KASCADE-Grande: Luftschauer über Karlsruhe

Andreas Haungs

Das KASCADE-Detektorfeld

KASCADE-Grande misst mit einem Multidetektorsystem ausgedehnte Luftschauer, die von hoch­energetischen kosmischen Teilchen in der Atmosphäre ausgelöst werden. Ziel ist es, die Element­zusammensetzung der kosmischen Strahlung im Energiebereich des sogenannten „Knies“ zu rekonstruieren.

Schematische Messung von Luftschauern. Skizze des Erdbodens mit den Detektoren und die Entstehung eines Luftschauers, wenn kosmische Teilchen auf die Atmosphäre treffen.

Ausgedehnte Luftschauer

Hochenergetische kosmische Strahlung lässt sich aufgrund des geringen Flusses nicht mehr direkt mit Ballon- oder Satellitenexperimenten messen. Bei nur einem Teilchen pro Quadratmeter und Tag ist man auf erdgebundene Messungen angewiesen. Hierbei kommt zugute, dass die aus dem Kosmos kommenden Primärteilchen in der Atmosphäre mit den Atomkernen der Luftmoleküle zusammenprallen und in einem fortlaufenden Prozess Sekundärteilchen erzeugen: Ein ausgedehnter Luftschauer bildet sich aus. KASCADE-Grande (Karlsruhe Shower Core and Array Detektor mit Grande Erweiterung) ist zum einen auf astrophysikalisch interessante Größen, wie Energiespektrum und Elementzusammensetzung der kosmischen Strahlung, empfindlich. Andererseits trägt es zum Verständnis von Wechselwirkungsmechanismen bei, die bei hohen Energien zwischen Hadronen (Elementarteilchen, die der starken Wechselwirkung unterliegen) stattfinden.

Das „Knie“ in der Energieverteilung der kosmischen Strahlung

Der Fluss der kosmischen Strahlung nimmt mit zunehmender Energie der Teilchen stark ab. Etwas oberhalb einer Energie von 1015 Elektronenvolt (eV) ändert sich jedoch die „Steilheit“ dieses Energiespektrums auf charakteristische Weise. Diesen Bereich nennt man das „Knie“ der kosmischen Strahlung. Die Ursache dieser Änderung ist bisher unbekannt, es existieren jedoch verschiedene theoretische Ansätze zur Erklärung.

Foto einer Wiese vor einem Wald. Auf der Wiese stehen in Reihen angeordnet zahlreiche kleine graue Hütten.

Das Detektorfeld von KASCADE-Grande

So könnte die Energie im Bereich des Knies die nötige Minimalenergie zum Entweichen der Teilchen aus unserem Milchstraßensystem sein. Denkbar ist auch, dass es die maximal erreichbare Energie ist, welche die Teilchen mit möglichen Beschleunigungsmechanismen in unserer Galaxis erreichen können. Schließlich ist es auch möglich, dass es die Energieschwelle für neue Wechselwirkungseigenschaften der Teilchen in oder außerhalb unserer Atmosphäre ist. Dies hätte eine falsche Rekonstruktion der Teilchenenergie zur Folge.

Alle drei Theorien sagen eine Abhängigkeit der Position des Knies von der Art der Primärteilchen voraus. Sie lassen sich experimentell unterscheiden, indem man die Position des Knies für verschiedene Elementgruppen bestimmt, und zusätzlich die Isotropie der ankommenden Strahlung überprüft.

KASCADE-Grande misst geladene Teilchen der kosmischen Strahlung

KASCADE-Grande verfolgt das Ziel, Energie und Masse der Primärteilchen zu bestimmen und dabei auch die Wechselwirkungen in der Luftschauer-Entwicklung besser zu verstehen. Hierfür verfügt die Anlage über verschiedene Detektortypen, die alle geladenen Teilchen in den Schauern messen. Das sind Hadronen, Myonen und Elektronen. Die Detektoren messen die laterale Dichteverteilung. Daraus ergibt sich die Gesamtzahl der Sekundärteilchen am Boden, was Rückschlüsse auf Energie und Teilchenart des Primärteilchens zulässt.

Diagramm der Teilchendichte eines einzelnen Schauers in Abhängigkeit vom Abstand zum Schauerzentrum, gemessen mit verschiedenen Detektorkomponenten von KASCADE-Grande. Myon- und Elektrondetektoren messen zahlreiche Events bis knapp 200 Meter Zentrumsabstand. Der Grande Detektor im Abstand zwischen 200 und 600 Metern.

