreiner organischer Flüssigkeit (basierend auf einem Mineralölderivat) in einem Nylonballon von 8,5 Metern Durchmesser. Umgeben ist es von tausend Kubikmetern organischer Abschirmflüssigkeit. Das Szintillationslicht registrieren 2200 Photomultiplier mit Lichtkonzentratoren, die auf der Innenseite einer Stahlkugel mit 14 Metern Durchmesser montiert sind. Der gesamte Aufbau befindet sich in einem Stahltank mit etwa 18 Metern Durchmesser, der 2000 Kubikmeter Reinstwasser zur Abschirmung gegen natürliche radioaktive Strahlung aus der Umgebung enthält. In diesem Tank sind 208 Photomultiplier angebracht. Sie registrieren Lichtblitze, die von Myonen im Wasser erzeugt werden. Auf diese Weise trennt man Myonen-Ereignisse von Neutrinoereignissen.

Durchsichtige Kuppel, von Photosensoren umgeben, in blau-grünem Licht.

Der Prototypdetektor CTF

Eine große experimentelle Herausforderung besteht darin, die Konzentration an radioaktiven Verunreinigungen in dem Flüssigszintillator auf ein Niveau von etwa 10-16 zu reduzieren. Hierfür werden verschiedene speziell entwickelte Reinigungsmethoden eingesetzt. Dazu gehören Wasserextraktion, Destillation, Säulenchromatografie und Spülen mit hochreinem Stickstoff. Um die Reinheit der verwendeten Detektormaterialien und die Effizienz der Reinigungsmethoden zu testen, wurde ebenfalls im Gran-Sasso-Untergrundlabor ein Prototypdetektor (Counting Test Facility, CTF) mit etwa vier Tonnen Flüssigszintillator aufgebaut, der von tausend Tonnen Wasser abgeschirmt wird.

Erste Tests der CTF mit kleinen Szintillatorproben übertrafen die Erwartungen an die Lichtausbeute sogar. Es ist vorgesehen, den Borexino-Detektor zuerst mit hochreinem Wasser zu füllen und verschiedene weitere Tests vorzunehmen. Gleichzeitig werden Szintillatorproben in der CTF einem endgültigen Test unterworfen, bevor mit dem Austausch des Wassers durch den Szintillator begonnen wird. An dem Borexino-Projekt sind etwa hundert Wissenschaftler aus Deutschland, Italien, Frankreich, Polen, Russland, Ungarn und den USA beteiligt.

Ausblick – auf Borexino folgt LENA

Skizze: Neunzig Meter langer gelber Zylinder mit 29 Metern Durchmesser, der an einer Stelle offen ist. Im Inneren sieht man weiße Punkte an der Innenoberfläche.

Schematische Darstellung des geplanten LENA-Detektors

Für die Zukunft ist ein sehr viel größerer Detektor geplant, der nach dem gleichen Prinzip wie Borexino arbeiten soll. LENA (Low Energy Neutrino Astronomy) soll aus etwa 50.000 Tonnen Flüssigszintillator bestehen, der von etwa 12.000 Photosensoren umgeben ist. Mit einem solchen Detektor kann man sehr effektiv Neutrinos und Antineutrinos aus verschiedenen Quellen nachweisen. Mit LENA wird es möglich sein, das Spektrum der niederenergetischen solaren Neutrinos sehr präzise zu bestimmen und darüber hinaus Neutrinos von Supernovae in unserer Galaxis mit großer Teilchenstatistik zu registrieren. Auch Neutrinos sehr weit entfernter Supernovae (bis zu einer Rotverschiebung von etwa z = 1) könnten zum ersten Mal nachgewiesen werden. Sie würden Rückschlüsse auf die Phase der Sternentstehung im frühen Universum erlauben. Je nach Modell würde man etwa fünfzig Ereignisse dieser Art während einer Messperiode von zehn Jahren erwarten.

Mit LENA kann man auch nach dem Protonzerfall suchen, der von verschiedenen supersymmetrischen Theorien (SUSY) vorhergesagt wird. Nimmt man die heutige Obergrenze für diesen Zerfall, so erwartet man in LENA etwa vier Ereignisse pro Jahr. Bei Nichtbeobachtung und einer Messzeit von zehn Jahren könnte man eine Mindestlebensdauer des Protons von 4 ⋅ 1034 Jahren angeben, was in dem Bereich liegt, der von supersymmetrischen Modellen vorhergesagt wird.

Möglich wäre auch der Nachweis von Neutrinos aus dem Zerfall von Uran und Thorium in der Erdkruste. Das würde Hinweise auf die Verteilung dieser Elemente im Erdinneren liefern und wäre ein wichtiger Test für geologische Modelle. Als mögliche Standorte für LENA werden ein Bergwerk in Finnland und eine Stelle in 4000 Metern Tiefe im Meer vor der griechischen Küste bei Pylos studiert.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/kosmische-strahlung/kosmische-neutrinos/borexino/