Der LHC im Überblick

Informationsgrafik, die den Verlauf des kreisförmigen LHC-Beschleunigers und die vier Experimentierhallen unter der Erde zeigt. Auf der Erdoberfläche ist links vom Beschleuniger die Stadt Genf angedeutet.

Der LHC (Large Hadron Collider) befindet sich am europäischen Teilchenphysikzentrum CERN in der Nähe von Genf und wurde 2008 in Betrieb genommen und wird die Teilchenphysik auf Jahrzehnte prägen. Sein Bau war eine technologische Herausforderung ersten Ranges.

Der LHC ist ein knapp 27 Kilometer langer Teilchenbeschleuniger, der Protonen und geladene Atomkerne auf hohe Energien und dann zum Zusammenstoß bringt. An vier großen Experimenten (ATLAS, CMS, LHCb und ALICE) untersuchen Physiker, was bei diesen Kollisionen geschieht. Da der LHC zuvor unerreichte Teilchenenergien zugänglich macht, erhoffen sich die Wissenschaftler von den Daten neue Erkenntnisse über die Teilchenphysik.

Die ersten Teilchen liefen im Herbst 2008 durch den Beschleuniger. Wegen eines schweren Schadens an einem der über 1000 Kurvenmagneten verzögerten jedoch sich die wissenschaftlichen Arbeiten um einige Monate. Die ersten Teilchenkollisionen fanden schließlich im November 2009 statt. Die erste lange Abschaltperiode zur Wartung und Aufrüstung des LHC begann im Februar 2013 und dauerte etwa zwei Jahre.

Energie und Projektile

Der LHC erreicht Energien, die eine Größenordnung höher als die der zuvor leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger liegt. Der nächst leistungsfähigere Teilchenbeschleuniger, das Tevatron am Fermi National Accelerator Laboratory, erreichte zuletzt 1 TeV pro Richtung bei der Beschleunigung von Protonen. Die Anlage wurde allerdings im September 2011 wegen Budgetkürzungen abgeschaltet.

Der LHC ist darauf ausgelegt, Protonen auf Energien von 7 Billionen Elektronenvolt (7 TeV) zu beschleunigen und so Kollisionen mit einer Schwerpunktsenergie von 14 Billionen Elektronenvolt zu ermöglichen. Infolge des Schadens am Beschleuniger kurz nach der Inbetriebnahme im Jahr 2008 wurde jedoch beschlossen, den LHC bis zur ersten langen Wartungsperiode ab 2013 zunächst nur mit der halben Energie von 3,5 TeV pro Richtung (7 TeV Schwerpunktsenergie) zu betreiben. Die volle Auslegungsenergie steht ab 2015 zur Verfügung. Die im LHC beschleunigten Protonen bestehen aus vielen Quarks und Gluonen. Bei einer Kollision wechselwirken nur einzelne dieser Teilchen miteinander, sodass nicht die gesamten 14 Billionen Elektronenvolt zur Verfügung stehen. Die Gesamtenergie ist aber hoch genug, dass auch die Reaktionen der Proton-Bestandteile noch bei Energien von mehreren Billionen Elektronenvolt stattfinden.

Der LHC kann alternativ zu Protonen auch schwere Ionen beschleunigen. Für einige Wochen im Jahr werden nicht Protonen, sondern Bleikerne beschleunigt und zur Kollision gebracht. Zur Auswertung dieser Ereignisse, mit denen vor allem ein besonderer Materiezustand namens Quark-Gluon-Plasma untersucht werden soll, ist das ALICE-Experiment konstruiert. Der LHC erreicht dabei Energien von 2,7 TeV pro Nukleon (Proton oder Neutron im Kern), in Kollisionen von Bleikernen mit 208 Nukleonen finden also theoretisch Kollisionen bei einer Energie von 1150 TeV statt. Der aktuell zweitstärkste Ionenbeschleuniger ist der Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) in Brookhaven (USA), der mit 0,2 TeV pro Nukleon in Kollisionen von Goldkernen eine theoretische Höchstenergie von etwa 78 TeV erreicht.