Teilchendichte eines einzelnen Schauers

Das ursprüngliche KASCADE-Experiment besteht aus einem 200 mal 200 Quadratmeter großen Areal mit 252 Detektorstationen zum Nachweis der elektromagnetischen Komponente eines Luftschauers. Zusätzlich beinhalten 196 dieser Stationen Myon-Detektoren, die von einer zwanzig Zentimeter starken Abschirmung aus Blei und Eisen umgeben sind. Im Zentrum der Anlage befindet sich ein kompaktes 20 mal 16 Quadratmeter großes Detektorsystem, bestehend aus einem 4000 Tonnen schweren Eisen-Kalorimeter mit neun Lagen aus empfindlichen Ionisationskammern, drei Ebenen aus Spurdetektoren sowie einer Triggerebene aus Szintillationszählern. Das komplexe Detektorsystem dient zur Vermessung der Hadronen und hochenergetischen Myonen des Luftschauers. Nördlich dieses Zentraldetektors werden in einem fünfzig Meter langen Tunnel die Spuren von Myonen in drei horizontalen und zwei vertikalen Ebenen aus Detektoren gemessen. KASCADE kann auf diese Weise kosmische Teilchen zwischen 1014 eV und 1017 eV mit hoher Qualität nachweisen.

Nach acht Jahren Messzeit wurde KASCADE um 37 größere Detektorstationen erweitert und nimmt seitdem eine Fläche von 700 mal 700 Quadratmeter ein. Mit dieser neuen Anlage, genannt KASCADE-Grande, können nun Primärteilchen mit Energien bis zu 1018 eV nachgewiesen werden.

Erstmals Energiespektren einzelner Primärteilchenarten

Das Energiespektrum der kosmischen Strahlung. Farbig eingezeichnet die Ergebnisse von KASCADE mit den rekonstruierten Spektren einzelner Elemente. Deutlich zeigt sich, dass die leichten Elemente das Knie der kosmischen Strahlung verursachen. Das Gesamtspektrum ist für zwei Analyseergebnisse dargestellt, basierend auf unterschiedlichen theoretischen Modellen der Luftschauerentwicklung.

Das Energiespektrum der kosmischen Strahlung

Über vierzig Millionen mit KASCADE gemessene Luftschauer erbrachten wichtige Erkenntnisse. Zum einen konnte gezeigt werden, dass die kosmische Strahlung in diesem Energiebereich nicht aus primären Photonen (Gammaquanten) oder Elektronen, sondern aus Atomkernen besteht. Außerdem ist die geladene kosmische Strahlung absolut isotrop, das heißt die Teilchen fallen aus allen Richtungen gleich häufig ein. Darüber hinaus ist KASCADE das bisher einzige Luftschauerexperiment weltweit, das aus den Daten nicht nur das Spektrum aller Teilchen rekonstruieren,sondern Energiespektren einzelner Primärteilchenarten (Wasserstoffkerne, Heliumkerne, Gruppe mittelschwere Kerne und so weiter) extrahieren konnte. Hierbei wurde gezeigt, dass das „Knie“ nur durch leichte Primärteilchen verursacht wird. Außerdem verschiebt sich dessen Position mit der Masse und Ladung der Primärteilchenart zu höheren Energien. Die Ergebnisse weisen eindeutig auf eine astrophysikalische und nicht teilchenphysikalische Ursache des Knies hin. Für die Teilchenphysik ist dennoch interessant, dass mit KASCADE Wechselwirkungseigenschaften von Teilchen in einem Energiebereich untersucht werden konnten, der weit oberhalb aller bisherigen Beschleunigerexperimente liegt.

Ausblick – KASCADE-Grande gemeinsam mit LOPES

Aus den bisherigen Ergebnissen folgen weitergehende Fragestellungen bezüglich des Spektrums der kosmischen Strahlung. So sollte die Position des zu erwartenden Knies für Eisenkerne bei circa 1017 eV liegen. Das muss noch experimentell überprüft werden. Hier muss dann auch die galaktische Komponente der kosmischen Strahlung in eine extragalaktische für die höchsten Energien übergehen. Das heißt,Teilchen mit Energien von mehr als 1017 eV sollten mehrheitlich von entfernten Galaxien kommen. Damit sollte theoretisch eine Änderung der Elementzusammensetzung einhergehen. Beides ist mit der Erweiterung von KASCADE zu KASCADE-Grande experimentell zugänglich. Parallel zu den Messungen mit den Sekundärteilchendetektoren wird KASCADE-Grande in Koinzidenz mit Radio-Antennen des LOPES-Experimentes betrieben. Ziel dieser Kooperation ist es, die Radioemission in Luftschauern zu messen. Dieser Anfang 2004 erstmals in Karlsruhe nachgewiesene Prozess wird voraussichtlich als neue Technik für die Messung von kosmischen Strahlungsteilchen höchster Energien zum Einsatz kommen.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/kosmische-strahlung/detektoren/kascade-grande/