H1 und ZEUS – Elektronen sondieren das Proton

Ilka Flegel

H1-Detektor

1992 gingen die ersten zwei Experimente an der Elektron-Proton-Speicherringanlage HERA in Betrieb: H1 in der Halle Nord und ZEUS im Süden. Beide Experimente beobachten die hochenergetischen Zusammenstöße von Elektronen und Protonen, die Aufschluss über das Innenleben des Protons und die Grundkräfte der Natur geben.

Bei den Kollisionsexperimenten H1 und ZEUS prallen die in HERA kreisenden Elektronen genau im Mittelpunkt der Detektoren frontal auf die ihnen entgegenfliegenden Protonen. Bei diesem Zusammenstoß wirkt das punktförmige Elektron wie eine winzige Sonde, die das Innere des Protons abtastet: Es dringt in das Proton ein, trifft dort auf einen von dessen Bausteinen – ein Quark – und wechselwirkt mit diesem über den Austausch eines Kraftteilchens. Das Quark wird dabei aus dem Proton herausgeschlagen; es bildet sich ein ganzes Bündel neuer Teilchen, die mit dem Elektron und den Proton-Bruchstücken in alle Richtungen auseinander fliegen. Aus den Spuren, welche die Teilchen in den Detektoren hinterlassen, lassen sich schließlich Rückschlüsse darauf ziehen, was denn nun im Inneren des Protons wirklich passiert. Hierbei geht es nicht etwa nur um die einzelnen Bestandteile des Protons, sondern auch um die Grundkräfte der Natur, die zwischen den Teilchen wirken. Bei HERA fungiert das Proton als „Mikrolabor“, an dem sich die unterschiedlichsten Fragestellungen der heutigen Teilchenphysik gezielt untersuchen lassen. Die dafür verfügbare Energie ist etwa zehnmal größer als bei früheren, ähnlichen Experimenten. HERA wirkt also wie ein „Super-Elektronenmikroskop“, das den weltweit schärfsten Blick ins Proton ermöglicht: Zehnmal genauer als bisher können H1 und ZEUS die Details des Protons unter die Lupe nehmen. Bis hinunter zu Strukturen, die noch einmal 2000-mal kleiner sind als das Proton selbst – das sind 0,000 000 000 000 000 000 5 Meter.

Zwei Detektoren sehen mehr

Foto eines im Bau befindlichen, haushohen zylinderförmigen Nachweisgeräts für Elementarteilchen mit einer Vielzahl von technischen Komponenten und Tausenden von Kabeln.

Der H1-Detektor in der HERA-Halle Nord

Die Experimente der Teilchenphysik sind so komplex und aufwendig, dass sie sich nur in internationaler Zusammenarbeit realisieren lassen. Die Detektoren werden deshalb von großen, international zusammengesetzten Teams geplant, gebaut und betrieben. Bei H1 umfasst die Gruppe etwa 400 Physiker, Techniker und Ingenieure von 39 Instituten aus zwölf Ländern, bei ZEUS sind es an die 450 Mitglieder von fünfzig Instituten aus 12 Nationen. Die Experimente unterscheiden sich in ihrem Aufbau und in ihrer Vorgehensweise, sie bearbeiten allerdings ähnliche Forschungsfragen. Dies hat seinen Sinn und liegt an HERAs Einzigartigkeit: Nirgends sonst auf der Welt werden Elektronen und Protonen bei so hohen Energien aufeinander gelenkt. Mit zwei Experimenten lässt sich die Ausbeute an seltenen Prozessen in diesem wissenschaftlichen Neuland verdoppeln. Darüber hinaus ist man gut beraten, Messungen von zwei unabhängigen Forscherteams durchführen und bestätigen zu lassen und so die Ergebnisse zu erhärten. In diesem Sinne ergänzen sich H1 und ZEUS und kontrollieren sich gleichzeitig.