In einem speziellen Programm wurden im Januar 2013 für wenige Wochen erstmals auch Bleikerne mit Protonen zur Kollision gebracht, um die innere Struktur der Atomkerne zu untersuchen.

Informationsgrafik, die den Verlauf des kreisförmigen LHC-Beschleunigers und die vier Experimentierhallen unter der Erde zeigt.

Der LHC im Überblick

Tunnel

Der LHC befindet sich in einem knapp 27 Kilometer langen, nahezu kreisförmigen Tunnel in einer Tiefe zwischen 50 und 175 Metern unter der Erdoberfläche. Die Anlage verläuft unter der schweizerisch-französischen Grenze, der Großteil liegt dabei unter französischem Staatsgebiet. Der Tunnel hat einen Durchmesser von 3,8 Metern und beherbergte bis zum Jahr 2000 den seinerzeit leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger für Elektronen und Positronen, den Large Electron–Positron Collider LEP.

Supraleitende Magnete

Zu den wichtigsten Komponenten des Beschleunigers gehören die supraleitenden Magnete, welche die Teilchen auf ihrer Bahn halten und die Strahlen fokussieren. Eine besondere Herausforderung stellte dabei die einwandfreie Produktion der 1232 Dipolmagneten dar, welche die Protonen um die Kurve lenken. In ihnen herrschen Magnetfeldstärken von bis zu neun Tesla, wie sie nie zuvor in einem Beschleuniger erreicht wurden.

Die jeweils 15 Meter langen Dipolmagnete wurden speziell für den LHC entwickelt. Sie beinhalten zwei Vakuumröhren für die Teilchen und einen Kryostaten zur Kühlung. Das Magnetfeld entsteht durch einen großen Strom, der durch Drähte aus Niob-Titan fließt. Um dem großen Strom standzuhalten, werden diese in einem supraleitenden Zustand bei einer Temperatur von 1,9 Kelvin gehalten; der Rest des Beschleunigers wird bei 4,5 Kelvin betrieben. Insgesamt sind im LHC mehrere Hundert Tonnen Niob-Titan-Drähte verbaut.

Auch die Beschleunigungsstrukturen, die für jeden Protonenstrahl ein Beschleunigungsfeld von fünf Megavolt pro Meter erzeugen, arbeiten supraleitend. Sie bestehen aus Kupfer, das mit Niob überzogen ist. Die Supraleitungstechnologie findet somit im LHC eine Anwendung von zuvor unerreichtem Ausmaß.

Forschungsprogramm

Allgemein werden von den Experimenten am LHC fundamentale Entdeckungen erwartet, die das derzeitige Verständnis der Materie und ihrer Wechselwirkungen erweitern – allem voran die Entdeckung von Higgs-Teilchen und von supersymmetrischen Teilchen. Der am LHC zugängliche Energiebereich stellt einen Schlüsselbereich für die Teilchenphysik dar, der den Zugang zu möglichen neuen physikalischen Phänomenen jenseits des Standard-Modells der Teilchenphysik eröffnet.

Der LHC wird es erlauben, alle im Standard-Modell möglichen Massenwerte für das Higgs-Teilchen zu erforschen und den entsprechenden Parameterbereich verwandter Szenarien zu überdecken. Falls es in der Natur tatsächlich vorkommt, kann das Higgs-Boson den LHC-Experimenten nicht entrinnen. Wenn hingegen die elektroschwache Symmetriebrechung – also die Tatsache, dass sich die elektroschwache Kraft bei sinkender Energie des Universums in elektromagnetische und schwache Kraft aufgespalten hat – durch andere Mechanismen bewirkt wird, so müsste man Anzeichen dieser neuen Wechselwirkungen am LHC entdecken. Supersymmetrische Teilchen mit Massen von bis zu drei Billionen Elektronenvolt können am LHC erzeugt und nachgewiesen werden. Bisher ist kein überzeugendes Szenario aufgezeigt worden, bei dem die Signale der Supersymmetrie grundsätzlich außer Reichweite des LHC lägen.