H1 und ZEUS untersuchen mit unterschiedlichen Nachweistechniken ähnliche Forschungsfragen. „Wir bestimmen die gleichen physikalischen Größen, leiten sie aber aus unterschiedlichen Messgrößen ab“, erklärt Eckhard Elsen, Sprecher der H1-Gruppe. Der Unterschied liegt vor allem in den „Kalorimetern“, jenen Detektorkomponenten, die die erzeugten Teilchen abbremsen und ihre Energie messen. Das Kalorimeter von H1 besteht aus Blei- und Stahlplatten, deren Zwischenräume mit flüssigem Argon gefüllt sind. Damit lassen sich Teilchen, die über die elektromagnetische Kraft wechselwirken – also insbesondere das gestreute Elektron -, besonders gut messen. „Hinzu kommt, dass unser Kalorimeter sehr fein in etwa 45.000 Segmente aufgeteilt ist“, erläutert Elsen. „Damit können wir die Struktur der Teilchenschauer genau auflösen und sogar auf die Flugrichtung der Teilchen schließen. Es stehen uns also mehrere Methoden zur Verfügung, um auf den Verlauf des Reaktionsprozesses zu schließen.“ Bei H1 umfasst die große supraleitende Spule, deren Magnetfeld die Flugbahnen der Teilchen krümmt, auch das Kalorimeter. „Die Teilchen müssen also kein weiteres, ,inaktives' Material durchqueren, bevor sie auf das Kalorimeter treffen“, erklärt Elsen. Dadurch wird verhindert, dass die Teilchen im Material der Spule Energie verlieren – was Korrekturen der Energiemessung nach sich ziehen würde.

Foto eines im Bau befindlichen, haushohen zylinderförmigen Nachweisgeräts für Elementarteilchen, das von einer über zehn Meter hohen Hülle aus schweren Metallplatten umgeben ist. Der davor stehende Mensch wirkt im Vergleich winzig klein.

Der ZEUS-Detektor in der HERA-Halle Süd

„Während der Schwerpunkt bei H1 auf der Vermessung der Elektronen liegt, konzentrieren wir uns bei ZEUS auf die Teilchen, die über die starke Kraft wechselwirken, die Hadronen“, erklärt Wolfram Zeuner vom ZEUS-Experiment. Diese bilden sich aus den beim Zusammenstoß aus dem Proton herausgeschlagenen Quarks; sie verlassen den Kollisionspunkt als enge Teilchenbündel, so genannte Jets. Das Kalorimeter von ZEUS besteht aus abwechselnden Lagen von abgereichertem Uran und Szintillatorplatten, in denen die hindurchfliegenden Teilchen Lichtblitze auslösen. Das Besondere daran: In dem Kalorimeter erzeugen Elektronen die gleichen Signale wie Hadronen. „Im Gegensatz zu H1 müssen wir also nicht erst bestimmen, was das für ein Teilchen war, das wir gestoppt haben, bevor wir seine Energie ausrechnen können“, meint Zeuner. „Wir können die Energie des jeweiligen Teilchens quasi direkt ablesen.“ Darüber hinaus ist die Energieauflösung für Hadronenjets bei ZEUS besonders gut, weshalb die ZEUS-Physiker die Messgrößen dieser Jets in der Analyse stärker bewerten. „Um sicherzugehen, dass wir keine Fehler machen, überprüfen wir die Ergebnisse auch immer mit der Methode des anderen Experiments. Die genauesten Werte erhalten wir allerdings mit unserer eigenen Vorgehensweise“, so Zeuner.

 

In Betrieb von 1992 bis 2007.
Maße: 12 m x 10 m x 15 m; 2800 Tonnen.
Von innen nach außen: Silizium-Mikrovertex-Detektor, Drahtkammersystem, Flüssig-Argon-Kalorimeter, supraleitende Spule, Myonkammern im instrumentierten Rückflusseisen, Myon-Spektrometer, Luminositätsmonitor, Proton-Detektor in Vorwärtsrichtung.

In Betrieb von 1992 bis 2007.
Maße: 12 m x 11 m x 15 m; 3600 Tonnen.
Von innen nach außen: Silizium-Mikrovertex-Detektor, Drahtkammersystem, supraleitende Spule, Uran-Szintillator-Kalorimeter, Strahlrohrkalorimeter, Myonkammern, instrumentiertes Rückflusseisen, Myon-Spektrometer, Luminositätsmonitor, Proton-Detektor in Vorwärtsrichtung.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/experimente/teilchenbeschleuniger/hera/h1-und-zeus/