Darstellung von zahlreichen Teilchenspuren, die von einem Punkt ausgehend auseinanderlaufen. Die meisten Spuren verlaufen von der Mitte des Bildes aus nach links oben und nach rechts unten.

Simulation einer Proton-Proton Kollision

Viele weitere neue Phänomene sind denkbar, die am LHC gefunden werden können: Anzeichen für mögliche höhere Raumdimensionen; schwere, mit den W- oder Z-Teilchen verwandte Bosonen, die neuen Symmetrien entspringen, und vieles mehr. Zusätzlich verspricht das Experimentieren am LHC, die Messung von fundamentalen Parametern des Standard-Modells zu verfeinern, insbesondere, was die Eigenschaften schwerer Teilchen wie der W-Bosonen und der Top-Quarks betrifft.

Das Forschungsprogramm mit B-Mesonen beruht auf der außerordentlich hohen Zahl von Paaren von Bottom-Quarks und Anti-Bottom-Quarks, die bei den Proton-Proton-Zusammenstößen im LHC produziert werden. Diese ist für die Untersuchung sehr seltener Reaktionen beziehungsweise von Zerfällen mit CP-Verletzung von Bedeutung, an denen sich neue Phänomene erkennen lassen.

Das Schwerionenprogramm des LHC schöpft seine Stärke aus der hohen Materiedichte, die bei der Kollision schwerer Ionen erzeugt werden kann. Damit können experimentelle Bedingungen für Reaktionen erzeugt werden, wie sie kurz vor dem so genannten QCD-Phasenübergang etwa \(10^{-6}\) Sekunden nach dem Urknall existierten, bevor aus den ursprünglich vorhandenen freien Quarks und Gluonen Hadronen wurden.

Luminosität

Damit die sehr seltenen, interessanten Wechselwirkungen der Quarks und Gluonen im Proton hinreichend häufig auftreten, muss eine hohe Luminosität erreicht werden. Diese Größe beschreibt die Zahl der möglichen Wechselwirkungen pro Zeit.

In der Vergangenheit erreichten Hochenergiebeschleuniger Luminositäten von typischerweise \(10^{32}\) Kollisionen pro Sekunde und Quadratzentimeter (\(\mathrm{cm^{-2}s^{-1}}\)). Die Luminosität des LHC wird \(\mathrm{10^{34}\,cm^{-2}s^{-1}}\) betragen, ein Wert, in dessen Nähe die bei niedriger Energie laufenden B-Mesonen-Fabriken kürzlich zum ersten Mal vorgestoßen sind.

Bei LHC erreicht man diese hohe Luminosität dadurch, dass die beiden Vakuumröhren mit 2808 Protonenpaketen gefüllt werden, wobei jedes Paket \(10^{11}\) Protonen beinhaltet. Der daraus resultierende große Strahlstrom von 0,56 Ampere ist bei einem Beschleuniger mit empfindlichen supraleitenden Magneten, die bei niedrigsten Temperaturen betrieben werden, eine besondere Herausforderung. Die Protonenpakete werden für ungefähr zehn Stunden in der Anlage gespeichert, bis die Zahl der Wechselwirkungen durch Protonenverluste so weit abgesunken ist, dass ein Nachfüllen erforderlich ist. Technische Möglichkeiten, die Luminosität substantiell über \(\mathrm{10^{34}\,cm^{-2}s^{-1}}\) hinaus zu steigern, werden untersucht für den Fall, dass die Ergebnisse der LHC-Experimente einen solchen Ausbau physikalisch sinnvoll erscheinen lassen.

Internationalität

Sowohl der Beschleuniger als auch die vier Detektoren wurden in weltweiter Kooperation von Forschergruppen aus bis zu 37 Ländern entwickelt und gebaut.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/experimente/teilchenbeschleuniger/cern-lhc/lhc-im-ueberblick/